Erdgeschoss angekommen, sehe ich mich erst einmal in der grossen, hellen Lobby um und stelle erschüttert fest, dass ich keine Ahnung habe, wo ich mich befinde. Als ich mit Damian hierher fuhr, war ich zu sehr von ihm abgelenkt, als dass ich mir den Weg hätte merken können. Aber schliesslich sind wir in London. Hier wird es bestimmt Taxis geben, die auch noch um diese Uhrzeit unterwegs sind. Obwohl mich schon jetzt ein banges Gefühl beschleicht, bei dem Gedanken in ein Auto zu steigen, dass von einem unbekannten Mann gelenkt wird, ist es doch die Beste Art, schnell nach Hause zu kommen, ohne lange alleine auf der Strasse umherzuirren.
Noch während ich mich frage, wie ich am einfachsten nach Hause komme und noch bevor ich einen Schritt machen kann, steuert ein Berg von einem Mann genau auf mich zu. Er ist mindestens ein Meter neunzig gross und trägt einen schwarzen Anzug, der an seinen Schultern zu bersten droht. Sein kantiges Gesicht wirkt hart und steinern. Verstohlen blicke ich über meine Schulter zurück, in der Hoffnung dieser Riese würde nicht mich meinen, als er die Hand ausstreckt. Doch weit und breit ist niemand mehr zu sehen.
„Miss Weber.“ Er hat einen festen Händedruck. Bei dieser Bewegung entdecke ich einen Waffenholster unter seiner Schulter. Die Pistole, die darin steckt, ist nicht zu übersehen und in seinem Ohr steckt ein Knopf. Ein weiterer Bodyguard von Damian?
„Wer? Was?“ Unklar darüber, warum er meinen Namen kennt, frage ich ihn schliesslich danach.
„Mr. Meyer hat mir vor einigen Minuten mitgeteilt, dass Sie bald hier unten erscheinen werden.“ Sein Gesichtsausdruck hat mittlerweile ein paar mildere Züge angenommen. „Ich bin Luke Silver. Ich gehöre zum Sicherheitsdienst dieses Gebäudes. Mr. Meyer hat mir aufgetragen, sie zu seinem Chauffeur zu bringen. Er wartet bereits draussen.“
„Pietro?“
„Er wird Sie nach Hause bringen.“
Unfassbar starre ich auf den Leibwächter, der mich zum Ausgang begleitet. Damian hat dafür gesorgt, dass ich sicher nach Hause komme und dafür bin ich ihm sehr dankbar, auch wenn wir im Streit auseinandergegangen sind.
Kaum bin ich durch die Drehtür, sehe ich Damians Fahrer, der sofort aus dem Rolls Royce steigt und die Wagentür öffnet, als er mich sieht.
„Nach Hause?“ fragt er mich, nachdem er hinter dem Steuer Platz genommen hat.
„Ja, bitte. Direkt nach Hause.“ sage ich müde und sinke ins weiche Polster zurück.
Plötzlich überkommt mich ein schlechtes Gewissen. War heute nicht Pietros und Angelicas freier Abend? „Danke Pietro.“ Ich suche durch den Rückspiegel den Blickkontakt mit ihm. „Ich wusste nicht, dass Damian Sie aus dem Bett holt, nur um mich zu fahren.“
„Keine Ursache.“ Er lächelt mich an und zwinkert mit seinem rechten Auge, als sich unsere Blicke treffen. „Ich bin es mir gewohnt, um diese Zeit durch die Strassen zu kurven.“
„Aber...“
Er winkt mit einer leichten Handbewegung ab. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Es macht mir nichts aus Sie zu fahren.“
Eigentlich dachte ich, dass mich Pietro mit Fragen bombardieren würde, doch wir legen den Rest der Fahrt schweigend zurück. Worüber ich ziemlich erleichtert bin. Ich blicke auf die Strassen, doch nehme ich die Umgebung kaum wahr. Meine Gedanken schweifen immer wieder zu Damian. Was macht er wohl gerade? Ist es möglich, dass er sich in diesem Moment mit ihr vergnügt, obwohl er erst gerade mit mir geschlafen hat?
Ich fühlte mich unglaublich wohl in seinen Armen, was mir in diesem Moment äusserst schmerzhaft bewusst wird. Schon lange empfand ich nicht mehr so, wie in Damians Gegenwart. Er brachte mich zum lachen, er lernte mich loszulassen, obwohl er gar nicht wusste, dass ich mich an schreckliche Erlebnissen klammere. Er liess meine Vergangenheit vergessen, sogar unwahr erscheinen und er lernte mich wieder zu geniessen. Sein Körper auf mir, um mich, gab mir ein unsagbar gutes Gefühl. Ich fühlte mich geborgen und in Sicherheit. Was mich eigentlich hätte erschrecken sollen, doch erschien es mir als das einzig Richtige.
Umso mehr verletzt es mich jetzt, dass ich auf dem Weg nach Hause bin und nicht neben ihm liege. Ich habe erwartet, dass mir Damian erklären würde, was Susanne bei ihm macht, was sie ihm bedeutet, was er für sie empfindet, doch er schickte mich fort, als wäre gar nichts zwischen uns passiert.
Aber was ist denn schon geschehen? Wir haben miteinander geschlafen. Für ihn war das wahrscheinlich nur ein weiteres Abenteuer, eine weitere Eroberung, wobei ich gefährlich nah daran bin, mein Herz an ihn zu verlieren. Seufzend schliesse ich die Augen und dränge die Tränen zurück, die langsam und leise nach vorne drücken.
Nach etwa zwanzig Minuten lenkt Pietro den Rolls Royce an den Strassenrand, steigt aus und öffnet mir die Wagentür, noch bevor ich mich auf dem Sitz bewegen kann.
„Ich warte, bis Sie im Gebäude sind.“
„Nochmals vielen Dank, Pietro.“
Er sieht mich mitfühlend an. „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf.“
Weiss er etwa, was zwischen mir und Damian vorgefallen ist? Verlegen gehe ich auf den Eingang zu.
„Ich wünsche Ihnen eine angenehme Nacht, Miss Weber.“
Ich möchte etwas sagen, aber ich bin zu keiner Erwiderung fähig und verschwinde schnellstmöglich im Gebäudeinnern.
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