den literaturtheoretischen Keim zur romantischen Gegenbewegung zu legen. – Nachdem es wegen Friedrich Schlegels Horen-Kritik bereits 1796 zum Bruch mit Schiller gekommen war, begannen die Schlegels als gewandte Kritiker Goethe gegen seinen erzklassischen Freund auszuspielen; und Goethe ließ sich das Lob der jungen Leute gefallen; denn kunstverständig lenkten diese die Aufmerksamkeit der Leser endlich von Goethes Jugenderfolgen (Werther und Götz) auf den Wilhelm Meister. Als Literaturtheoretiker, -historiker, -kritiker und als Übersetzer Shakespeares und Calderóns hatten die Schlegels eine breite Wirkung. Doch eigene bedeutende Dichtungen haben sie nicht hervorgebracht. Selbst Friedrich Schlegels »Liebesroman« Lucinde (1799) ist nur noch von geschichtlichem Belang.
Den Ursprung romantischer Dichtung verkörperte das Berliner Freundespaar Wackenroder und Tieck. WILHELM HEINRICH WACKENRODER (1773–1798), der Sohn eines hohen preußischen Beamten, musste auf Wunsch seines fürsorglichen, strengen Vaters der eigenen musischen Begabung und Neigung entgegen Rechtswissenschaft studieren. Er ging an die Universität Erlangen und unternahm dort Ausflüge nach Ansbach, Bamberg, Bayreuth und Nürnberg. Die überwältigenden Eindrücke, die Wackenroder hier in der Begegnung mit der katholischen Kultur des fränkischen Barock erfuhr, versuchte er in den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1796) wiederzugeben. – In Lebensschilderungen berühmter italienischer Maler, im Lob Dürers und in Überlegungen darüber, »Wie und auf welche Weise man die Werke der großen Künstler der Erde eigentlich betrachten und zum Wohle seiner Seele gebrauchen müsse«, prägte Wackenroder den religiös-unkritischen Erlebnisstil romantischer Kunstgenießer.9 – »Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger« am Ende der Aufsatzsammlung enthält Wackenroders eigene Tragik; da heißt es:
Diese bittere Mißhelligkeit zwischen seinem angebornen ätherischen Enthusiasmus, und dem irdischen Anteil an dem Leben eines jeden Menschen, der jeden täglich aus seinen Schwärmereien mit Gewalt herabziehet, quälte ihn sein ganzes Leben hindurch.
Wie Berglinger nach einer großen künstlerischen Leistung »in der Blüte seiner Jahre« stirbt, so stirbt auch der fünfundzwanzigjährige Wackenroder bereits ein Jahr nach Erscheinen der Herzensergießungen.
Wackenroders schreibgewandter Freund LUDWIG TIECK (1773–1853), der bereits an den Herzensergießungen mitgearbeitet hatte, führte die romantische Auseinandersetzung mit der Kunst in dem Roman Franz Sternbalds Wanderungen (1798) fort. In Anlehnung an Wilhelm Meister geht der Dürer-Schüler Franz auf Wanderschaft; zuerst in die Niederlande und dann nach Rom, wo er sein einfältigfrommes Wesen ablegt, sich der sinnenfreudigen italienischen Malerei öffnet und wie Heinses Malergenie Ardinghello (vgl. Kap. 5d) ein unbürgerliches Künstlerdasein genießt. Die romantischen Wanderungen des vagabundierenden Lebenskünstlers sollten mit einer Rückkehr zur altdeutschen Art und Kunst am Grabe Dürers symbolisch enden. Doch der Roman, der mit seinen Künstlergesprächen die romantischen Maler10 beeinflusste, blieb Fragment.
Unter dem Titel Phantasus (1812–16) fasste Tieck seine für die Entwicklung der Romantik bedeutsamen Dichtungen zusammen. Hier erscheint neben den früher veröffentlichten Märchen, von denen Der blonde Eckbert (1797) und Der Runenberg (1804) besonders charakteristisch sind, eine erweiterte Fassung des komisch dramatisierten Gestiefelten Kater (1797). Das ist eine lustige Märchenparodie und zugleich eine witzige Theater- und Literatursatire11 – voll übermütiger romantischer Ironie.
Der Frühromantiker Friedrich von Hardenberg (1772 bis 1801), der sich NOVALIS12 nannte, sah in der dichterischen Phantasie den Weg zu einer zweiten, höheren Wirklichkeit. Als im Jahre 1797 seine Braut im Sterben lag, schrieb er: »Meine Phantasie wächst, wie meine Hoffnung sinkt – wenn diese ganz versunken ist und nichts zurückließ als einen Grenzstein, so wird meine Phantasie hoch genug sein, um mich hinaufzuheben, wo ich das finde, was hier verloren ging.« – Tatsächlich entstanden aus der Erschütterung über den Tod der fünfzehnjährigen Sophie von Kühn die sechs Hymnen13 an die Nacht (1797 ff.). In rhythmischer Prosa und in Versen feiert Novalis hier die »heilige, unaussprechliche, geheimnisvolle Nacht« als »eine neue, unergründliche Welt«, in der ihm die Geliebte durch eine erlösende, mystische Wiederbegegnung zum Symbol einer eigenen, tiefen Religiosität wird.
Verwandte biographische Motive14 erscheinen in dem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen wieder, das Tieck und Friedrich Schlegel 1802, nach dem frühen Tod Friedrich von Hardenbergs, herausgegeben haben.
Ofterdingen, den die Romantiker für den historischen Dichter des Nibelungenliedes hielten (vgl. ↑), erfährt in diesem Künstlerroman die Erweckung zum Dichtersänger; diese wird vorausgedeutet durch den Traum von jener blauen Blume, die hernach zum Symbol (vgl. Kap. 1, Anm. 31) der romantischen Poesie überhaupt werden sollte. Er reist mit Kaufleuten vom Eisenacher Musenhof des Landgrafen Hermann von Thüringen15 nach Augsburg, wo er Schüler des Dichters Klingsohr16 wird und dessen Tochter Mathilde heiratet. Mathilde stirbt; und Heinrich, dem wie Novalis die tote Geliebte zur geistigen Leitfigur wird, begibt sich auf Pilgerschaft. Friedrich Schlegels Forderung entsprechend, dass der romantische Roman eine »Enzyklopädie17 des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums« sein müsse, erschließen Gespräche über das Leben in Natur und Kunst, über das Wesen der Dichtung in Historien und Märchen und eine poetisch-phantastische Mythisierung des Lebens18 dem Leser einen guten Teil der frühromantischen Kunst- und Weltanschauung, die für Novalis mehr als nur Theorie war.
Das weltanschauliche Gegenbild zu den Hymnen an die Nacht findet der Leser in den Nachtwachen (1804) von BONAVENTURA19. Die Nacht ist hier keine Quelle mystischen Trostes, sondern Ausdruck für ein schwerdurchschaubares Dasein, für ein sinnleeres, nichtiges und groteskes Chaos. Das darin hoffnungslos verlorene Ich des Erzählers sieht sich in seinen grundsätzlichen Zweifeln am Sinn der Welt bestätigt und reagiert mit beißender Satire auf die Bequemlichkeit oder Beschränktheit seiner Zeitgenossen, die sich selbsttrügerisch in einen rettenden Glauben flüchten. Am Schluss heißt es: »Die stürzenden Titanen sind mehr wert, als ein ganzer Erdball voll Heuchler, die sich ins Pantheon durch ein wenig Moral und so und so zusammengehaltene Tugend schleichen möchten!«
Der Erzähler, der von einem Alchimisten und einer Zigeunerin während einer Teufelsbeschwörung gezeugt und als Findelkind bei einem Schuster aufgezogen wurde, tut sich als satirischer Poet und Bänkelsänger (vgl. Kap. 13, Anm. 23) hervor, bis er, wegen Beleidigung der Autoritäten, ins Tollhaus gebracht wird. Dort trifft er die Schauspielerin wieder, die mit ihm in Shakespeares Hamlet aufgetreten war und sich aus dem gespielten Wahnsinn der Ophelia nicht wieder »herauszustudieren« vermochte. Der ehemalige Hamlet verliebt sich in die Verwirrte und wird, nachdem diese im Kindbett gestorben ist, aus dem Tollhaus verbannt. Er spielt nun bei einem Marionettentheater den Hanswurst und den König. Als auch die Puppen von der Zensur beschlagnahmt werden, verdingt er sich als Nachtwächter. Auf seinen nächtlichen Gängen beobachtet er das unsinnige und schändliche Treiben seiner Zeitgenossen. Da kommt ihm die fixe Idee, »statt der Zeit die Ewigkeit auszurufen« und zum Jüngsten Gericht zu blasen. Daraufhin wird er »von einem singenden und blasenden Nachtwächter auf einen stummen reduziert«. – Das gedankenreiche Buch, das allein die rücksichtslose Ehrlichkeit des Freigeists und allenfalls wahre irdische Liebe von seiner satirischen Kritik ausnimmt, schließt, rund dreißig Jahre vor Georg Büchners Werk, mit dem Widerhall des Nichts.
b) Jüngere, Hoch- oder Spätromantik
Etwa zehn Jahre nach Beginn der romantischen Bewegung in Berlin und Jena übernahm eine nur wenig jüngere Generation um 1805 in Heidelberg die Führung. Ihre bekanntesten Vertreter waren Clemens Brentano, Achim von Arnim, Joseph von Görres (1776–1848), die Brüder Grimm und Eichendorff. Dazu kamen Adelbert von Chamisso und E. T. A. Hoffmann in Berlin. Diese jüngeren Romantiker verzichteten auf die philosophischen Spekulationen und die theoretisch-kritischen Überlegungen der Jenaer Romantiker und wandten sich stattdessen unmittelbar den poetisierenden oder gar dämonisierenden Darstellungen des Lebens im dichterischen Text zu. Dabei bewegten sie sich in geistigen Strömungen, die zu einem wesentlichen Teil vom Sturm und