Madlen Schaffhauser

Little Pearl


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ausweichen kann, weiß ich, dass wir das große Übel für heute abwenden konnten.

      »Vielleicht solltest du ein anderes Shirt anziehen«, meint sie lässig, ehe sie sich zum Spiegel über dem Waschbecken dreht und den verschmierten Mascara wegwischt.

      Mein rosa Oberteil ist voll schwarzer Wimperntusche.

      Emily sieht mich über den Spiegel entschuldigend an.

      »Kein Ding.« Ich gehe über den Flur in mein Schlafzimmer. »Wenigstens muss ich mir die Haare nicht mehr föhnen«, rufe ich, während ich im Schrank nach einem neuen Kleidungsstück suche. Letztendlich ziehe ich meine schwarze Lieblingsbluse an. »Wollen wir? Ich habe einen Mordshunger.« Emily wirft eben das gebrauchte Taschentuch weg, als ich wieder zu ihr gehe und den letzten Knopf zumache.

      »Meiner knurrt auch schon.« Wie zur Unterstreichung legt sie ihre Hände auf den Bauch.

      Das Hometown Diner ist höchstens zehn Gehminuten von meinem Haus entfernt, weshalb wir uns entschließen zu Fuß zu gehen. Bevor wir um die Ecke biegen, werfe ich noch einen Blick auf mein B&B. Einen Kontrollblick, wie Emily mich immer aufzieht. Alles scheint in Ordnung zu sein. Also hake mich bei meiner Freundin ein und ziehe sie die Straße entlang. Im Zentrum herrscht noch reges Treiben, als wir in die Main Street kommen. Während im Winter nur vereinzelte Touristen hierher finden, verhält es sich in den anderen Jahreszeiten genau andersrum. Von Frühling bis Herbst verdoppelt - wenn nicht gar verdreifacht - sich hier die Einwohnerzahl. Die Häuser aus rotem Backstein und viktorianischem Baustil und die überdachten Fußwege vor den Ladenfenstern ziehen jedes Jahr tausende Urlauber an. Was gut für mein Geschäft ist.

      Emily betritt vor mir das Diner - es ist so etwas wie unser Stammlokal -, und ich folge ihr an einen freien Tisch. Die Einrichtung stammt aus den Fünfzigern. Sitzbänke aus roten Polstern. Graue Tische und schwarz, weiße Fliesen. Es gibt sogar noch eine alte Jukebox, die regelmäßig bedient wird.

      Praktisch alle Plätze sind besetzt. Ich gönne es Dan - ein alter Freund meiner Eltern -, dass sein Restaurant auch nach Jahren noch einen so großen Erfolg bei den Touristen hat. Was bestimmt nicht allein an der Lage liegt. Er und seine Frau versprühen eine angenehme Atmosphäre, wissen, wie man die Gäste behandeln muss, damit sie wiederkommen. Das beste Beispiel dafür sind Emily und ich. Seit ich zurückdenken kann, komme ich mindestens einmal in der Woche hierher, um einen riesigen Burger zu verschlingen.

      »Na ihr zwei.« Leyla, Dans Adoptivtochter steht an unserem Tisch und lächelt uns freundlich an. In der Hand hält sie schon ihren Block und Stift, obwohl sie unsere Bestellung auswendig kann. Denn wir nehmen immer dasselbe. »Ich habe mich schon gefragt, wann ihr vorbeikommt.« Sie zwinkert uns belustigt zu.

      Leyla ist vier oder fünf Jahre älter als wir. So viel mir meine Eltern erzählt haben, wurde sie, nachdem ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, mit sechs Jahren von ihrem Onkel adoptiert. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Der hat sich vom Acker gemacht, als Leylas Mom noch schwanger war.

      Trotz ihrer Vergangenheit sieht man sie eigentlich ständig strahlen.

      »Wow, wo sind deine Haare geblieben?«, fragt Emily und sieht Leyla mit großen Augen an.

      Unsere Bedienung fährt sich durch die neue Frisur. »Ich wollte mal etwas anderes ausprobieren.«

      Seit ich sie kenne, hatte sie lange schwarze Haare, die ihr bis über die Mitte des Rückens reichten. Jetzt fallen sie ihr nicht mal mehr über die Schulter.

      »Steht dir«, sage ich.

      »Danke.« Sie macht eine kleine Verbeugung. »Also, was darf’s sein?«

      »Wie immer«, antworten Emily und ich wie aus einem Mund.

      »War ja klar.« Leyla verdreht amüsiert die Augen. »Kommt sofort.« Damit macht sie auf ihren hohen Absätzen kehrt.

      Em und ich grinsen, als wir hören, wie Leyla unsere Namen in die Küche ruft. Anscheinend genügt das Dan, um zu wissen, was er als nächstes zubereiten muss.

      Emily lässt sich in die Polster sinken und sieht mich aufmerksam an. Ihr Blick durchbohrt mich fast und ich frage mich, was sie sucht.

      Sie braucht nicht mal etwas zu sagen, damit meine Wangen zu glühen beginnen.

      »Raus mit der Sprache.«

      »Mit was?«

      »Warum deine Backen gerötet sind.«

      Ich wische mit der Hand über mein Gesicht, als wäre ich schmutzig.

      »Ist immer noch da«, sagt meine Freundin vergnügt. »Also?«

      »Ich weiß nicht, was du meinst.« Dabei bin ich es, die nicht versteht, warum ich gerade jetzt an den Typ denken muss, der mir seit gut drei Wochen den Kopf verdreht.

      Emily lehnt sich nach vorn, stützt ihre Unterarme auf den Tisch und legt den Kopf schräg. »Wer ist es?«

      Ich habe niemandem verraten, dass ich bei Sawyer war und ihn für einen Auftrag angeheuert habe. Vielleicht weiß es Mr. Moore, dann aber nur, weil es ihm Dylan erzählt hat.

      »Ich war bei Dylan Sawyer.« Ich knete meine Hände, weil ich auf einmal nervös bin. Em und ich haben uns geschworen, uns von Bad Boys fernzuhalten. Besonders nach dem Zwischenfall mit Matthew. Über Dylan wird nicht sehr viel Schmeichelhaftes erzählt. Obwohl die meisten Gerüchte vermutlich erfunden und erlogen sind, und ich sie nicht wirklich glaube, sind sie doch in meinem Hinterkopf. Und wenn ich an die Begegnungen mit ihm denke, ist mehr als klar, dass er kein einfacher Mensch ist.

      Emily reißt die Augen auf. Ich befürchte schon, sie fallen raus, wenn sie sie nicht bald wieder kleiner macht. »Du warst bei Sawyer? Bei dem, der bei deinem Gärtner seine Werkstatt hat?«

      Ich nicke mehrmals. »Genau bei dem.«

      »Was hast du denn bei dem gesucht?« Sie klingt schockiert.

      Wäre ich wahrscheinlich auch, wenn sie mir erzählt hätte, sie wäre bei Dylan gewesen. Nein, ich weiß, ich wäre sprachlos und hätte den Mund offen stehen, so wie Em gerade.

      »Du kannst ihn wieder schließen.«

      Leyla, die mit unseren Getränken zurück ist, sieht irritiert zu Emily. »Wie guckst du denn aus der Wäsche?«

      Auch wenn ich es versuche, gelingt es mir nicht das Lachen zu verkneifen. Erst als ich Ems zusammengekniffenen Augen sehe, werde ich wieder mucksmäuschenstill.

      »Oh, oh, ich lasse euch lieber wieder allein«, sagt Leyla rasch. »Hier dein Mountain Dew.« Sie stellt eine Flasche und ein Glas vor mich. Emily bekommt ihre Coke, dann verlässt sie unseren Tisch, nicht ohne mir vorher noch aufmunternd zuzuzwinkern.

      »Du machst den anderen Angst, wenn du weiter so dreinschaust«, versuche ich Emily zu besänftigen, doch sie starrt mich weiterhin entgeistert an. »Em, bitte hör auf so eine grantige Grimasse zu ziehen. Ich war bloß bei ihm, weil ich einen antiken Schrank renovieren lassen wollte. Heute hat er ihn abgeholt.« O je, das hätte ich wohl lieber für mich behalten. Jedenfalls fürs Erste.

      Denn Emilys Augenbrauen verschwinden unter ihrem Pony. »Er war bei dir?«

      Ich nicke.

      »Und warum hast du mir nie davon erzählt?«

      »Weil es nicht wichtig ist.«

      »So, so.« Sie tippt mit dem Zeigefinger auf den Tisch, dabei sieht sie mir geradewegs in die Augen. Ich winde mich unter ihrem durchdringenden Blick. »Magst du ihn?«

      »Was?!«, kommt es wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund. »Ich habe mich genau zweimal mit ihm unterhalten. Und beide Male war er ziemlich abweisend.« Trotzdem muss ich immer wieder an ihn denken. Sehe ständig seine braunen Augen. Möchte seine tiefe Stimme hören. Verspüre den Wunsch, zu ihm zu gehen, ihn zu berühren, ihm durch seine dunklen Haare zu fahren.

      Emilys leises Aufseufzen reißt mich aus meinem Kopfkino und holt mich zurück in die Gegenwart. »Anscheinend haben diese zwei Treffen gereicht,