Hannah Rose

Russell - Rollentausch


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»Danke«, murmelte er, in seine unbeholfene Einsilbigkeit zurückkehrend.

      Doch als er jetzt zu seinem Platz ging, war es ihm egal, was der Rest der Klasse über ihn dachte. Was interessieren mich dich anderen, lächelte er in sich hinein, wenn Anouschka mein Vortrag gefallen hat?

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      Das weitere Vorsprechen entwickelte sich zu einem Fiasko. Die Jungs versuchten sich an ihren Texten mit übertrieben hohen Stimmen, während die Mädchen sich wie ausgemachte Machos gaben. Miss Staffords ›geniale‹ Idee schien genau das Gegenteil von dem zu sein, was sie sich davon erwartet hatte.

      Crystals Vortrag empfand Russell als einen der Schlimmsten, denn sie versuchte den Eindruck eines Robert DeNiro zu hinterlassen. Er kam nicht umhin, sich verlegen auf seinem Platz zu winden und wunderte sich darüber, wie ein Mädchen, dass so cool und beliebt war, sich vor allen selbst zum Narren machte. Das Ganze hatte nicht einmal etwas Humorvolles an sich – es war einfach nur schrecklich.

      Anouschka kam als letzte dran.

      Mittlerweile fühlten sie sich alle ziemlich ausgelaugt und gedemütigt, und Russell bemerkte, dass sie alle nur noch aus dem Raum wollten. Als er sie vorne sah und anstarrte, hätte er seinen rechten Arm für sie geben wollen und wünschte sich, es möge ein Wunder geschehen, ihr diese Blamage zu ersparen. Doch Miss Stafford unternahm nichts die Sache zu beenden oder sie zumindest etwas von Julia vortragen zu lassen – und er hasste sie dafür, dass sie dem Mädchen seiner Träume ebenfalls diese Folter zuteilwerden ließ.

      Wieder verstummte die Gruppe, als Anouschka die Bühne betrat.

      Doch dann geschah etwas Erstaunliches. Denn anstatt ihren Monolog mit übertrieben tiefer, verstellter Stimme zu lesen, wie die anderen Mädchen, modulierte Anouschka ihr Stimme nur geringfügig – gerade so weit, dass sie eine Nuance unter ihre normale kam, während sie ihre Körpersprache anpasste, um einen Hauch weniger weiblich rüberzukommen. Dazu neigte sie sich leicht nach vorne, zog ihre Schultern mit und spreizte ihre Beine ein wenig – gerade so, wie man es bei den Jungs sehen konnte.

      Wie geil ist das denn?!, entfuhr es Russell still. Der Effekt ist echt unglaublich!

      Auf ihn machte Anouschka in diesem Moment wirklich den Eindruck ein richtiger Kerl zu sein, und während sie vortrug, zeigte sie obendrein, dass sie auch das Stück bestens beherrschte. Vielleicht lag es daran, dass es die anderen Mädchen nun schon so oft gelesen hatten, doch sie brauchte das Blatt in ihrer Hand nicht ein einziges Mal, so textsicher war sie, als sie mit kräftiger Stimme ihre erschreckend gute Version von Romeos Auftritt in Capulets Garten zum Besten gab.

      Russell wusste nicht zu sagen, was ihn dazu brachte, aber ohne dazu aufgefordert worden zu sein, lief er nach vorne und betrat von der anderen Seite die Bühne, indessen Anouschka sprach:

      »Der lacht über Narben, die nie keine Wunde fühlte … Aber Stille! … Was für ein Licht bricht aus jenem Fenster hervor? Es ist der Osten, und Julia ist die Sonne …«

      Ein Lächeln huschte über Russells Gesicht, als er an der ihr gegenüberliegenden Bühnenseite langsam auf- und abschritt und wortlos zu ihr hinübersah, wissend das ihr Text noch weiterging.

      »Geh auf, schöne Sonne, und lösche diese neidische Luna aus, die schon ganz bleich und krank vor Verdruss ist, dass du viel schöner bist, obwohl ihr dienend … Oh, da sie neidisch ist, so dien' ihr nicht! Nur Toren geh‘n in ihrer blassen, kranken Vestalentracht einher: wirf du sie ab! … Sie ist es, meine Göttin! meine Liebe! Oh, wusste sie, dass sie es ist! … Sie spricht, doch sagt sie nichts: was schadet das? Ihr Auge redet, ich will ihm Antwort geben … Ich bin zu kühn, es redet nicht zu mir … Ein Paar der schönsten Sterne am ganzen Himmel, die anderswo Geschäfte haben, bitten ihre Augen, dass sie, indessen bis sie wiederkommen, in ihren Sphären schimmern möchten … Wie wenn ihre Augen dort wären, und jene in ihrem Kopfe? Der Glanz ihrer Wangen würde diese Sterne beschämen, wie Sonnenlicht die Lampe? Würd' ihr Aug' aus luft'gen Höh'n sich nicht so hell ergießen, dass Vögel sängen, froh den Tag zu grüßen? … Oh, wie sie auf die Hand die Wange lehnt! Wär' ich der Handschuh doch auf dieser Hand, und küsste diese Wange!«

      Jetzt sprang ihr Russell zur Seite und rief theatralisch, die Arme nach oben reißend: »Ach! Ich Unglückliche! Wehe mir!«

      »Horch!« Anouschka legte eine Hand als Trichter an ihr Ohr. »Sie spricht. Oh, sprich noch einmal, holder Engel!«, fuhr Anouschka fort. »Denn über meinem Haupt erscheinest du der Nacht so glorreich, wie ein Flügelbote des Himmels dem erstaunten, über sich gekehrten Aug‘ der Menschensöhne, die sich rücklings werfen, um ihm nachzuschauen. Wenn er dahin fährt auf den trägen Wolken und auf der Luft gewölbtem Busen schwebt.«

      »Oh, Romeo! Warum denn Romeo?!«, rief Russell ihr zu. »Verleugne deinen Vater, deinen Namen! Willst du das nicht, schwör‘ dich zu meinem Liebsten, und ich bin länger keine Capulet!«

      »Hör‘ ich noch länger, oder soll ich reden?«, murmelte Anouschka ans Publikum gewandt.

      »Dein Nam' ist nur mein Feind. Du bliebst du selbst, und wärst du auch kein Montague. Was ist denn Montague?«, setzte Russell nun nach. »Es ist nicht Hand, nicht Fuß, Nicht Arm noch Antlitz, noch ein andrer Teil. Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften … So Romeo, wenn er auch anders hieße, er würde doch den köstlichen Gehalt bewahren, welcher sein ist ohne Titel … Oh, Romeo, leg' deinen Namen ab, und für den Namen, der dein Selbst nicht ist, nimm meines ganz!«

      Anouschka erhob sich von ihrem Platz und trat schnell auf Russell zu. »Ich nehme dich beim Wort. Nenn‘ Liebster mich, so bin ich neu getauft. Ich will hinfort nicht Romeo mehr sein!«

      Diesmal war es nicht nur Miss Stafford, die sich zu einem begeisterten Beifall hinreißen ließ. Die ganze Gruppe war fassungslos über das, was ihnen gerade geboten worden war.

      »So wie ich das sehe, haben wir gerade die richtigen für die Hauptrollen des Stücks gefunden!«, verkündete Miss Stafford strahlend, kaum, dass der Applaus etwas nachgelassen hatte. »Russell wird die Julia spielen und Anouschka … Du bist unser Romeo!« Sie wandte sich an die Gruppe. »Alle anderen, die noch mitspielen möchten, treffen sich am Montag nach dem Unterricht wieder hier ein. Dann besprechen wie die anderen Rollen.«

      Damit war das Vorsprechen für diesen Nachmittag auch schon beendet.

      Sprachlos wandte Russell seinen Kopf in Anouschkas Richtung. Wir beide, als … Romeo und Julia? Es kam ihm vor, als wären seine wildesten Fantasien wahr geworden.

      Als er sich umdrehte, um den Raum der Theatergruppe zu verlassen, schaute Anouschka ihn kurz an und schenkte ihm ein Lächeln – eines, das sein Herz vor Freude aufgeregt hüpfen ließ.

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