sein, auch unbequeme Dinge zu tun. Aber wer bringt schon noch die Geduld dafür auf?
Ruhig und beherrscht lästige Situationen auszuhalten oder auf etwas lange zu warten, ist tatsächlich eine große Herausforderung. Ich weiß das nur zu gut, mein angeborener Geduldsfaden ist immens kurz. Als ich meine Frau kennengelernt habe, konnte ich kaum glauben, wie penibel und langsam sie sich vorbereitet, bevor sie aus dem Haus geht. Geduldig ertragen konnte ich es schon gar nicht. Sie hat es mir zum Glück verziehen, dass ich sie öfter einmal zur Beeilung gedrängt habe. Böse Zungen behaupten, ich wäre getrieben und rastlos. Ich nenne es lieber aktiv und dynamisch. Gelassenheit gehört jedenfalls nicht zu meinen Stärken. Und so durfte ich lernen, dass »Tempo« meine höchstpersönliche Komfortzone ist und ich da rauskommen muss, wenn ich etwas erreichen will. Immerhin ist die Richtung wichtiger als die Geschwindigkeit, mit der man etwas angeht.
Ich kenne nur wenige Menschen, die Langeweile ohne rettende Ablenkung aushalten können. Ablenkungen lauern und locken halt auch überall. Du brauchst dich nur umzuschauen an der Haltestelle, in der U-Bahn, bei der roten Ampel, vor der Supermarktkasse, am Kinderspielplatz und so weiter: Wie viele Leute wirst du zählen, die geduldig warten und dabei ihre Augen und vor allem Gedanken entspannt schweifen lassen? In den Köpfen vieler Leute geht es wilder zu als im Affenkäfig, so sprunghaft hüpft ihr Verstand von Gedanke zu Gedanke. Unsere Gewohnheiten sind der Schnelligkeit der digitalisierten Gesellschaft erlegen. Dauernd glotzen wir auf irgendwelche Bildschirme, in Geschäften herrscht rege Hintergrundbeschallung und über die Belüftungsanlage werden Duftstoffe eingeschleust, die die Kauflust anregen. Ja, wie soll denn einer den Fokus aufs Wesentliche richten können, wenn ihm die Sinne derart vernebelt werden?
Ich kann dir sagen, es zahlt sich aus, sich in Geduld zu üben, eine langweilige oder unangenehme Situation einfach mal so zu ertragen. Es geht nämlich genau darum – um die Fähigkeit zu fokussieren. Wir möchten uns ja ein- bzw. »scharfstellen« auf das, was wir im Leben haben wollen. Geduldig ist nicht der, der gelassen in einer bequemen Situation ausharrt und hofft, dass ihm das Glück schon in den Schoß fallen wird. Geduldig ist, wer dem unbequemen Moment standhält, in dem er nicht weiß, was er mit sich anfangen soll. Nur dort finden wir das, wonach wir uns sehnen und suchen: Freude, Freiheit, Identifikation, Erfüllung und Erfolg.
Die meisten Leute haben aber keinen Erfolg, sie kommen im Leben nicht voran beziehungsweise nicht dorthin, wo sie gern wären. Sie sind gefangen in ihrer eigenen Komfortzone und merken es oft nicht einmal. Sie beschweren sich über die Umstände, den Chef, ihren Partner oder die Politik und fühlen sich machtlos. Dabei sind sie, salopp gesagt, einfach nur verantwortungslos. Wer erfolgreich sein möchte, muss bereit sein, die Verantwortung für seine Ergebnisse zu übernehmen – für alle Ergebnisse. Geduld ist dafür eine zentrale Tugend, denn sie befähigt dich zu fokussiertem Handeln. Ich werde dir auch diesmal wieder keine Lösung für dein Problem, keine Anleitung für deinen Erfolg und keinen Leitfaden für ein geniales Leben liefern. Ich kann dir hier nur einen Denkanstoß für die Arbeit an deinem Mindset mitgeben. Die zwei wichtigsten Hebel dafür lauten Fokus und Geduld. Kannst du sie bedienen?
1.6 Die »Was-bringt-mir-das?«-Mentalität
Was bringt mir das? Was habe ich davon? Was springt für mich dabei heraus? Diese Fragen höre ich sehr regelmäßig von meinen Seminarteilnehmern und Kunden. Sie stellen sie mir im Zusammenhang mit beruflichen Themen genauso wie hinsichtlich ihrer privaten Beziehungen oder Konflikte. Die verbreitete Ansicht, wir müssten aus jeder Lebenslage einen direkten Vorteil ziehen, ist in meinen Augen eine riesige Falle. Denn in dem Moment, in dem wir uns fragen, was wir zukünftig als Gegenleistung bekommen, wird in uns immer das Gefühl wachsen, dass wir gegenwärtig zu wenig haben. Je öfter wir die Frage stellen, umso mehr werden wir uns im Mangel fühlen. Wir meinen dann, wir hätten zu wenig: Zeit, Geld, Dank, Anerkennung, Hilfe, Chancen, Möglichkeiten, was auch immer.
Hält diese Annahme einem Realitäts-Check stand? Ich sage nein. Schließlich ist »nie zu wenig, was genügt«2, wie der römische Philosoph Seneca für uns als Merksatz hinterlassen hat. Und – du wirst mir hoffentlich zustimmen – unser aller Leben ist heute viel mehr vom Überfluss als vom Mangel gekennzeichnet. Auf die Probleme, die daraus wiederum entstehen, will ich hier nicht näher eingehen.
Im Zustand des Mangeldenkens kann außerdem die »Gedanken-Rechnung« niemals aufgehen, die da lautet: Das Ergebnis einer Handlung ist direkt proportional zur Einstellung, die du von Anfang an dazu beziehst. Handelst du aus der Fülle heraus, wird dein Ergebnis daher positiv ausfallen; denkst du aber im Mangel, wird es eher negativ ausgehen. Daher ist auch das Handeln zur »Schmerzvermeidung« nicht besonders wirkungsvoll: Wer etwas nur tut, um negative Folgen zu umgehen, wird zwar unmittelbar keinen Nachteil, aber langfristig auch keinen Erfolg damit haben.
Es kann einfach nichts Produktives, Schönes und Wertvolles aus einem Mangel- beziehungsweise negativen Gefühlszustand heraus entstehen. Weil die großen Dinge nur entstehen aus den Emotionen der Fülle, des Wachstums, der Zuneigung, der Liebe, der Hilfsbereitschaft und des Wohlwollens anderen gegenüber. Wenn du in diese Energie eintauchst, ändert es komplett den Ausgang jeder Situation. Dass du damit ein »Pionier der Menschlichkeit« werden könntest, weil diese Art von Gefühlen in unserer Gesellschaft mit Geringschätzung belegt sind, hast du ja schon in Kapitel 1.3 erfahren. Wichtig ist zu wissen, dass du allein entscheidest, welche Gefühle du spüren und deinem Handeln zugrunde legen möchtest. Wenn du das verstanden hast, weißt du erst, wie viel Kraft und Macht du über deinen eigenen Lebenserfolg hast.
Unsere Gesellschaft ist aber abgestumpft. Schon als Kinder wurden wir sozialisiert mit Glaubenssätzen in der Art von »Wenn du brav bist, bekommst du ein Geschenk«, »Schau auf dich, sonst tut es keiner« oder »Den Letzten beißen die Hunde«. Die Behauptungen wurden – und werden noch immer – von Erziehungspersonen in gutem Glauben ausgesprochen. Sie dienen aber nur dem Ziel, den anderen zu lenken; sicher nicht, um ihn in seinen Lebenszielen zu fördern. Wenig verwunderlich sind die meisten Erwachsenen daher gewohnt zu fordern anstatt zu fördern, zu geizen anstatt zu gönnen und zu re-agieren anstatt zu agieren. Ohne äußere Anreize wie Belohnungen, Boni, Prämien, Rabatte, Gutschriften, eine Gehaltserhöhung, Beförderung, Sonderurlaub und andere Nützlichkeitserwägungen mag heute kaum mehr jemand einen Finger rühren. Daher nimmt auch die Bereitschaft zu geben ohne Gegenwert immer mehr ab. Dieser Punkt ist so zentral, dass ich ihm unter 2.4 ein eigenes Kapitel gewidmet habe.
Die »Was-bringt-mir-das?«-Mentalität ist eine Sackgasse. Aber welche Alternative ist die richtige? Die Frage: »Was kriege ich, wenn ich das tue?« müsste umgekehrt lauten: »Wofür würde ich alles tun, ohne auch nur einen Cent zu bekommen?« Wenn du deine Lebenszeit nicht genau damit füllst, bist du auf dem Holzweg. Versteh mich bitte nicht falsch, ich sage nicht, dass wir ab sofort alle nur mehr ehrenamtlich arbeiten sollen. Es geht aber darum, dass uns unser Tun dermaßen viel Freude machen sollte, dass wir es auch machen würden, wenn es nichts dafür gäbe. Sonst ist es doch nur eine Art »Entschädigung«, eine Gegenleistung, ohne die du in der Früh nicht einmal aufstehen würdest. Wenn du sagen kannst, »Ich mache es, weil es mir Spaß macht, egal, was folgt«, wenn du dir so eine Haltung zutraust, bist du richtig. Denn auch wenn du am Ende nicht das ultimative Erfolgserlebnis hast, so hast du damit zumindest Freude in dein Leben geholt.
Um besser zu veranschaulichen, was ich meine, greife ich auf mein Lieblingsbeispiel zurück: Kinder. Muss man sie zum Spiel motivieren? Brauchen sie einen Anreiz oder eine Belohnung, damit sie spielen? Zwei Mal: Nein. Na ja, »das ist ja spielen«, wirst du dir jetzt sicher denken, »das kann man doch mit Arbeit nicht vergleichen«. Oh doch, das kann man. »Das Spiel ist die höchste Form der Forschung«, soll Albert Einstein angeblich gesagt haben.3 Es ist jedenfalls extrem anstrengend für Kinder, weil sie beim Spielen ununterbrochen Neues lernen. Spielen ist lernen. Warum spielen denn Kinder, etwa weil sie »Erfolg« haben wollen? Kinder wollen keinen Erfolg, sie wissen nicht