Walter Serner

Die Tigerin


Скачать книгу

Augen verdunkelten sich genießend. »Ich glaub es dir. Ich glaub es dir, weil du rot geworden bist.«

      Die Zähne Fecs begannen zu mahlen, während er langsam den Blick hob. »Hör, Bichette, ich habe das Geldn ... Ich habe Geld von dir genommen, noch bevor ich wußte, was du vor der ... was du nach der Bijouterie ... was du eben dort gesagt hast. Als ob ich das schon gewußt hätte ... daß du so denkst. Das hat mir nämlich sehr gefallen. Ja, das Leerlaufen ist blödsinnig. Wenn man nichts mehr haben will, wenn man nichts mehr machen will, geht man besser um die Ecke, in den Duft. Aber bei mir war das anders. Das ist schon seit zwei Jahren so. Vorher habe ich sehr viel gemacht. Bis ich eben alles satt hatte. Alles. Alles. Alles. Da war dann das Leerlaufen geradezu Wollust für mich. In den letzten Wochen aber hatte ich auch das satt bekommen. Freilich, ohne es mir einzugestehen. Was dein Weinkrampf heute war, das weiß ich. Eh ben, wenn du es wissen willst: daß ich dir die Wollkappe kaufte, das war für mich genau dasselbe wie für dich der Weinkrampf. Damit, mit solchen Selbstüberraschungen warnt man sich. Davor nämlich, daß es nicht mehr so weitergeht. Ich habe jetzt die Wahl – in den Duft ... oder – wieder etwas zu wollen, wieder etwas zu machen.«

      Bichette bekam mit einem Mal ein ganz verstörtes Gesicht. »Ja, Fec, ja, Fec, machen wir doch etwas! Etwas Neues! Etwas ganz Neues! ... Machen wir doch – uns

      »Uns – machen?« Fec erstaunte bis in die Lippen.

      Bichettes Hände fingerten wie irr den Rock hinab. Ihre Augen flackerten.

      Sie hatten ohnehin ein wenig Aufsehen erregt. Man ist zwar in Paris an sehr vieles, das andernorts Zusammenrottungen verursachen würde, schlechtweg gewöhnt; ein höchst nachlässig gekleidetes Paar aber fällt in einem erstklassigen Mode-Restaurant auch in Paris auf. Ihre Gesichter, die in diesem Milieu sofort sozusagen dominierten, und das sichere Auftreten Fecs hatten den Maître d'Hôtel jedoch schnell entwaffnet; die Lebhaftigkeit ihrer Unterhaltung, welche durchaus gegen die Lokalusancen verstieß, besonders das überaus kräftige Mienenspiel Bichettes hatten dann aber neuerdings unliebsame Aufmerksamkeit hervorgerufen.

      Der Tischkellner pirschte sich geschickt heran und schob, ein sehr deutlicher Wink, den kleinen Teller mit der zusammengefalteten Note auf den Tisch.

      Als er sich, etwa drei Schritte entfernt, aufgestellt hatte, rief ihn Fec. »Wenn der Maître d'Hôtel sich nicht augenblicklich entschuldigt, werde ich dem Direktor meine Karte schicken.«

      Der kleine Teller verschwand im Nu.

      Der Maître d'Hôtel kam eiligst und entschuldigte sich devot. Fec würdigte ihn keines Blickes.

      Sämtliche Anwesende gaben sichtlich ihre feindselige Haltung auf.

      Bichettes Lippen bewegten sich fest auf einander. Ihre Augen waren halb geschlossen, während sie leise sagte: »Fec, wir machen uns.«

      Fec lachte ungeniert aus vollem Hals.

      Dieses scheinbar pöbelhafte Triumphieren mißfiel einem Herrn, dessen Spezialität es vermutlich war, Saloncourage zu zeigen. Er schritt, sich selbstgefällig in den Knien wiegend, auf Fec zu und fragte ihn sehr laut, wann der Rapide nach Angoulème Das französische Posemuckl. abgehe.

      Fec erblaßte. Seine Finger erzitterten. Aber er fühlte penetrant, daß es komisch wäre, diesen Laffen zu ohrfeigen. Sein Gehirn tobte.

      Plötzlich erhob er sich und seine Stimme war überall zu hören, als er in korrektem Französisch und mit liebenswürdigster Betonung antwortete: »Gehen Sie durch diese Tür dort und dann quer über die Straße in jenes Reisebureau, wo man Ihnen sicherlich so höflich Bescheid sagen wird wie einem gebürtigen Angoulèmer.«

      An allen Tischen beschäftigte man sich miteins heftig mit den Speisen.

      Ein sehr alter Herr näherte sich Fec, ein Glas Wein in der Hand, und stieß mit ihm an. Und eine junge hübsche Dame rief aus dem Hintergrund des Saales: »Bravo!«

      Bichette atmete nicht.

      Fec verlangte jetzt die Note.

      Sie fuhren im Taxi, die Zungen in einander verwühlt, auf den Montmartre zurück. Vor das Aëro-Hotel. Bis sieben Uhr abends lagen sie im Bett.

      In der Liberty's Bar auf der Place Blanche nahmen sie, viel bemerkt und deshalb vergnügt schweigend, den Apéritif; aßen dann aber in einem kleinen Bouillon der Rue Lépic.

      Gegen elf Uhr erschienen sie auf dem Tanzboden der Moulin de la Galette. Sie ließen keinen Tanz aus. Sie tanzten bis vier Uhr morgens. Mit einander.

      Bei ›Léon‹ war es ›grün‹, als sie eintraten. Nur hinten in einer Ecke saßen zwei alte Weiber.

      Jean kam, verschlafen und grunzend, einhergeschwenkt. Als er Fec erkannte, lächelte er wissend. »Aber gebt acht! Die Gaby ist wütend.«

      »Weißt du etwas?« fragte Bichette verdrossen.

      »Wieso. Ich würds euch doch sagen.«

      Bichette war müde. Fec angetrunken.

      Sie lehnten, gegen einander gesunken, auf der Bank und lächelten unbestimmt. Bichettes Lächeln zerfiel langsam und blieb nur noch um die Augen liegen. Das Fecs zog sich ruckartig über das ganze Gesicht und wurde schließlich häßlich und steif.

      Dann räusperte er sich mehrmals, wobei die Finger seiner rechten Hand wirr in die Luft stachen. »Ha, nur eine Frau, die am offenen Fenster wäscht, wird nie hineinfallen ... vorausgesetzt, daß das nicht ihr Truc ist. Aber auch wenn es nicht ihr Truc ist, kann sie hineinfallen, denn es ist kein übler Truc, keinen zu haben. Du verstehst mich, Bichette ... Ich habe übrigens bemerkt, daß die Langeweile die Leute schärft und daß ein Beefsteak verblödet. Es steckt immer etwas dahinter. Um zu reüssieren, mache man also die Leute vorerst scharf. Sie verblöden hierauf und vollgefressen erwischt man sie. Worauf man sie hat. Indem man sich hinter sie steckt. Denn es steckt nichts dahinter. Oder sollte man sich darüber wundern, daß alle Damen fette süße Speisen lieben und ... und ... Konfekt ...?«

      Bichette spitzte bösartig die Lippen, setzte sich knurrend auf und riß ihre Hand aus der Fecs. »Schnock!«

      »Eh ben.« Fec warf sich auf ihre Hand und zerrte sie zu sich heran.

      »Laß mich los!« Bichette stieß mit den Füßen nach ihm.

      »Dageblieben!«

      Bichette versuchte, in seine Hände zu beißen, und spuckte, als es mißlang, ihm mitten ins Gesicht.

      »Crotte!«

      »Laß mich los!« Bichette machte eine letzte rasende Anstrengung, um sich zu befreien.

      Aber Fec ließ nicht locker. »Aus einem papierenen Lichtschirm ...«

      »So laß mich doch los,« wimmerte Bichette zusammensinkend.

      »Aus einem papierenen Lichtschirm, der an drei Seiten angebrannt war, machte sie sich mit sechzehn Jahren einen Hut, der ihr den ersten reichen Freund verschaffte. Ja, so ist das Verkehrsleben ... Hör, Bichette, das war aber nicht meine süße Wäscherin aus der Rue Nollet. Die hab ich ganz furchtbar geliebt. Wenn ich sage – geliebt, so heißt das ... Sie hatte etwas in den Augen wie du. Crotte alors! Anders. Aber vor ihr ging es mir gut. Ich konnte reden. Reden. Reden. Reden. Fast so wie jetzt. Und wenn ich mit ihr Arm in Arm im Bois spazieren ging, war mir wohl. Crotte! Selbstverständlich war mir nicht wohl. Aber bei ihr fühlte ich wenigstens schon irgendwie, warum mir nicht wohl war und nie wohl sein würde ... Hör, Bichette, ich liebe auch dich nicht. Ich habe nie, nie, nie in meinem ganzen Leben jemanden wirklich geliebt. Warum? Das ist ganz außerordentlich leicht zu begreifen: weil ich sonst ein entsetzliches Rhinozeros gewesen wäre ... Aber du hast recht, Bichette, auch ich halte es einfach nicht mehr so aus. Es muß etwas geschehen. Es muß etwas gemacht werden ... Eh ben, Bichette, ich weiß, was zuerst geschehen muß, was zu allererst gemacht werden muß. Errätst du es? Ja, wir werden uns machen. Du warst ingeni ... ingeniös. Hör, Bichette, wir müssen uns – lieben! Das muß – gemacht werden. Das ist ganz außerordentlich einfach, wenn man so genau und sicher weiß wie wir, daß es durchaus unmöglich ist, einander zu