Valerie Parker

Heißer Heiligabend


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diesem attraktiven Mann schäbig vor. Sie trägt ihre langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz, und geschminkt ist sie schon gar nicht. Hinzu kommt, dass sie diesen blöden sackähnlichen Kittel trägt, der von ihrer schlanken Figur mal so gar nichts zeigt. Zudem sind ihre Fingernägel eine Katastrophe. Der Stress und Verlust ihrer Familie hat dafür gesorgt, dass sie regelmäßig daran herumnagt. Mist!

      Ein charmantes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht, das winzige Fältchen um seine Augen erscheinen lässt und sie fast in die Knie zwingt. Ihr ganzer Körper beginnt zu kribbeln, und ihre Muschi fängt an zu pochen. So eine Reaktion hatte sie schon lange nicht mehr bei einem Typen, und bei diesem Job sind ihr schon eine Menge untergekommen. Aber sie hatte auch seit bestimmt einem Jahr keinen Sex mehr. Ein halbes Jahr, bevor ihre Eltern gestorben sind, hat sie ihren Freund verlassen, und nach dem schrecklichen Ereignis hatte sie keine Lust auf Männer. Aber bei diesem Exemplar könnte sie glatt eine Ausnahme machen. Obwohl sie eigentlich nicht auf Bärte steht.

      Als die Sachen, die er auf das Band gelegt hat, bei ihr ankommen, muss sie sich ein Lachen verkneifen, denn das ist wirklich ein Einkauf auf den letzten Drücker: zwei Pakete bunter Lichterketten und zwei Flaschen Wein.

      Lucie spürt, wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen schleicht, als sie beginnt, die Waren über den Scanner zu ziehen.

      „Ich weiß gar nicht, was es da zu lachen gibt, Frau Meyer.“

      O Gott, seine rauchige und männliche Stimme beschert ihr eine Gänsehaut. Sogar ihr Höschen wird davon feuchter. Sie blickt zu ihm auf. „Sorry, aber das ist so ein typischer Auf-den-letzten-Drücker-Einkauf. So etwas Ähnliches habe ich heute schon öfter über den Scanner gezogen. Das macht 50,93 Euro, Herr …?“

      Aus einem Impuls heraus möchte sie unbedingt seinen Namen wissen, wenn er den ihren so leicht von ihrem Kittel ablesen konnte.

      Belustigung funkelt in seinen fesselnden Augen, und seine anbetungswürdigen Lippen heben sich zu einem Lächeln. O Mann, sie muss feststellen, dass sie unbedingt mal wieder vögeln muss, denn ihre Mitte zieht sich verlangend zusammen, und das auch noch bei einem Typen, auf den zu Hause wahrscheinlich eine Freundin wartet.

      „Claus ist mein Name. Meine Lichterkette ist kaputtgegangen, und Wein habe ich doch tatsächlich zu kaufen vergessen.“

      Lucie nickt. „Das hätte mir auch passieren können. Nicht der Wein, aber dass die Lichterkette kaputtgeht. Zum Glück habe ich dieses Jahr keine aufgehängt.“ Ups, das war ihr so rausgerutscht.

      „Nicht in Weihnachtsstimmung? Das passt zu Ihren traurigen Augen.“

      Ist das so offensichtlich? Beschämt schaut sie auf den Barcodescanner. Aber sie wird sich mit einem Fremden bestimmt nicht darüber unterhalten, obwohl ihr überhaupt nicht bewusst ist, dass ihre Augen traurig blicken.

      Herr Claus gibt ihr seine Kreditkarte. Wie dämlich, denkt sie sich, da hätte ich auch nicht nach seinem Namen zu fragen brauchen. Aber sie konnte ja auch nicht wissen, dass er mit Kreditkarte bezahlen würde.

      Während Herr Claus seine Einkäufe in eine mitgebrachte Stofftasche packt, steckt sie die Karte in das vorgesehene Gerät. Als es piept, holt sie die Karte wieder heraus und legt ihm den Beleg zum Unterschreiben hin. Während er dies erledigt, schaut sie sich den Namen genauer an und wäre fast in Gelächter ausgebrochen. Santa Claus, das konnte doch nicht sein Ernst sein! Obwohl sie es nicht will, blickt sie noch einmal in sein Gesicht. „Das ist doch ein Scherz, oder? Kein Mensch heißt Santa Claus!“

      Ein herzzerreißendes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. „Leider ja, meine Eltern sind totale Weihnachtsidioten und fahren sehr auf diesen Mist ab. Deswegen habe ich noch schnell die Lichterketten besorgt. Sie kommen mich morgen besuchen, und es käme einer Todesstrafe gleich, wenn ich nicht wenigstens ein Fenster schmücken würde.“

      Diese Worte reichen aus, um den Anflug einer guten Laune wieder verfliegen zu lassen. Sie möchte nur noch nach Hause. Schnell vergleicht sie die Unterschrift mit der auf der Kreditkarte, gibt sie ihm wieder und ist erleichtert, als ihr Chef um die Ecke kommt. Das kann nur bedeuten, dass kein Kunde mehr im Laden ist und er abschließen möchte.

      „Dann wünsche ich Ihnen ein frohes Weihnachtsfest, Herr Claus.“

      Verwirrt blickt er sie an, weil er anscheinend nicht damit zurechtkommt, ihn auf einmal so abrupt loswerden zu wollen. „Okay, Frau Meyer, das Gleiche wünsche ich Ihnen auch.“

      Lucie nickt und beschäftigt sich damit, sich von der Kasse abzumelden, sieht aber noch aus den Augenwinkeln, wie er kopfschüttelnd zum Ausgang geht. Was für ein Kerl, der sie so scharfgemacht hat. Schade, dass er mit so persönlichem Quatsch angefangen hat. Viel lieber hätte sie es gehabt, wenn er zu ihr gesagt hätte, sie solle sich nackt ausziehen, damit er sie auf dem Kassenband vögeln kann.

      Lucie schüttelt den Kopf. Was hat sie heute nur für unanständige Gedanken? Bevor sie noch weiter dem Kopfkino verfällt, schnappt sie sich die Kasse, um nach hinten zu gehen, das Geld zu zählen, um dann ganz schnell nach Hause gehen zu können.

      - 2 -

      Endlich zu Hause angekommen, wirft sie ihren durchnässten Mantel auf einen Bügel und streift sich die Stiefel von den Füßen. Gerade hatte sie den Supermarkt verlassen, da fing es heftig zu schneien an. Ohne im Besitz eines Autos zu sein, ist sie auf Bus und Bahn angewiesen, die natürlich heute um diese Zeit nicht mehr normal, sondern nach einem Sonderfahrplan fahren. Auf den nächsten Bus musste sie zwanzig Minuten warten. Ganz toll. Jetzt verflucht sie zum ersten Mal, dass sie sich fernab der Stadt ein Haus gemietet hat. Oder eher ein Häuschen, denn es ist sehr klein. Unten gibt es nur eine winzige Küche und ein Wohnzimmer. Durch den Flur gelangt man über eine Mini-Wendeltreppe nach oben, wo es nur ein Bad mit Wanne und ein Schlafzimmer gibt.

      Ausschlaggebend, das Haus zu mieten, waren der niedrige Preis und der offene Kamin im Wohnzimmer. Sie liebt das offene Feuer und die Wärme. Es erinnert sie an ihre verlorene Familie. In ihrem Haus gab es auch einen Kamin, und sie haben wunderschöne Abende dort verbracht. Haben viel geredet oder mal einen Gesellschaftsspielabend veranstaltet. Vor den alten Kamin hätte sie sich nicht setzen können, aber dieser ist ihr eigener, da kann sie die Erinnerungen besser aushalten und hat nicht das Bild vor Augen, mit ihrer Familie dort zu sitzen, sondern fühlt sich ihr nur sehr nahe.

      Auf diesen geht sie jetzt zu, muss ihr kleines Wohnzimmer durchqueren, was sie mit einem gemütlichen Sofa, einem kleinen Tisch und einem flauschigen Teppich ausgestattet hat. An der Wand vor dem Sofa steht eine Wohnwand mit einem Fernseher. Daneben befinden sich Regale mit Unmengen von Büchern. Sie liebt es, zu lesen und in die Fantasiewelt einzutauchen, in dem letzten halben Jahr noch mehr als sonst. Deko hat sie keine herumstehen, weil sie dafür kein Händchen hat. Blumen gehen bei ihr immer ein, weil ihr der berühmte grüne Daumen fehlt. Ganz darauf zu verzichten ist die bessere Alternative. Eine Wand hängt aber voll mit Fotos ihrer Familie. Über dem Kamin hängt ein großes Bild, auf dem sie mit ihren Eltern und Schwestern abgebildet ist. Es wurde erst kurz vor dem Unfall aufgenommen, und sie ist froh, es zu haben.

      Eine Weile schaut sie die strahlenden Gesichter an. Es dauert nicht lange, und Tränen treten in ihre Augen. Der Schmerz ist noch so groß, sie vermisst sie so sehr. Noch ist ihr nicht klar, wie sie die nächsten Tage überstehen soll.

      Gequält seufzt sie auf und feuert den Kamin an. Die aufkommende Wärme trocknet ihre Tränen, und am liebsten würde sie sich in den Ohrensessel mummeln, den sie vor den Kamin gestellt hat. Aber vor Selbstmitleid und Traurigkeit möchte sie auch nicht vergehen, das würden ihre Eltern und Geschwister nicht wollen.

      Mit hängenden Schultern geht sie nach oben ins Badezimmer und lässt warmes Wasser einlaufen. Es ist sehr beengend, am Eingang neben der Wanne ist die Toilette, und für mehr als einen Spiegelschrank über dem Waschbecken ist kein Platz.

      Großzügig schüttet Lucie Badeschaum ins Wasser und würde jetzt schon gern in die verlockende Wärme schlüpfen. Vorher muss sie aber noch einmal hinunter in ihre gemütliche Bauernküche, die sie nach ihrem Ermessen renovieren durfte. Viel Platz gibt es nicht, das Mobiliar besteht