man mit hellem Lehmboden in Berührung kam – hinten bei dem letzten Bunker … hinten in der Ecke rechts!
Angst pochte in seiner kleinen Brust. In jedem der Spinde vermutete er grässliche Monster und skrupellose Killer. Aber von wem waren die Fußspuren? Von dem gruseligen Kittelmann? Oder war es die Fratze aus seinem Traum? Oder war es ein und dieselbe Person? Zögerlich setzten sich die knallroten Fellpuschen wieder in Bewegung, schlurften an der Tür seiner Schwester vorbei.
Wenn jetzt etwas Schreckliches passierte, konnte er immer noch zu ihr flüchten!
Dann stand er vor der Tür, die in den hinteren Flur führte. Grellgebündelt heftete sich der Lichtstrahl an den Türgriff, jedoch schnellte er sofort auf den Boden zurück, um sich zu vergewissern, ob die Fußspuren bis hierher reichten.
Zittrig streckte er die Hand nach dem blanken Griff aus. Nichts geschah. Er wusste, dass die Tür nach außen aufschwang. Also trat er noch einen Schritt heran, um sich mit dem Körper dagegenzustemmen. Für Sekunden lauschte er.
Nichts war zu hören.
Endlich drückte er den Griff hinunter. Die Tür flog auf.
Sie saugte ihn förmlich über die zertretene Holzschwelle und jetzt ging alles rasend schnell. Alles spielte sich ab wie in einer Verfolgungsszene von „Tom und Jerry“, zudem konnte er dem Druck auf seiner Blase nichts mehr entgegenhalten. Mit wehendem Bademantel stürmte er um die Ecke in den großen Flur und zur hinteren Wand. Nur sein Mut und seine Taschenlampe trugen ihn bis dorthin und bis zu der Badezimmertür. Eilig sprang er die zwei Stufen hinauf und stieß auch diese Tür auf. Schnell fand er den Drehschalter für das Deckenlicht. Zunächst flackerte es, sprang ihm dann aber frontal ins Gesicht. Instinktiv kniff er die Augen zu, hielt abwehrend die Hand vor das Gesicht, wobei er das Toilettenbecken anvisierte.
Sein Blinzeln zog ihn mühelos hinauf auf den Brillenrand. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sich die Augen an das grelle Neonlicht gewöhnten, doch diese Zeit nutzte er, um seine Pyjamahose herunterzuziehen, indem er dabei auf dem Brillenrand hin- und her rutschte.
Endlich konnte sich der widerliche Druck lösen.
Dabei hielt er die Augen einfach geschlossen.
Der fensterlose Toilettenraum war ungewöhnlich groß.
Die Wände waren in mattem Gelb. Gegenüber stand eine klobige Badewanne mit geschwungenen Füßen, daneben ein rechteckiges, tiefes Waschbecken und darüber ein schlichter Spiegel. Eine Lüftungsklappe atmete hoch über dem Toilettenbecken und ließ eine Kette bis in Kopfhöhe herunterhängen. Selbst hier hatte der Betonboden den weinroten Lack. Tagsüber benutzten gleichwohl die weiblichen Arbeiterinnen das Badezimmer. Erst zum Abend ging Mutter Kirchner daran, alles für die Familie zu reinigen.
Doch Georgie wusste es besser, auch der unheimliche Kittelmann machte in dieses Klobecken.
Momentan war das alles nicht wichtig. Jetzt quälte ihn der Gedanke an seinen Rückweg. Irgendwann musste er ihn antreten.
Überall würde er zuerst Licht machen, bis er den nächsten Flur erreicht hat, dann schnell zurücklaufen und hinten anfangen, das Licht wieder zu löschen. So wirds gehen.
Eine andere Alternative wollte er nicht finden. Er sprang vom Brillenrand herunter und hüpfte hinüber zur Tür. Um nicht unnötig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, unterließ er es, zu spülen. Noch im Hüpfen rückte er die Pyjamahose und den Bademantel zurecht, als es plötzlich aus der Lüftungsklappe herausstöhnte. Ein faulig, süßlicher Geruch strömte ein. Wild fing das Raster zu klappern an. Georgie machte reflexartig einen Sprung gegen die Wand. Sein Blick schoss hinauf zu der Klappe, als wäre nur er imstande, das Stöhnen und den üblen Gestank zu stoppen. Das Getöse dauerte nur wenige Sekunden an, aber ein großer Schock umklammerte Georgies Herzmuskel. Groteskerweise schoben sich in diesem Augenblick die Lichtschalter der beiden Flure und der Pausenhalle in seinen Sinn.
In dem Gebäude kannte er fast alle.Unvermittelt stürmte er los.
Sekunden darauf flackerten die Neonröhren im hinteren Flur auf, bis sie endgültig brannten. Bedrohlich breitete sich der riesige, fast quadratische Flur vor ihm aus, während seine Fellpuschen über den roten Betonboden hinwegfegten, als wollten sie jeden Moment abheben.
Selbstverständlich schoss sein Blick nach rechts zu den beiden gewaltigen Eisentüren. Graue, sehr hohe und breite Türen mit langen Riegeln. Nie standen sie offen.
Diesmal jedoch erschrak er schlagartig, während er rannte, sodass er einen hellen Schrei ausstieß.
Eine der beiden Eisentüren stand offen, einen Spalt weit, und die schlammigen Fußspuren führten direkt dort hinein.
Wie durch einen zusätzlichen Stoß in den Rücken flog er davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Den Plan, das Licht nach und nach wieder zu löschen, verwarf er noch in dieser Sekunde.
Das Neonlicht brannte bis zum nächsten Morgen, was niemanden ernsthaft verwunderte.
Von nun an ging Georgie völlig anders mit Dingen um, die in seiner unmittelbaren Umgebung passierten. Er hatte ein neues Geheimnis.
Ein gespenstisches Geheimnis!
>Totenklage ist ein arger Totendienst, Gesell!
Wollt ihr eure Toten zu
Gespenstern machen oder wollt ihr uns Heimatrecht geben?
Macht uns nicht ganz zu greisenhaft ernsten Schatten! <
„Der Wanderer zwischen beiden Welten“
Die neue Erscheinung
Vier Jahre später
11. November 1964
Kapitel 6
„Mutti, Mutti, es hat ganz doll geschneit! Mutti, komm’ schnell!“, schrie Georgie begeistert, wobei seine Stimme kippte.
Begeistert hüpfte er am Fenster hin und her.
Er war mit der Gewissheit aufgewacht, dass sich draußen etwas verändert haben musste.
Es war Sonntag und es war noch ganz früh am Morgen. Knapp 9 Uhr.
Kessie würde gleich kommen.
Hinter der grobmaschigen Gardine konnte Georgie die weiße Pracht gar nicht richtig genießen, also zog er hastig den roten Vorhang beiseite und kroch unter die Gardine, dann stützte er sich mit beiden Ellenbogen auf die Fensterbank. Er grub das Kinn in seine kleinen Hände, sodass die Finger seine Ohren berühren konnten. Nach links und rechts spähte er den Weg entlang und wirklich, bis jetzt gab es keine Spuren im frischen Schnee und es schneite noch immer.
Vor seinem Fenster wirbelten dicke Flocken auf und ab.
„Mutti, hast du gesehen?“, rief er abermals.
Eilig griff er nach seinem hellblauen Bademantel, der ordentlich über dem Stuhl links neben dem Fenster abgelegt war und hüpfte zur Tür. Dabei fummelte er sich hastig in einen der Ärmel, riss die Tür auf, die bereits aufgeschlossen war, und stürmte voller Übermut hinaus in die große Pausenhalle. Mit wehendem Bademantel schwebte er über den dunkelroten Lack zur Küche und seine Stimme überschlug sich schrill: „Es schneit, es schneit, es schneit … toll!“
Sein morgendliches Frühstück stand bereits auf dem Tisch … kernige Haferflocken, Traubenzucker, eine zerdrückte Banane und warme Milch. Georgie stieß die Küchentür weit auf. Wie in einem Gemälde baute er sich im Türrahmen auf, stand breitbeinig da, die Hände auf die Hüften gestützt.
Sekundenlang wartete er die Reaktion seiner Mutter ab.
Sein Atem ging schnell.
Doch die Reaktion blieb aus. Vorerst. Seine Mutter stand am Herd und war gerade dabei, den Topf mit der Milch von der Kochplatte zu nehmen. Dann ging sie hinüber zum Tisch, um die Milch über die Haferflocken zu gießen.
Wie gemalt verharrte Georgie in der Pose und wartete ab. Alle Bewegungen seiner Mutter fraß er mit offener