Ava Patell

Ein Hauch von Vorsehung


Скачать книгу

10 Sekunden, bevor er den Ruf wiederholte und schließlich eintrat. Niemand hatte geantwortet. Kaden verzog das Gesicht. Wenigstens das Fenster hätten die feinen Herrschaften öffnen können. Es roch hier drinnen nach Sex und Schweiß und Matsch. Es war nicht anders zu beschreiben. Er trat zurück zum Wagen, griff nach dem Geruchs-Neutralisierer. Wie eine Waffe hielt er ihn vor sich, sprühte eine große Ladung in die Suite, während er zu den Fenstern vordrang und sie weit öffnete.

      Viele Wissenschaftler beschäftigten sich mit dem Thema. Wann es angefangen hatte, wieso es angefangen hatte. Ob es ein fehlgeleitetes Experiment war, die Erprobung eines Kampfstoffes oder einfach nur eine Laune der Natur. Bisher gab es kaum Ergebnisse dazu, aber vor etlichen Jahrzehnten hatte die Welt begonnen, sich zu wandeln. Nicht die Welt selbst, sondern die Menschen, die darin lebten. Kaden kannte es nicht anders, er war bereits in diese Welt hineingeboren worden, hatte es nie anders erlebt. Doch es sollte eine Zeit gegeben haben, in der die Menschen keinen so ausgeprägten Geruchssinn hatten, wie es jetzt der Fall war.

      Etwas im Laufe der Jahre hatte sich verändert und jetzt waren die Menschen in der Lage, ähnlich gut zu riechen wie Hunde. Nun ja, an einen Hund würde wohl kein Mensch jemals herankommen, egal wie gut er seine Sinne trainierte. Dennoch, die Menschen waren nun in der Lage, andere Menschen zu riechen . Nicht nur Schweiß, sondern feine Veränderungen in ihrem Hormonhaushalt. Die einen waren besser darin, die anderen schlechter, aber die grundlegenden Gerüche war wohl jeder in der Lage, wahrzunehmen.

      Früher, vor dieser Veränderung, so hieß es, war es eher eine Ahnung, wenn man einem wütenden Menschen gegenüber stand und ahnte , dass er gleich die Beherrschung verlieren würde. Heutzutage konnte man solche Emotionen deutlicher wahrnehmen. In der Veränderung des Geruchs eines Menschen. Nervosität ließ sich ebenso deutlich wahrnehmen wie Desinteresse.

      Das Schlimmste an diesem Umstand waren wohl die Eigengerüche der Menschen. Keiner roch gleich, jeder trug sein ganz eigenes Aroma mit sich und der Spruch › jemanden nicht riechen können‹ bekam eine ganz eigene Bedeutung. Es gab tatsächlich Menschen, mit denen man es kaum ein paar Minuten im selben Raum aushielt, weil sie penetrant nach Veilchen rochen. Oder feuchtem Tier. Oder Vanille. So stark, dass einem schwindelig wurde und man kaum noch Sauerstoff zum Atmen fand. Für einen anderen Menschen konnte das natürlich sehr attraktiv sein. Für einige jedoch nicht und es hatte nicht lange gedauert, bis die Industrie und die Wissenschaft sich auf diesen Umstand gestürzt hatten.

      Es gab inzwischen alles, vom Geruchs-Neutralisierer als Raumspray, das sie hier in rauen Mengen benutzen, damit die Zimmer für die nachfolgenden Gäste benutzbar und rein waren, über Haarshampoos, die den eigenen Geruch beseitigten, zumindest für 24 Stunden. Deos gab es natürlich, aber auch Geruchs-Verstärker oder, etwas das Kaden absolut ablehnte, spezielle Parfums. Diese überdeckten nicht nur den eigenen Geruch, sie gaukelten einen ganz anderen Duft vor und boten so die Möglichkeit, auch die Menschen auf einen aufmerksam zu machen, die sonst einen weiten Bogen um einen gemacht hätten.

      Es gab verschiedene Ansichtspunkte über die Ursache in dieser Entwicklung. Viele hielten es für eine Laune der Natur, einen Unfall. Kaden schlug sich da eher auf die romantische Sichtweise des Ganzen. Es hatte einen Grund, dass man sein Gegenüber auf diese Art und Weise wahrnehmen konnte. Der Geruch eines Menschen machte ihn aus. Er kam immerhin aus seiner Genetik.

      Er zeichnete ihn aus und wenn man jemanden nicht riechen konnte, so wie in diesem Zimmer - er schickte eine weitere Ladung des Sprays hinterher, um diesen Geruch zu vertreiben - dann ging man keine tiefere Beziehung mit diesem Menschen ein und vermied so eine Menge Kummer und Leid. Man ging falschen und zum Scheitern verurteilten Beziehungen aus dem Weg. Aber dank der Geruchs-Stabilisierer, wie sich diese Parfums nannten, die den eigenen Duft veränderten, kam es immer wieder zu Ehen, die nicht hielten. Ja, sogar zu schlimmen Verbrechen, da sie vertuschten, was die Menschen bewegte, was sie fühlten.

      Ein von Grund auf schlechter Mensch, ein krimineller, wirklich gefährlicher Mensch würde jedem Menschen in der Nase kitzeln, dem er begegnete. Ein von der Natur eingerichtetes Warnsystem. Doch durch die Stabilisierer waren diese Menschen in der Lage, ihr Innerstes zu kaschieren. Die Gefahr zu überdecken und sogar umzukehren. Wirklich geübte Nasen, so sagte man, waren in der Lage, durch diesen Schleier zu sehen. Diese Pheromon- und Lockstoffe, die künstlich hergestellt worden waren, zu erkennen, aber dazu gehörten wohl die wenigsten. Die Wissenschaft hatte ganze Arbeit geleistet und verdiente eine Menge Geld damit.

      Ein Journalist hatte es mit Süßstoff und Zucker verglichen. Auch da war nicht jeder in der Lage, den Unterschied in Speisen festzustellen. Aber ab einer gewissen Konzentration an Süßstoff würde es vermutlich irgendwann jeder schmecken. Das war bei den Stabilisierern leider nicht der Fall. Sie waren so effizient hergestellt worden, dass es nur den Geübtesten gelingen würde, die Scharade zu durchschauen. Es war schwierig und stellte die Polizei und auch das Rechtssystem vor neue Herausforderungen. Zur Zeit berieten erneut die Obersten des Landes, ob Stabilisierer nicht verboten werden sollten oder zumindest eine Konzentrationsbeschränkung eingeführt werden müsse.

      Kaden schüttelte den Kopf bei diesem Gedanken, während er sich daran machte, das Bett abzuziehen, wobei er die Luft anhielt. Der Geruch hier war enorm. Nichts gegen Sex, doch wenn es danach roch wie in einem Pumakäfig, dann konnte doch etwas nicht stimmen. Auch die Matratzenschoner zog er ab und schmiss alles auf einen Haufen. Dann besprühte er das Bett mit einem eigens dafür hergestellten Spray, das die Duftstoffe aus den Fasern saugte und einen leichten Hauch von Baumwolle und Leinen zurückließ. Sprays dieser Art waren vornehmlich für den öffentlichen Bereich bestimmt und dementsprechend kostspielig. Für Privatpersonen waren solche Hilfsmittel eher Luxusartikel und teuer.

      Kaden drehte die Musik seines MP3-Players etwas lauter. Das war etwas, was erlaubt war, solange die Musik nicht so laut lief, dass die Angestellten den Funk oder die Gäste des Hotels nicht mehr hören konnten.

      Er brauchte fast eine Stunde für die Suite, was eine Schande war, aber Kaden war nicht geübt in diesen Zimmern. Als er Mrs. Fowler anfunkte, musste er nur noch neue kleine Fläschchen im Bad platzieren. Noch einmal kontrollierte er, ob auch ja kein Streifen auf der Glasabtrennung der großen Dusche zu sehen war. Aber er konnte nichts entdecken. Fünf Minuten später betrat Mrs. Fowler das Zimmer.

      »Ah. Mr. Williams.« Sie nickte ihm zu, während er sich die Stöpsel aus den Ohren zog. »Etwas langsam, aber das nehme ich Ihnen nicht übel. Sie werden schneller werden, das weiß ich.« Sie lächelte wie so oft ihr schmales Lächeln. Mrs. Fowler gehörte zu den wenigen Menschen, die er kannte, die dazu in der Lage waren, ihren Duft unter Kontrolle zu halten. Wohl zusammen mit ihren Emotionen. Durch und durch faszinierend. Alles, was er wahrnehmen konnte, war ein Hauch von Sonne, Leder und Sand. Kein Hinweis darauf, wie sie die Arbeit bewertete. Sie lief durch die Suite, sah in die Schränke, hob die Bettdecken an, um zu sehen, ob die Laken darunter glatt waren. Keine Bügelfalten waren zu sehen. Danach zog sie die Bettdecken wieder glatt. Sie sah in die Minibar, betrachtete die Kristallgläser, hielt sie gegen das Licht. Fasste in die Lampenschirme und auf die weißen Querstreben der Fenster. Dann ging sie ins Bad.

      Kaden war nervös. Er wusste genau, dass sie das würde riechen können. Denn während sein Gehirn auf Hochtouren lief und alle Szenarien gleichzeitig durchspielte, war kein Platz mehr dafür, seine Emotionen irgendwie unter Kontrolle zu halten. So knetete er nervös seine Finger und biss sich auf die Unterlippe. Als sie aus dem Bad trat, sah sie ihn einen Augenblick lang an. Er konnte es nicht verhindern, tief einzuatmen. Nichts. Sand, Sonne, Leder. Sonst nichts.

      Dann nickte sie schließlich. »Ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht, Mr. Williams. Nur den Spiegel sollten Sie noch einmal nachpolieren. Wenn sie links versetzt davor stehen, dann sehen Sie schon, was ich meine.« Sie trat an Kaden vorbei. »Funken Sie mich an, wenn Sie im letzten Zimmer sind. Ich komme dann vorbei, um die anderen Suiten zu kontrollieren. Ach und Mr. Williams.«

      Er drehte sich zu ihr um. Sein Herz hämmerte noch immer und sie lächelte wieder dieses schmale Lächeln.

      »Eine letzte Dosis des Raumsprays kann nicht schaden, bevor Sie gehen«, meinte sie und Kaden glaubte fast, eine Spur Amüsement in ihrer Stimme wahrzunehmen. Knallrot lief er an, weil er genau wusste, was sie meinte. Da versagte jedes Deo und jemand wie sie war