mein Blick über den Schreibtisch wanderte, fiel mir ein Umschlag auf. Hatte Ethan den hier hingelegt? Der war eben doch noch nicht da gewesen. Skeptisch hob ich ihn auf. Er war schwer, irgendetwas Hartes war da drin, das klimperte. Ich öffnete ihn und erblickte einen Autoschlüssel und eine kleine Notiz.
„Es tut mir Leid... Schon wieder. Das Auto zum Schlüssel steht vor deiner Tür, ich denke du hattest noch kein Neues.
Ethan“
Schockiert blickte ich abwechselnd auf die Notiz und auf den Schlüssel. Ein Auto? Ich schaute den Schlüssel genauer an. Es war wohl ein Audi, aber warum machte er das? Ich wollte kein Auto von ihm. Die Versicherung wollte mir bald das Geld überweisen und dann hätte ich mir ein neues Auto gekauft, dafür brauchte ich ihn nicht.
Er sollte mir nichts schenken. Irgendwie kam ich mir billig vor, wie eine kleine Barbie, die an seiner Seite stünde und nur sein Geld wollte. Dieser Gedanke ekelte mich dermaßen an, dass ich ihn sofort verdrängte. Ich würde mir selbst ein neues Auto kaufen, wenn ich das Geld von der Versicherung bekäme und ich wieder fit genug zum Fahren war.
Und was war das andere?
„Es tut mir Leid...Schon wieder“
Das hieß er hatte die Nachricht geschrieben, nachdem ich auf Toilette gegangen war. Aber was genau tat ihm Leid und wieso konnte er nicht einfach bleiben und mit mir reden? Wieso lief er immer vor mir weg?
Ich hatte gedacht, dass das mit dem „über den Unfall“ reden nur eine Masche von ihm gewesen war, um mich hier hochzulocken, damit wir alleine waren. Doch das war es nicht. Das Auto war die Sache, die er mit mir wegen des Unfalls besprechen wollte. Hatte ich mich ihm also sexuell aufgedrängt? Ihn zu etwas überredet oder gezwungen? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte mich zurückgehalten und geküsst, als ich gehen wollte. Er war genauso beteiligt gewesen wie ich.
Ein Klingeln riss mich aus meinen Gedanken. Mein Telefon. Schnell kramte ich es heraus und sah Jacobs Gesicht auf dem Display.
>>Hi<< begrüßte ich ihn mit einem gespielten Lächeln, damit es überzeugend klang.
>> Wo steckst du? Ethan ist schon wieder hier unten, aber dich sehe ich nirgendwo. Alles in Ordnung, Kleine?<<
>>Ja<< log ich. >> Ich komme runter, bin in fünf Minuten da.<<
>> Das will ich auch hoffen, ich brauche dich hier, dringend!<<
Eine weibliche Stimme erklang im Hintergrund, ziemlich schrill und anstrengend. Anscheinend hatten da einige Frauen Junggesellenblut geleckt.
>>Ich beeile mich. Halt durch!<< sagte ich und legte auf. Schnell verstaute ich die Notiz und den Schlüssel in meiner Clutch und ging zu den Aufzügen. Jacob hatte Ethan also schon unten gesehen, ob er immer noch da war, wenn ich unten ankam? Den Schlüssel würde ich ihm auf jeden Fall wiedergeben, falls ich ihn heute Abend noch sah. Das würde mich zwar viel Kraft kosten, ihm wieder gegenüber zu stehen und so zu tun, als wäre nichts geschehen, oder als würde es mich völlig kalt lassen, aber das würde ich schon schaffen. Meine schauspielerischen Fähigkeiten waren dafür allemal gut genug.
Als die Aufzugtüren aufgingen und ich wieder in der Lobby stand, erfasste mich sofort die enorme Lautstärke. Die Musik war wesentlich lauter als vorhin und auch die Gäste trugen zum höheren Geräuschpegel bei, indem sie versuchten, die Musik zu überstimmen.
Ich schlug mich in Richtung des Buffets durch und suchte nach Jacob. Er saß in einem von drei Sesseln, die zueinander zeigten, damit man sich unterhalten konnte. Er war in Gesellschaft von zwei netten jungen Damen, die ihn anscheinend anhimmelten. Ihre Körpersprache wies jedenfalls darauf hin. Beide waren stark zu ihm geneigt und klebten förmlich an seinen Lippen. Als er mich sah, stand er stürmisch auf und schritt energisch in meine Richtung.
>> Da bist du ja endlich!<< rief er, um überhaupt mein Gehör zu erreichen.
>> Ich habe mir schon Sorgen gemacht.<<
>> Tut mir Leid, hat ein wenig länger gedauert.<<
Er musterte mich kurz, beließ es aber dabei.
>> Möchtest du jetzt etwas essen?<<
Ich blickte zum Buffet oder besser gesagt, zu dem, was noch davon übrig geblieben war. Ich kam wohl zu spät.
>> Ist ja nicht mehr viel übrig.<<
>> Komm mit.<<
Jacob zog mich mit sich zu dem Sessel. Neben dem Sessel stand ein kleiner Tisch auf dem ein Teller mit vielen kleinen Häppchen lag.
>> Für dich, Süße. Lass es dir schmecken.<<
>> Du bist ein Schatz! Danke<<
Ich gab ihm vor lauter Dankbarkeit einen dicken Kuss auf die Wange. Ich hatte nur gefrühstückt, da ich wusste, dass es ein Buffet geben würde und dieses immer so köstlich war, dass ich Platz in meinem Magen gelassen hatte. Da kein Sessel mehr frei war, zog mich Jacob auf seinen Schoß.
Nachdem er mir die beiden Frauen vorgestellt und mich als seine Freundin ausgegeben hatte, aß ich zufrieden die Häppchen. Immer wieder gab er mir kleine Küsse auf den Arm oder die Hand, um Betty und Mary davon zu überzeugen, wie verliebt er doch in mich war und sie somit keine Chance hätten, während sie sich über Shakespeare unterhielten. Ein Thema zu dem ich nichts beitragen wollte und konnte. Literatur war nicht mein Gebiet, da redete ich lieber über Zahlen oder die Musik. Ich ließ ihn sein Spiel spielen und suchte den Raum nach Ethan ab. War er noch hier? Ich wollte unbedingt wieder den Schlüssel loswerden, aber ich konnte ihn nicht sehen.
Kurz sah ich zu den Frauen neben uns. Anscheinend hatten sie verstanden, dass sie nicht bei ihm punkten konnten, weshalb sie sich im Raum nach einem neuen Kandidaten umsahen.
>> Da vorne ist Leon. << sagte Jacob plötzlich freudestrahlend. Ich wusste, dass er insgeheim gehofft hatte, dass Leon heute hier sein würde. Die beiden waren drei Jahre lang ein Paar gewesen, bis Leon der Arbeit halber in die USA gegangen war. Er hatte mir etliche Fotos und Videos von ihm gezeigt und mir verraten, dass er immer noch Gefühle für ihn hatte, was nicht ganz einfach war, wo er jetzt eine Beziehung mit Paul führte. Vor drei Wochen hatte er eine Mail von Leon erhalten und erfahren, dass er wieder in Australien war und auch zu dieser Feier kommen würde.
>> Dann geh zu ihm, aber denk bitte dran, dass du mit Paul zusammen bist.<<
Jacob war Treue normalerweise wichtig, doch ich wusste nicht, ob das in dieser Situation auch zutraf und ich mochte Paul. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich mich für ihn einsetzen und stark machen musste.
>> Keine Angst, kommst du denn alleine klar?<<
>> Sicher. Geh schon.<<
Ich gab ihm einen Klaps auf den Hintern und schob ihn somit in die Richtung von Leon.
>>Aber falls ich mich nicht mehr blicken lasse, kannst du vielleicht schon mal allein nach Haus fahren? Es könnte länger dauern, immerhin haben wir uns über ein Jahr nicht mehr gesehen.<<
Ich nickte und blickte in Leons Richtung. Er sah wirklich gut aus. Groß, durchtrainiert, soweit ich das begutachten konnte, blonde Haare, braun gebrannt. Ein echter Sunnyboy. Ganz anders als Paul, der eher wie ein buchstäblicher Banker aussah.
Als Jacob weg war, drehte ich mich ein Stück herum und erblickte Ethan, der mich wieder fixierte. Er war wirklich noch hier. Ich hatte ihn wohl nicht gesehen, weil er vorher in meinem toten Winkel stand. Hatte er mich die ganze Zeit schon beobachtet? Jody stand natürlich neben ihm und versuchte mit allen Mitteln seine Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihr jedoch, im Moment jedenfalls, verwehrt blieb.
Ein Kellner kam zu mir und bot mir ein Glas Sekt an, was ich jedoch dankend ablehnte. Allerdings gab ich ihm den Auftrag den Schlüssel an Ethan zu übergeben, wofür ich ihm ein nettes Trinkgeld spendierte. Er nahm es dankbar an und marschierte in Richtung seines