gilt nicht insofern es wahr ist, sondern insofern es etwas zu bedeuten hatte«. Er erzählt sein Leben bis zum Aufbruch nach Weimar13 und begründet mit einem Überblick über die Literatur seiner Zeit ganz nebenbei im siebenten Buch die deutsche Literaturgeschichtsschreibung.
Goethes Lyrik aus dem ersten Jahrzehnt in Weimar, die den Übergang von der Geniezeit zur Klassik spiegelt, ist 1789 unter dem Titel »Vermischte Gedichte«14 im achten Band von Goethe’s Schriften erschienen. Klassisch im engeren Sinne, d. h. weniger liedhaft, weniger schwungvoll, sondern formal antikisierend und geistvoll betrachtend, sind die nach der Italienreise entstandenen Sammlungen der Römischen Elegien15 (1795), der Venetianischen Epigramme16 (1796) und die mit Schiller gemeinsam verfassten Xenien17 (1797). Auch die im Wettstreit mit Schiller entstandenen Balladen18 gehören hierher. Die Sonette19 (1815) kennzeichnen dann den Übergang zu Goethes Alterslyrik, aus der das Gedichtbuch West-östlicher Divan (1819) und die Trilogie der Leidenschaft (1827) hervorragen.
b) Schiller (1759–1805)
Nachdem FRIEDRICH SCHILLER 1782 aus Württemberg geflohen war (vgl. ↑), suchte er, von Geldsorgen, Krankheit und enttäuschten Hoffnungen geplagt, in sieben Wanderjahren eine neue Lebensgrundlage. Zunächst gewährte ihm Henriette von Wolzogen Zuflucht auf ihrem Gut Bauerbach in Thüringen. Dann, 1783, verpflichtete er sich bei Dalberg in Mannheim als Theaterdichter. Als er, schwer erkrankt, die von ihm geforderten drei Theaterstücke nach Jahresfrist nicht abliefern konnte und der kümmerliche Vertrag nicht verlängert wurde, reiste er 1785 zu dem damals erst brieflich bekannten Verehrer Körner, bei dem er für die nächsten zwei Jahre in Leipzig und Dresden zu Gast blieb. Denn Körner bezahlte nicht nur Schillers Schulden, sondern unterstützte seinen Freund auch ferner mit Rat und Tat. Dankbar begeistert schrieb Schiller das »Lied an die Freude« (1785), doch sein dramatisches Schaffen stockte. Das 1782 als Familientragödie entworfene Drama Don Carlos fand erst 1787 als politisches Ideendrama seinen Abschluss:
Philipp II. hat Elisabeth von Valois, die seinem Sohn Don Carlos anverlobt war, geheiratet. Don Carlos wirbt nun um die Gunst seiner jugendlichen Stiefmutter. Obgleich er zurückgewiesen wird, wecken und nähren Verleumder die Eifersucht seines Vaters. – Dieser familiäre Generations- und Liebeskonflikt wird von der bedeutsameren politischen Handlung um die Figur des Marquis Posa überlagert: Posa will seinen Jugendfreund Carlos bewegen, die Führung eines gegen den Unterdrücker Philipp gerichteten Aufstandes in Flandern zu übernehmen. Um Carlos für diese Aufgabe freizusetzen und zu verpflichten, wendet Posa Philipps eifersüchtigen Verdacht auf sich selbst und wird erschossen. Doch Philipp erfährt von Posas weiterreichendem Plan und von der Bereitschaft seines Sohnes, gegen die spanisch-katholische Zwangsherrschaft in den Niederlanden zu revoltieren. Philipp übergibt seinen Sohn Don Carlos dem Großinquisitor.20
Die fünfjährige Arbeitszeit am Don Carlos und die Tatsache, dass Schiller in den darauffolgenden elf Jahren überhaupt keine Dramen schrieb, lassen erkennen, wie schwierig für ihn der Übergang von den Sturm-und-Drang-Dramen seiner Jugendzeit zu den historischen Dramen der Klassik war.
In den elf Jahren zwischen dem Don Carlos und dem Wallenstein versuchte Schiller zunächst als Geschichtsschreiber Geld zu verdienen. Die aus der Arbeit am Don Carlos erwachsene Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung (1788) brachte Schiller so viel Ansehen als Historiker, dass ihm Goethe eine unbesoldete Geschichtsprofessur in Jena vermitteln konnte. Durch eine kleine Pension von jährlich 200 Talern ermöglichte Herzog Karl August von Weimar seinem neuen Hofrat 1790, Charlotte von Lengefeld zu heiraten. Die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs (1791–93) sollte den Hausstand gründen helfen. Doch bald erkrankte Schiller so schwer, dass er sich nie wieder ganz davon erholen konnte. Zum Glück halfen der dänische Erbprinz Friedrich Christian von Augustenburg und Graf Ernst von Schimmelmann dem arbeitsunfähigen Dichter mit einer dreijährigen Ehrengabe von jährlich 1000 Talern. Schiller nutzte die Zeit wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu einem eingehenden Studium der Schriften Kants.
Der Auseinandersetzung mit Kant entsprangen Schillers Gedanken Über Anmut und Würde (1793),21 eine vorläufige Theorie des Schönen, die er 1795 in einen gesellschaftspolitischen Rahmen stellte und, seinem Wohltäter zum Dank, in einer Reihe von 27 Briefen an den Prinzen von Augustenburg niederlegte. Diese Abhandlung Über die ästhetische Erziehung des Menschen gilt als pädagogische Programmschrift der deutschen Klassik; ihr Kernsatz lautet: »[…] es gibt keinen andern Weg, den sinnlichen Menschen vernünftig zu machen, als daß man denselben zuvor ästhetisch macht.«
In dem Geburtstagsbrief, der 1794 die Freundschaft mit Goethe begründete, hatte Schiller Goethes intuitiven dichterischen Zugriff von dem eigenen spekulativen Zugriff unterschieden. Die Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung (1795–96) weitet diesen Wesensunterschied zu einer dichterischen Typenlehre aus. Danach ist der Dichter entweder naiv (bzw. intuitiv) mit der Natur verbunden und erstrebt als Realist unbefangen »möglichst vollständige Nachahmung des Wirklichen«, oder er versucht sentimentalisch (bzw. spekulativ) seine durch Kultur und Zivilisation verursachte Entfremdung von der Natur zu überwinden, indem er als Idealist alles Wirkliche auf eine Idee bezieht. Dieser Unterschied ist leicht zu begreifen, wenn man Goethes und Schillers Lyrik miteinander vergleicht. Während Goethe im wesentlichen den im Sturm und Drang aufgenommenen volkstümlich-liedhaften Ton fortentwickelte, bewegte sich Schiller als Gedankenlyriker vorzugsweise auf philosophischem Boden. Über der Anschauung steht in seinen Gedichten immer die Idee.22
Das zeigen auch die Balladen, die Schiller 1797–98 im Wettstreit mit Goethe schrieb.23 – Griff Goethe gern magisch-dämonische Elemente der volkstümlichen Naturballade auf, so geht Schiller in seinen Balladen jeweils von einer Idee aus, die sich dann oft in lehrhaften, zumindest rhetorischen Sentenzen24 ausdrückt. Statt des ursprünglichen Liedtones bevorzugt Schiller eine dramatische Grundstruktur mit klarer Rollenverteilung, überraschenden Wendungen und dramatischer Zuspitzung der Handlung. Diese Ideenballaden, die sich weit von der herkömmlichen Volksballade entfernen, erfreuten sich besonderer Beliebtheit im Deutschunterricht der Schulen, so dass sie nicht selten zerlesen und dann auch parodiert wurden.
Nach der theoretischen Beschäftigung mit dem Schönen, dem Guten und dem dichterisch Wahren kehrte Schiller von der Geschichtsschreibung zur Dramendichtung zurück. Über der Prosadarstellung der Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs war er immer stärker vom Charakter und Schicksal des kaiserlichen Generals Albrecht von Wallenstein gefesselt worden, jenes berühmten Feldherrn, der in geheimen Verhandlungen mit den Feinden stand und 1634 in Eger von den eigenen Soldaten ermordet wurde. – Ob Wallensteins List dem Kaiser, dem Reich oder nur ihm selbst nutzen sollte, konnte die Geschichtswissenschaft bis auf den heutigen Tag nicht klären, denn:
Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.
Gerade diese Zwielichtigkeit aber zog Schiller an. Nach der theoretischen Erörterung Über naive und sentimentalische Dichtung wollte er, der bisher nur idealistische Figuren auf die Bühne gebracht hatte, mit einem realistischen Helden beweisen, wie viel auch ein sentimentalischer Dichter an Wirklichkeit zu geben vermag.25
In über vierjähriger Arbeit schrieb Schiller die dramatische Trilogie26 mit den Teilen Wallensteins Lager (1798), Die Piccolomini (1799) und Wallensteins Tod (1799).
Wallenstein, der uneingeschränkte Befehlshaber des kaiserlichen Heeres, verabsäumt über verwerflichen Gedanken an Eigennutz und Verrat pflichtgemäß-sittliches Handeln. Durch sein Zaudern und durch zugelassenen Betrug seiner Nächstuntergebenen verliert er seine Handlungsfreiheit und wird zum Spielball derer, über die er zu verfügen gedachte. Betroffen fragt er sich in seinem großen Monolog27:
Wärs möglich? Könnt ich nicht mehr, wie ich wollte?
Nicht mehr zurück, wie mirs beliebt? Ich müßte
Die Tat vollbringen, weil ich sie gedacht, […]. (Tod,