Beatrice Bellmann

Mit Leichtigkeit ins neue Leben


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      7. November

      Ich musste geschäftlich nach Leipzig zu einer Veranstaltung. Es war ein stundenlanges Martyrium. Ich war den ganzen Tag unkonzentriert. Die Gespräche mit anderen Menschen nervten mich, weil ich nicht zuhören konnte. Als ich wieder zu Hause war, ließ ich den ganzen Kummer wieder heraus und schrie vor Schmerz. Ich hatte die letzten vier Tage in jeder Sekunde an Metin gedacht. Ich vermisste ihn unendlich. Ich konnte nichts mehr essen und hatte schon abgenommen. Ich trank wieder Rotwein und rauchte. Wir hatten Post von meinem Cousin und seiner Frau aus Mannheim, die sehr bestürzt waren über unsere Trennung. Die beiden schickten ein paar tröstende Zeilen. „Eure Nachricht hat uns aus heiterem Himmel erreicht und sehr traurig gemacht. Da dies nun ohne Zweifel eine schwere Zeit für euch ist, würden wir uns über ein Zeichen von euch freuen, sobald die Zeit etwas Abstand gebracht hat. Natürlich haben wir hier in unserer Wohnung ein Gästebett und freuen und jederzeit auf einen Besuch, um ordentlich gedrückt zu werden.“

      Wir vier hatten uns sehr gut verstanden und einiges miteinander unternommen und viel gelacht. Das alles war nun vorbei. Mein Schmerz kannte keine Grenzen.

      8. November

      Ich las viel im Internet über Erste Hilfe für Liebeskummer-Kranke. Ich las, dass ich mir täglich etwas Gutes gönnen, mich täglich weiterhin schön machen und pflegen sollte, keinen Kontakt zum Ex haben und jede Einladung annehmen sollte, jeden Tag einzeln angehen und nur von heute auf morgen denken sollte, nicht unkontrolliert traurig sein sollte, sondern zu vorgegebenen Zeiten, viel reden sollte, die Wohnung umgestalten sollte, mir etwas Schönes zum Anziehen kaufen sollte und erkennen sollte, dass ich die wichtigste Person in meinem Leben bin. Die Tipps, die ich zum Teil schon beherzigte, taten mir gut. Ich ging jeden Tag gepflegt und gestylt ins Büro, auch wenn mir der Kummer ins Gesicht geschrieben stand. Denken konnte ich sowieso fast nur von heute auf morgen, alles andere überforderte mich völlig – aber reden tat mir gut.

      Patrizia besuchte mich abends, um Flüge zu buchen. Im April wollte meine Familie anlässlich des Geburtstags meiner Mutter auf eine Mittelmeerinsel fliegen. Ich heulte ohne Ende. Sie war genauso bestürzt. Es tat sehr gut, mich bei meiner Schwester, die mich verstand, auszuweinen. Es tat auch gut, sich auf einen Urlaub zu freuen. Ein kleiner Lichtblick am Horizont!

      9. November

      Ich schlief seit Wochen in den Nächten maximal drei Stunden, und das noch nicht einmal am Stück. Ich sah aus wie der Tod auf Latschen und aß kaum. Damit ich wenigstens ein paar Kalorien zu mir nahm, trank ich jeden Abend einen halben Liter Kakao mit Vollmilch, bevor ich zum Rotwein griff. Mein erster Gedanke beim Aufwachen war: Metin ist weg! Mein zweiter Gedanke: Er hat eine andere! Es fühlte sich an wie Messerstiche, der ganze Körper schmerzte, in meinem Kopf hämmerten Millionen von Gedanken, und ich fühlte mich unendlich schuldig. Ich hatte das Gefühl, nichts wert zu sein. So ging ich durch den Tag. Ich konnte niemandem mehr zuhören, ich schaute nicht mehr fern, las nichts mehr, nichts interessierte mich. Im Büro war ich oft aggressiv. Ich konnte es nicht ertragen, wenn mir jemand etwas erzählte, da ich mich auf gar nichts mehr konzentrieren konnte und oft unhöflich das Gespräch abwürgte oder verkürzte. Ich dachte immer nur: Mein Mann, den ich von Herzen liebte, hatte mich verlassen und lag nun mit einer anderen Frau im Bett! Ich nahm alle seine Vorwürfe an und verurteilte mich deshalb. Ich saß oft vor dem Internet und googelte Worte wie „Liebeskummer“, „Lückenfüllerin“ oder „Verarbeitung Liebeskummer“ und las stundenlang in der Hoffnung, dass es mir danach besser gehen würde. Ich las, auf welch unterschiedliche Weisen Frauen und Männer Liebeskummer verarbeiteten. Ich fand weitere Erste-Hilfe-Anleitungen für Liebeskummer-Kranke. Ich druckte mir vieles aus, was ich diesbezüglich an Literatur aus dem Internet bekam, und verschlang diese. Die beste Rache sollte übrigens sein, ein glückliches Leben zu beginnen. Davon war ich noch weit entfernt, wollte es aber gern. In der Mittagspause kaufte ich drei Bücher über Liebeskummer. In einem Buch war ein Kapitel den Lückenfüllern gewidmet. Besonders Männer nahmen sich schnell eine, um sich abzulenken und die innere Einsamkeit zu überdecken. Zweisamkeiten mit Lückenfüllern halten aber nicht lange. In den meisten Fällen nur so lange, bis es dem Getrennten emotional wieder gut geht. Es war meine Hoffnung, dass es bei Metin und seiner Neuen auch so war.

      Nachmittags ging ich zu meiner Hausärztin, da ich die unentwegten Magenschmerzen nicht mehr ertragen konnte. Ich konnte mich bei ihr nur mühsam beherrschen, nicht in Tränen auszubrechen. Sie schaute immer wieder auf meinen Ehering, den ich auf jeden Fall im Büro bis zum Tag der Scheidung tragen würde. Dann gab sie mir etwas gegen die Bauchschmerzen, ein Antidepressivum und eine Broschüre mit Namen von Psychotherapeuten in meinem Bezirk.

      Meine Mutter hatte mir eine Broschüre von Selbsthilfegruppen in den Briefkasten gesteckt. Darauf hatte sie geschrieben: „Du bist wer!“

      Ich brauchte so schnell wie möglich Hilfe. Ich saß niemals depressiv herum, außer wenn ich Rotwein trank und Zigaretten rauchte (ich wunderte mich, wie schnell aus einem Nichtraucher ein Raucher werden konnte), ich lief immer wie eine Gehetzte herum, immer unruhig und immer überlegend, was ich als Nächstes tun könnte.

      Abends fuhr ich zu Katja zum Essen. Ihre Schwester Vanessa war auch da, sie hatte sich gerade von ihrem Ehemann getrennt. Katja hatte nach wie vor Kummer mit ihrem Freund. Es tat uns allen drei so gut, sich gegenseitig auszusprechen. Ich musste immer reden, etwas anderes als mein Kummer und der meiner Freundinnen interessierte mich zurzeit nicht.

      10. November

      Im Büro fing ich mitten in der Arbeit an zu weinen. Anita fragte mich, ob ich eine Runde mit ihr drehen wollte. Die kalte Luft tat mir gut. Ich erzählte ihr ein paar Sätze, keine Details, aber gerade so viel, dass es mir gut tat. Ich war ihr so dankbar, weil sie mir eine Menge Arbeit abnahm, die ich zurzeit nicht bewältigen konnte. Die anderen Kollegen sollten es nicht erfahren. Ich wollte mir einen Ort bewahren, an dem ich mich normal geben und an dem ich normal behandelt werden wollte. Außerdem hätte es sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen.

      Abends hielt ich es nicht zu Hause aus. Ich fuhr wieder zu ihm. Die Haustür war angelehnt, und ich konnte ohne Probleme durch den Hof in sein Fenster spähen. Sie waren zwar durch Tücher verhängt, aber links und rechts von ihnen waren Spalte. Sie saßen auf einem zusammengefalteten Karton, sahen fern, tranken Rotwein und rauchten. Auf dem Herd stand Essen. Dann beugte sie sich zu ihm herüber, und sie küssten sich. Ich fand, er sah dabei merkwürdig aus, steif und mit halb verrenktem Hals, so, als ob er keinen Spaß dabei hatte. Den hatte er sicher auch nicht. Es war sicher ein merkwürdiges Gefühl für ihn, plötzlich eine andere Frau zu küssen. Ich konnte sehen, dass er noch keine Möbel hatte – bis auf die Küchenmöbel, die schon halb aufgebaut waren. Auf jeden Fall hatte er mich angelogen. Es war nicht aus zwischen ihnen, sondern es ging weiter. Ich konnte sie mir genau ansehen. Sie war höchstens vierundzwanzig und dünn, und ich fand sie sehr unattraktiv. Die Augenbrauen hatte sie rasiert und mit einem Stift nachgezeichnet. Sie konnte ihm unmöglich gefallen.

      Ich wollte ihnen keinen schönen Abend gönnen, also rief ich ihn von zu Hause an und fragte ihn, wann er die restlichen Sachen holen wollte. Er sprach müde und langsam vom Alkohol: „Ich weiß noch nicht. Wann bist du denn nicht da? Vielleicht am Montag.“

      Ich wollte ihn aus der Reserve locken: „Hat denn deine neue Freundin ein Auto? Ich würde es dir ja bringen, aber dann ist sie da, und das will ich nicht.“

      „Nein, nein, hier ist keiner.“

      „Doch, ihr wohnt doch zusammen. Du musst mich nicht anlügen.“

      Ich fragte, ob seine neue Freundin einen Job hätte. Er sagte, er wolle jetzt nicht reden, und wir hängten ein.

      Nach dem Telefonat ging es mir besser, und ich hatte keine Bauchschmerzen mehr. Er hatte mich angelogen! Er hatte mich nicht verdient! Meine Liebe war vorbei! Ich spürte plötzlich einen Energieschub.

      Sie hatten sich einfach so geküsst, ohne dass er über sie herfiel. Wenn wir uns geküsst hatten, wollte er immer gleich Sex. Außerdem war er Raucher. Das waren die Gründe, warum wir uns nur noch selten geküsst