Hein Bruns

Der sündige Kurs der "TINA-THERESA"


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den frostigen Morgen hinaus, schön schwankend und stinkbesoffen und wünschten sich „fröhliche Weihnachten." Wedelten Arm in Arm, wie Eisschnellläufer am Schelde Kai entlang und ließen „Die Kinderlein kommen", „Vom Himmel hoch", und „Oh Du Fröhliche" in dieser „Heiligen Nacht."

      Je näher der „Dampfer" kam, der kleine „Dampfer", je stiller wurden sie, redeten sich ein, dass sie das Kind, das schmalbrünstige, mit ihrem Gegröle nicht stören wollten. Dabei hatten sie eine Scheißensangst vor dem alten Faller.

      Der Steuermann dachte an seine Koje, der Smutje an seinen Sauerbraten. Jeder hat so seine Gedanken.

      An Bord schlief natürlich noch alles. Für den Kochsmaaten war ja nun Dienstbeginn.

      Mühsam kletterten beide über die Gangway, leise, wie Apachen auf dem Kriegspfad. Smutje zog sich um und kam in blütenweißer Kluft in die Kombüse. Für den Gang in die Koje rüstete sich der Steuermann, freute sich, dass der Kochsmaat so auf Draht war. Schärfte ihm aber noch eingehend und beschwörend ein, was heute für ein bedeutender Tag sei, nämlich, außer Weihnachten, zur Hauptsache Sauerbratenessen, und dass er, der Koch, bis weit in die Steinzeit verschissen hätte, wenn er mit dem Sauerbraten irgendwie Mist machen würde.

      „Keine Sorge, Stürmann!"

      „Un mi weckste um halwtwolf, sabby?"

      Sprachs, ging, hing seine Kammertür auf den Haken, damit für Frischluft ein Spalt frei blieb, kroch in die Koje, sank mit lieblichen Weihnachtserinnerungen in sein blau kariertes Bettzeug made in Cranz (Unterelbe.)

      Der Kochsmaat hielt sich gut. Konnte mit viel Papier, einem Schuss Dieselöl, Geduld, besoffenem Kopp und zitterigen Händen ein lustiges Feuerchen „inne Gang" bringen. Bloß leise, Makker, damit der Alte nichts hört und das Kind schlafen kann.

      Nun setzte er den Sauerbraten an, der sah ja ein bisschen komisch aus, der Vogel, so blau und blass, wie erfrorene Füße. Appetitlich weiß Gott nicht!

      Soll aber nichts besagen.

      Nun, er setzte ihn an. Die ersten lieblichen Gerüche zogen durchs Achterschiff und in die Nase des Kochs. Jetzt zeigte sich das erste Braun ‑ tralala ‑ tralala ‑ so, nun wenden ‑ ja, so ‑ so, schön! Weiter braun braten lassen, braun werden lassen ‑ wenden ‑ ja, so ‑ so schön. Weiter anbraten, noch mal wenden, einen Klacks Schmalz dazu, eine Zwiebel, einen Schuss Wasser und noch einen Schuss. Prima, prima. Noch mal rum mit dem Oschi, auf den Rücken schmeißen, jawoll. Nun genügend Wasser. Deckel auf den Topf ‑ und gar werden lassen ‑ den Sauer‑ und Weihnachtsbraten.

      Gott sei Dank, und nun ein bisschen verpusten. Kartoffeln müssen ja auch noch geschält werden. Backobst aufgesetzt, aber das geht ja schnell und wird auch rasch gar. Zeit genug, nur keine jüdische Hast.

      Weiter geht klar und kalt der Weihnachtsmorgen durch die alte Scheidestadt. Die Kathedrale ruft zur Frühmesse. Der Hafen ist still wie ein Maulwurfshügel, und auf der Schelde treibt Eis der Nordsee zu.

      MIT EINEM RUCK richtet sich der Steuermann erschreckt in seiner Koje auf, hustet, prustet, wird krebsrot. Tränen kommen, und er wischt sich die Augen. Donnerwetter, ich bin doch nicht blind. Starrt zur Tür. Seine Kammer ist gefüllt mit weißem, beißendem Rauch.

      Kombüse Grabesstille.

      Durch den Spalt der Steuermannskammertür wälzen, wallen sich giftgelbe Schwaden herein, hässliche Rauchwürste, Dünste der Hölle, zum Greifen nah.

      Mensch, was ist das? Feuer im Schiff? Schöne Scheiße.

      Der Steuermann hüpft, hopst, wie ein Frosch aus seinem Scheißkorb.

      Schießt zur Tür, reißt den Haken los, steht im Gang und im Normalhemd und sucht tastend die Kombüse. Auf der Bank der Kochsmaat, eben auszumachen und schläft friedlich wie das Kind in der Krippe. Es ist ja auch Weihnachten.

      Steht der Steuermann erschüttert, mit hängenden Schultern und tieftraurigem Gesicht am glühenden Sarg des Sauerbratens. Sein tränendes Adlerauge gewahrt ein kleines, winzigkleines, schwarz verkohltes Häuflein Fleisch („Um ein Kleines und Ihr werdet es nicht sehen"). Die kläglichen Überreste des einst so hoffnungsvollen Sauerbratens. Unter diesem elenden Häuflein winden sich kackgelbe Rauchwürmer zischend hoch und kriechen säuisch stinkend in die Kombüse und in den Weihnachtsmorgen hinein.

      Fröhliche Weihnachten nun und immerdar. Friede seiner Asche.

      „Komm hoch, Mensch, Dein Sauerbraten ist im Arsch!" so schreit der Steuermann den Koch an. Tritt dann aber fix den Rückzug an, der Feigling, denn die Kammertür vom Alten knarrt und reißt den Rauch auseinander.

      Wie ein zürnender Rachegott stand F. F. in der Kombüse, hinter ihm zitternd im Nachthemdchen, ein mageres Weinachtsengelchen, Tochter Tina.

      Mit der einen Hand hielt der Alte seine Unterhose, die lange, weiße, über seinem Bauch zusammen, und die andere Hand glich mit ausgestecktem Zeigefinger, einmal auf den Koch weisend, dann auf den Herd zeigend, der Hand eines Schlachtenlenkers aus den Befreiungskriegen.

      So ähnlich muss seinerzeit der Engel Gabriel, nur ohne Unterhosen, den Adam und die Eva zusammengefaltet haben, als sie vom Baum der Erkenntnis die Äpfel geklaut hatten.

      Der Wald‑ und Wiesenkoch, eigentlich klingt das noch mild, glich mit abgeklappten Ohren einem Kurzhaardackel. Mona‑Lisa‑Augen und Knickebeine seine sonstigen Merkmale.

      F. F. brüllte sich heiser.

      Tina, dürftig und weiß und mager, in den Plüschpantoffeln ihres Vaters, weinte still und dünn in sich hinein. Gab als einzige weibliche Hinterbliebene des Sauerbratens ihre Kindertränen.

      Grollend ging der Alte in seine Kammer, Tina schlurfte hinterher. Wie eine deutsche Eiche, die der Sturm gefällt, sank der Koch stöhnend auf seine Ruhebank zurück.

      Ja, vor den Sauerbraten hatten die Götter den Grog gesetzt.

      Och, Makkaroni mit Tomatensoße kann auch ein schmackhaftes Weihnachts‑ und Festgericht sein. Zu einem Strafgericht wurde es aber auch das saure, verbiesterte und wütende Gesicht des alten Faller.

      DAS WAR EBEN alles damals, das war noch vor damals.

      Heute ist der erste Februar und zehn Jahre später.

      In Tinas Dachkammer rasselte der Wecker schon früh. Heute, wie fast an jedem Tag der vergangenen acht Wochen, musste Tina den Alten nach Bremerhaven in die Werft fahren. Heute kommen die ersten Leute der Besatzung. Was da wohl so alles angetanzt kommt. Tina war doch ein wenig neugierig.

      „Wo bleibst Du denn, Tina? Wir müssen los! Los, los, een beeten dally!" brüllte der Alte schon wieder, dass Frau Theresa in die Knie ging.

      „Ja, ja, ich komme ja schon, Vater!" rief Tina nach unten und zog ihre Wildlederjacke an. F. F. stand schon gestiefelt und gespornt und in Pantoffeln. Von Pantoffeln konnte er sich einfach nicht trennen, genauso wenig wie von Hosenträgern.

      Hastig trank Tina eine Tasse Kaffee, im Stehen natürlich, denn der Alte war nervös, gramuselte herum.

      Frau Theresa versuchte zu beruhigen: „Friedrich, du kommst schon noch hin, so eilig ist es doch nun wirklich nicht. Bist doch in der ganzen Werftzeit immer noch zurechtgekommen."

      „Schnack nich, verstehste nix von. Hüt koomt de nejen Lüd und dor mut ick an Bord sin, so! To, to, Tina, drink dien Kaffee ut!"

      „Ja, ja", sagte Tina patzig.

      Sie holte den Mercedes aus der Garage und dachte, wenn der Alte doch bloß erst wieder zur See fahren wollte, bin doch froh, dass das Schiff fertig ist. In Pantoffeln stieg F. F. in seinen Mercedes. Es schneite. Die Straße, noch ungepflügt von Menschen und Autos, sah aus, als würde sie nie enden. Weiß man überhaupt, wo Straßen enden? Wilde ungeordnete Schneesturmwirbel tanzten vor den Scheinwerfern, verwischten Licht und Weg.

      Der Schneesturm bandagiert eisig den Wagen, verbindet, blindet die Scheinwerfer.

      Tina fährt gut, sie hat ihre Ruhe wieder und ihre Gedanken. Mit ihrem Vater unterhält