Sprechakte verorten lassen. Gibt es eigene emotionale Sprechakte, oder soll man eher Emotion, etwa Empörung, als eine zusätzliche illokutionäre bzw. expressive Verfärbung basaler Sprechaktsorten verstehen? Oder soll der Expressivitätsbegriff kritischer betrachtet werden (Blakemore 2015)?
Diese Frage wird in den ersten zwei Beiträgen des Bandes erörtert. In ihrem Beitrag „Emotionen in expressiven Sprechakten. Das Beispiel des Dankens“ nimmt Urszula Topczewska diese Frage nach dem Platz der Expressivität in der Sprechakttheorie zum Ausgangspunkt. Die Vermittlung von Emotionen durch Sprechakte lässt sich nicht auf eine pauschale Ausdrucksfunktion reduzieren und inkludiert immer eine teilweise diskursive Herausbildung der Emotion durch den Sprechakt selbst. Sie unterliegt somit den sozialen Konventionen, die dem Rückgriff auf spezialisierte Untertypen von Sprechakten entsprechen. Diese theoretischen Stellungnahmen werden anschließend am Beispiel der emotionalen Bestimmungen des Sprechaktes „Danken“ veranschaulicht. Auch der Beitrag von Anne-Kathrin Minn und Nathalie Schnitzer, „Aufforderung und Emotion im DaF-Unterricht aus pragmatischer und didaktischer Sicht“, befasst sich mit diesem Themenbereich der Emotionsvermittlung innerhalb von konventionalisierten Illokutionen. Diesmal geht es um die Aufforderung als Illokution (eher als um den Imperativsatz als Satzmodus). Berücksichtigt wird das Spannungsfeld von Emotionalität und (Auf)forderung am Beispiel von Äußerungen aus dem Umfeld der Corona-Pandemie. Dieser Beitrag kennzeichnet sich auch durch eine didaktische Perspektive aus der Sicht des Deutschen als Fremdsprache: Veranschaulicht wird die Aneignung pragmatischer Strategien durch fortgeschrittene Sprachlernende anhand von fünf praktischen Aufgaben.
Nach dieser Standortbestimmung rückt Empörung durch den Beitrag von Daniel Gutzmann und Katharina Turgay in den Vordergrund. Unter dem Titel „Das ist doch alles Bullshit, du Troll! Eine sprechakttheoretische Betrachtung von Unwahrheit und Emotionalisierung in den sozialen Medien“ befassen sie sich mit unwahren Assertionen, die auf Empörung abzielen („Trolling“, „Bullshit“, s. Stefanowitsch 2020). Unter Berücksichtigung der neueren theoretischen Forschung zur Lüge (s. u.a. Meibauer 2015) versuchen Sie, solche Wortmeldungen sprechakttheoretisch zu verorten, und von anderen konventionalisierten Illokutionstypen abzugrenzen.
Sprechakttheorie erschöpft aber das Feld der pragmatischen Emotionsforschung nicht. Auch die interaktive Dimension emotionaler Diskurse soll auch in Betracht gezogen worden, sowohl in mündlichen als auch in schriftlichen Interaktionen: Wie laufen footing- und face-taking-Strategien in emotionbeladenen Kontexten (Brown & Levinson 1987)? Welche sprachlichen Phänomene kann die korpusbasierte Erforschung emotionaler Diskurse an den Tag legen? Werden Emotionen vermittelt oder verheimlicht, je nach den Requisiten einer bestimmten Tradition? Und wie? Erste Angaben sind aus den neueren Studien zum Ausdruck der expressiven Funktion der Sprache (Bühler 1934, Jakobson 1960) zu erwarten (s. schon Traverso, Plantin & Doury 2000 sowie Schwarz-Friesel 2007 oder Micheli et al. 2013, und die Sammelbände von Paulin 2007, Gautier & Monneret 2011, Chauvin & Kauffer 2013, Gutzmann & Gärtner 2013, d’Avis & Finkbeiner 2019, Mackenzie & Alba-Juez 2019). Erste Ansätze haben sich erfolgreich mit mündlichen und multimodalen Korpora beschäftigt (s. u.a. Mondada 2016, Pfänder & Gülich 2013, Quignard et al. 2016, sowie aus germanistischer Sicht König 2017), wie auch mit den Eigenschaften der Emotionsvermittlung in neuen Medien (Bucher 2020, Fladrich & Imo 2020). Im Geiste der Unterschung von Nähe- und Distanzsprache (Koch & Oesterreicher 1985) ließe sich fragen, inwieweit der Ausdruck von Emotionen genremäßig mit konzeptioneller Mündlichkeit verbunden ist (über Emotionen in schriftlichen Texten, s. dennoch Fries 2009). Der Beitrag von Roland Lakyim „Einseitigkeit und institutioneller Rahmen (Öffentlichkeit) als einschränkende Faktoren zum Emotionsausdruck in offiziellen Korrespondenzen“ widmet sich diesem Methodenbereich der interaktionalen korpusbasierten Emotionsforschung und nimmt bewusst schriftliche Diskurse zum Ausgangspunkt. Ausgehend von den konventionalisierten diskursiven Eigenschaften eines konzeptionell und medial schriftlichen Genres, der offiziellen Korrespondenz, erforscht Roland Lakyim die Art und Weise, wie pragmatisch-kontextuelle Regelmäßigkeiten den Ausdruck von Emotionen erschweren können. Dabei zeigt er auch, dass Emotionalität sich trotzdem an den Tag legen lässt, und isoliert er erste Formen und Strategien der schriftlichen, öffentlichen Emotionsvermittlung.
Insgesamt lässt sich Emotionalität nicht als ein getrenntes Feld der Sprachwissenschaft absondern. Ob man sie als allgegenwärtige Belebungskraft gegen die Grammatik hervorhebt, oder sie umgekehrt als Quelle von Irregularitäten bzw. Performanzunfällen abtut: Emotionen liegen genausowie Illokutionen zumindest teilweise im Lexikon und in der Grammatik. Emotionalität unterliegt somit dem Prinzip der sprachlichen Arbitrarität und muss mit den Instrumenten der Morphologie, der Phraseologie (Schmale 2013) und der Syntax erfasst werden können. Auf lexikalisch-semantischer Ebene dürfte hier der Begriff der Intensivierung in den Vordergrund rücken. Wie lassen sich morphologische Intensivierungsmarker rekrutieren? Sind sie Fälle von Grammatikaliserung (Traugott 1995)? Von Pragmatikalisierung? Inwieweit kann man von einem Kontinuum zwischen intensivierenden und nicht-intensivierenden Lesarten sprechen? Im vorliegenden Sammelband wird diese Frage im Hinblick auf intensivierende Wortbildung gestellt. In seinem Beitrag „Warum Superstaus nicht super und Biowaffen nicht bio sind – Empirische Untersuchungen zum Wandel vom gebundenen Morphem zum freien, expressiven Wort“ nimmt Fabian Ehrmantraut die beiden Präfixoide super- und bio- unter die Lupe. Das erste hat eine konventionelle affektive und eine intensivierende Bedeutung entwickelt. Emotionalität und Werturteil schwingen sehr oft im Gebrauch des zweiten mit. Der Beitrag befasst sich mit den verschiedenen Gebrauchsweisen der beiden Formen und weist nach, inwieweit der morphologische Wandel mit einer Bedeutungsänderung und einer Konkretisierung einhergeht.
3 Emotionen und Geschichte
Die Geschichtswissenschaft hat schon relativ früh die sogenannte emotionale Wende (emotional turn) zur Kenntnis genommen und integriert. Die Erkenntnis, dass der Ausdruck und das Empfinden von Emotionen und Gefühle nicht ewig naturgegeben, sondern dem Wandel der Zeit unterworfen sind, ist nicht zuletzt der Historiker*innen zu verdanken. Sie sind den Fragen „Haben Emotionen eine Geschichte?“ und „Machen Emotionen Geschichte?“ nachgegangen und stellten mit Lucien Febvre, der bereits 1941 zur Beschäftigung mit dem „Affektleben von einst“ aufrief, erneut fest, dass sozial und kulturell konstruierte Emotionen ein ertragreicher Forschungsgegenstand der Gesellschaftsgeschichte darstellen können. Seit dem Ende der 2000er Jahre bildet die Emotionsgeschichte bzw. die Geschichte der Gefühle ein expandierendes Forschungsfeld, dem zum Beispiel das Max-Planck-Institut in Berlin ab 2008 ein eigenes Forschungsbereich widmete. Sowohl in Deutschland als auch Frankreich wurden in den letzten Jahren Standardwerke zur Geschichte der Emotionen veröffentlicht (Frevert 2011 und 2016, Plamper 2012; Corbin, Courtine, Vigarello 2017), die sich unter anderem mit der Frage auseinandersetzen, welche Emotionen angestrebt und kultiviert, welche Vorstellungen vermittelt, welche Anforderungen gestellt, welche emotionalen Reaktionen in verschiedenen Sinn- und Kulturhorizonten erwartet wurden (Stalfort 2013). Besonders in der Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts lassen sich Emotionen häufig mit Empörung bzw. Revolte verbinden – man denke nur an das weltweit gelesene und rezipierte Pamphlet von Stéphane Hessel: „Empört Euch!“ (2010). Im Kontext der Historisierung der deutschen Geschichte artikulierten sich Tagungen und Werke um die DDR-Geschichte oder die 68er Revolution sowie linke Bewegungen oder auch um Krisenzeiten, Kalten Krieg, Kapitalismus (Illouz, Benger 2017) und Kampf um Umweltschutz (Radkau 2011). Unterschiedliche Herangehensweisen wurden bevorzugt: Diskursgeschichte, Geschichtspolitik, Didaktisierung in Museen oder an Schulen (Brauer 2016). Wesentliche Impulse kamen auch aus der Politikwissenschaft, so konnte der Einfluss von Emotionen auf die Politik des 19. und 20. Jahrhunderts thematisiert werden (Aschmann 2005) oder auch durch Medienwissenschaftler mit der doppelten Funktion der Medien, Kaptation und Beeinflussung (Bösch, Borutta 2006).
In seinem Beitrag veranschaulicht Guillaume Robin am Beispiel der Kundschaft des Berghain-Clubs auch aus der soziologischen Perspektive die Schlüsselrolle der Beherrschung von Emotionen und deren Somatisierung bzw. Nicht-Somatisierung als Stütze des Zugehörigkeitsgefühls in einer Subkultur. Die Emotionen, die diese „emotionale Gemeinschaft“ (in Anlehnung an den von Barbara Rosenwein eingeführten Begriff der emotional communities) der