Hans Max Freiherr von Aufseß

Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln


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last not least mich mit den entzückenden beiden Schwestern Wedel zu befassen, ganz abgesehen davon, daß Briefe zu schreiben waren, Briefe der verschiedensten Art. Meine geliebte Frau schreibt mir, daß wider alle Erwartung u. Absicht womöglich ein Kindlein aus dem letzten Urlaub sich anmelde. Nun bin ich noch mehr in das Wohl u. Wehe dieses 5ten Kriegsjahres verflochten. Die Auspizien für einen Sohn sind günstig. Ich war kühl. Verstimmungen der letzten Zeit, die übertriebene Geselligkeit in Altaussee hatten mich vorsichtig u. reserviert gemacht. Es sollte diesmal in den kurzen Tagen des Sonderurlaubs sicher keine Enttäuschung geben. Ein wenig teile ich aber den indischen Glauben, daß der mehrliebende Teil das ihm entgegengesetzte Geschlecht herbeizieht u. bestimmt. Außerdem [22] liegt der September auch an meinem Sternbild. Ich bin nicht abergläubisch und weiß nichts. Aber wenn es Ahnungen gibt, so sind sie diesmal für einen Sohn eingestellt.40 Es wird uns ein drittes Kind noch enger zusammenschließen, denn die Überlegungen dazu haben uns manche Verstimmung in den letzten Jahren gebracht. Die große Sorge rund um Marilies und das Kind erfüllen alles in allem mich aber mit einem geradezu fanatischen Willen, mein Leben in dieser gefährlichen und sich in den Grundfesten verändernden Zeit zu beziehen und gut durchzustehen. Ich beginne es mit unendlichen Einkäufen und bin im Päckchenpacken schon ein Meister geworden, wobei ich zugeben muß, daß die handliche Arbeit mich nach langer Büroarbeit geradezu erfrischt. Es fand die Einweihung des neuen Soldatenheimes La Houge statt, das [23] Schwester Heidi als Heimleiterin übernimmt. Ich war mit Oberst geladen. Eine Menge Offiziere stand am Gang – was fehlt nicht bei einer so [unleserlich]haften Angelegenheit – ein steifes Gegrüße begann, eine die erstickende militärische Steifheit voller Rangbewußtsein und Enge beklemmt mich, daß ein revolutionäres indessen wohlverhaltenes inneres Lachen mich ankam. Endlich war alles verstummt an den hübsch gedeckten Tischen. Ausgerechnet saß ich zwischen Schwester H.41, die ich schon ein halbes Jahr fast ostentativ gemieden hatte, weil sie gar so viel Selbstbewußtsein in ihrem Heim hat und mit ihrem schmutzigen Karpfengesicht nicht mit [unleserlich] eine zu primitive Sinnlichkeit in ein Heim bringt, weil sie außerdem noch auf eine Junge spielt, die ihr nicht mehr zukommt. Jedes Alter verlangt eine gewisse Hal- [24] tung und es steht zu 40 Jahren nicht, was einer 20jährigen erlaubt ist. Wir schwiegen nach mühsamen Redethemen ausgiebig am Tisch. Der Oberst hielt eine ganz nette leichte Rede und ich war froh, daß sie nicht so dürftig wie seine übrigen war. Der General war aufgehalten durch Sturm auch noch auf Jersey. Er bewegte sich mit einer natürlichen Eleganz durch die Runden, die dem Selbstbewußtsein und der Gutgelauntheit eines gutgewachsenen alten Offiziers u. Gentleman entsprang. Auch ohne alle rote Streifen hätte ihm niemand die absolute Führereigenschaft absprechen können. Nach einer Weile ging ich hinaus auf den Gang Schwester Heidi nach, um sie zu begrüßen. [25]

      Es war niemand draußen. Sie pustete und schüttelte sich in der entzückendsten Weise und griff mit beiden Händen nach den glänzenden Backen. Eine reizende Vertraulichkeit mir gegenüber lag darin. Ich durfte wie eine Freundin ein wenig hinter die Fassade dieses ihres Einweihungsfestes sehen, das eine große heiße und anstrengende Angelegenheit war. Auf ihre Frage, ob ich die übrigen Räume schon gesehen habe, schwindelte ich und verneinte ich gern und ließ mich von ihr nochmals überall durchführen. Das hätte Marie nie getan, sie hat einen im Trubel eher übersehen und ich glaube, es war eher weniger ihre Kurzsichtigkeit als ihre Geniertheit und Schroffheit, die auch allen ihren Bewegungen anhaftet. – Die Räume waren mit großem Geschmack mit den vor- [26] handenen Mitteln eingerichtet. Es strahlte überall etwas Persönliches aus, wie die Bilder hingen, die Schränke standen u. s. w. Ich wurde gefragt und durfte Ratschläge geben. Es waren entzückende Minuten, so privat beiseitegenommen worden zu sein und in diesen Augenblicken fand von einem menschlich warmen Gesichtspunkt gesehen, die wahre Einweihung des Heimes statt. Ich schrieb Schwester Heidi einen Brief in französischer Sprache darauf, weil man darin graziöser die Wohlgelungenheit des neuen Heimes nochmals nachfeiern konnte.42 Er enthielt nichts Anzügliches – ich würde gegen Heidi nie anzüglich sein, sie verdient nur gerade Offenheit oder völlige Zurückhaltung – es [27] sei denn, daß die Tatsache eines Briefes am gleichen Tag geschrieben auf einer kleinen Insel sich zugesandt etwas Anzügliches enthielt.43 Und so war mir es sehr recht, daß wir später den Brief nie erwähnt haben. Ich vergesse von diesem Tag nicht einen wunderschönen Strauß im Flur aus Heidis Hand und ihr neckisches mich Anlachen mit den beiden Handrücken auf den glühenden Backen.

      Der Oberst ließ sich von mir zu allem leiten und wenn niemand nach mir herein kommt, gelten auch meine Vorschläge. Oft berechne ich auch die möglichen späteren Einflüsse und es gelingt mir sie auszuschalten. Ich kenne ihn viel zu gut in all seinen eitlen Schwächen und, wenn ich nicht mein Ziel für richtig hielte, müßte ich [28] über die raffinierten Mittel der Beeinflussung mich für schmutzig halten. Die Notwendigkeit der Ausweisung der B.44 aus verschiedenen Gründen war mir klar, obwohl die Folgen sehr hart45 sind. Die B. hatte persönlich bei ihm vorgesprochen und ihn für ihr Bleiben erweicht. Ich trug dem Oberst die objektiven Gründe für eine Ausweisung vor, verschwieg dagegen die subjektiven, die in ihrer Person lagen, denn ich wußte ja, daß er darin umgestimmt worden war von ihr. Ich verließ ihn mit dem Resultat, daß sie aus Menschlichkeitsgründen bleiben könne, im Grunde war er nur von der hübschen Person46 bestrickt [29] worden. Nach mir schickte ich Herrn K. zu ihm in einer anderen Angelegenheit und nebenbei erzählte dieser nun, wie die B. es dick mit allen Männern treibe und verschiedene Offiziere eingefangen hätte47. Ich hatte das in Vorbedacht nicht selbst gesagt, denn er hatte sie reizend gefunden und hätte von mir nicht gern gehört, daß er sich hier gründlich getäuscht hatte. Der Erfolg war, daß er sofort zu mir schickte und nun doch plötzlich für die Ausweisung war. Er war nicht belehrt und in seiner Eitelkeit verletzt worden, sondern war gleichsam selbstständig auf die Schliche der B. gekommen. Zur Zeit möchte ich ihn in einer mir wichtig erscheinenden Sache beeinflussen, aber ich kenne noch nicht den wahren Grund seiner Ablehnung, sodaß mir die richtigen [30] Mittel zum Ansatz fehlen. Gestern nach dem Essen habe ich die Pferde besucht, die alle im Freien in Boxen standen. Udo kennt mich von Weitem an meinem Schnalzen und spitzt die Ohren, weil ich ihm immer etwas mitbringe. Ich hatte aber diesmal nichts dabei, und ließ mir einen Blechkübel voll Hafer geben. Ich habe ihn reihum an meine Lieblinge vergeben und es gab viel Aufregung, Eifersucht und langgestreckte Mäuler und scharrende Hufe. Dabei zeigte sich, daß jedes Pferd eine ganz andere Maulgröße, Lippenbewegung und eine verschiedene Art von Gier und listiger Anheimsung der immer weniger [31] werdenden Körner hatte. Satan legte die Ohren weit zurück und sein Ausdruck bedeutete gleichzeitig Befriedigung wie auch Abwehr gegen Einmischung seiner Nachbarn, Pferdeköpfe sind wundervoll ausdrucksvoll und gute langschädelige Menschenköpfe gleichen ihnen oft nicht wenig.

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       Der Hengst »Satan«, mit dem von Aufseß Ausritte unternahm. (Foto: H. M. von Aufseß)

      Wir waren in einem englischen Film: Dr. Auerbach hat dazu angeregt und ihn so gelobt, daß er sich schließlich verpflichtet zur Teilnahme fühlte. Ich meinerseits hatte den Oberst und die Wedelschwestern zur Teilnahme mit veranlaßt und so durfte also keinesfalls ein Reinfall eintreten. Es handelte sich um eine Geschichte aus der englischen Gesellschaft des vorigen Jahrhunderts. Ein Dichter und eine Dichterin lernen sich durch ihre Sonette kennen, die draus entstehende Liebe heilt die gelähmte Frau und die Tochter verläßt das Haus des egoistisch [32] sie liebenden Vaters, das Stück war getragen von 2 reizenden Schauspielerinnen und hatte große Feinheiten und einen geschickt bemessenen Wechsel zwischen heiteren und ernsten Szenen.48 Vor mir saß Heidi, neben mir flüsterte mir Dr. A schwer verständliche Sprachstellen übersetzend zu. Heidi beugte sich dabei zurück und nahm auch oft die hastigen Bemerkungen auf. So war sie ganz gestraffte Aufmerksamkeit nach beiden Seiten und vor dem Bild der Leinwand und der sympathischen hübschen Schauspielerin selbst ein mitspielendes Wesen. Oft sah ich auf sie, auf dieses hellwache, lebendige schöne Mädchen in der Halbdunkelheit der Loge, das auf jedes Wort anspielte und ein kluges und sensibles Geschöpf in einer ungewohnten neuen Nähe und Ansprechbarkeit für mich darstellte. Die Anwesenheit zu vieler Kinder brachte Lachsalven an rührend verkehrten Punkten [33] und auch der Oberst saß in einer Weise in seiner Ecke, daß man ihm die fehlende Beteiligung deutlich anmerkte. Tragik u. Seelengröße sprechen ihn nicht an, denn er ist für die mittleren