Katrin Bentley

Allein zu zweit


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verwundert an, räusperte sich und wollte gerade zum zweiten Mal fragen, als Gavin nach einem tiefen Seufzer endlich »Okay« sagte. Nicht »Yes« oder »I will«, sondern einfach »Okay«. Dann riss er mich in die Arme und küsste mich so inbrünstig und wild, dass meine arme Großmutter fast vom Stuhl fiel. Ein Aufatmen ging durch die Menge, und ich fragte mich, warum er sich wohl so komisch verhalten hatte. »Ich wollte deinen Bruder zum Lachen bringen«, erklärte er mir später, »ich weiß doch, wie sehr er meine Witze mag.«

      Damals hatte ich keine Ahnung, warum Gavin so total unberührt schien von den Festivitäten. Er war zwar fröhlich und nett, aber in keiner Weise anders als an jedem anderen Tag. Ich selbst war zu Tränen gerührt, als wir aus der Kirche traten und unter einem Tor aus Rosen durchschritten, das meine Schüler gemacht hatten. Es gab für mich nichts Schöneres, als diesen Tag mit meinen Lieben zu verbringen.

      Nach der Hochzeitszeremonie spazierten wir zum Aperitif in den Schadaupark. Als wenig später die Sonne über dem See unterging, sah ich glücklich meinen neuen Ehemann an und freute mich auf unser gemeinsames Leben. Meine Freunde waren nach wie vor ein wenig besorgt und fragten mich, ob ich denn keine Bedenken hätte, in ein Land zu ziehen, wo ich außer Gavin niemanden kannte. Ich aber lachte nur und sagte, dass ich sie zwar sehr vermissen würde, wir uns aber doch gegenseitig besuchen könnten. Angst vor dem bevorstehenden Abenteuer hatte ich keine, im Gegenteil. Ich träumte von einem schönen Haus am Meer, einer großen Familie und vielen tollen Erlebnissen mit Gavin. Nie hätte ich mir vorstellen können, wie sehr mir meine Familie und meine Freunde einmal fehlen würden.

      Da wir nach der Trauung kein formelles Hochzeitsfest hatten, wollte ich eine Woche später eine Waldhüttenparty für meine Freunde und die Familie geben. Als begeisterte Köchin hatte ich mir vorgenommen, die Speisen alle selber zuzubereiten. Das war zwar eine Riesenaufgabe, aber eine, die ich mir ohne weiteres zutraute. Es war ja nicht mein erstes Fest, im Gegenteil, ich feierte meine Geburtstage meist im Freundeskreis und genoss es von ganzem Herzen, gesellige Abende zu organisieren. Schon Wochen vorher hatte ich mit den Vorbereitungen begonnen. Etliche Kuchen und Desserts waren bereits in der Tiefkühltruhe und warteten bloß noch darauf, dekoriert zu werden. Am Vorabend des Festes bereitete ich dann die Salate und Aperitif-Häppchen zu. Da ich immer noch unterrichtete, musste ich meine Zeit sorgfältig einteilen, damit alles rechtzeitig fertig wurde. Gavin hatte einige Wochen zuvor einen Job als Kellner angenommen. Ich verstand, dass ihn die neue Arbeit ermüdete, hoffte aber trotzdem auf ein wenig Mithilfe am Tag unseres Festes. Nach der Schule bereitete ich noch einige Dips und Kleinigkeiten vor. Anschließend fuhr ich mehrere Male in die Waldhütte, um die Speisen dort kühl zu stellen. Dann war es Zeit, den Raum zu dekorieren und Holz für den Kamingrill zu organisieren.

      Gavin hatte am Morgen auch gearbeitet und sich danach einfach ins Bett gelegt. Als Kellner musste er sehr viel umherlaufen und alle Bestellungen im Kopf behalten, daher ließ ich ihn erst mal ein wenig ausruhen. Nach einer Stunde fragte ich ihn, ob er mir helfen könne, worauf er sagte, er sei immer noch müde. Geduldig ließ ich ihn weiter im Bett liegen und versuchte es dann ein zweites Mal, aber wieder ohne Erfolg. »Du hast diese Party organisiert, jetzt musst du auch die Arbeit machen», brummte er. Das war korrekt, ich wollte dieses Fest feiern, aber natürlich hatte ich angenommen, er freue sich auch darauf und würde sich zumindest am Schluss an den Vorbereitungen beteiligen. Damit, dass ich alles selber machen musste, hatte ich nicht gerechnet, schließlich waren wir doch jetzt ein Ehepaar!

      Gavins Erschöpfung nach ein paar Stunden Arbeit war mir ein Rätsel. In Anbetracht seiner Fitness und seiner erst zwanzig Jahre musste das eine Ausrede sein. Offensichtlich freute er sich nicht auf das Fest und hatte daher keine Lust, mir zu helfen. Ich fand das sehr traurig, aber letztlich blieb mir nichts anderes übrig, als die Vorbereitungen allein zu Ende zu führen. Als ich später unter der Dusche stand, war ich so müde, dass ich am liebsten auch einfach ins Bett gefallen wäre. Der Gedanke an meine Freunde gab mir schließlich die Kraft, mich anzuziehen und mich mit Gavin auf den Weg ins Schulhaus zu machen, wo der Abend mit einer Diaschau über Australien begann. Anschließend fuhren wir alle ins Waldhaus und aßen und lachten bis in den frühen Morgen. Tanzen konnten wir leider nicht, da etwas mit dem Soundsystem nicht funktionierte, aber das machte nichts; ehrlich gesagt wäre ich ohnehin zu müde gewesen. Ein paar Gäste spielten Gitarre, und ich fühlte mich im Kreise meiner Freunde wie immer glücklich und geborgen. Gavin schien auch wieder fröhlich, und die komische Situation am Nachmittag trat mehr und mehr in den Hintergrund. Damals hatte ich sowieso die Tendenz, alles, was mich beunruhigte, zu übersehen und darauf zu vertrauen, dass Gavin mich liebte. Das fiel mir in der Schweiz sehr leicht.

       7

      Gavin und ich hatten beschlossen, Ende Dezember nach Australien zu fliegen. In den verbleibenden fünf Wochen gab es noch unheimlich viel zu tun. Ich war damit beschäftigt, den Lehrstoff für das Quartal abzuschließen und die Schüler auf eine neue Lehrkraft vorzubereiten. Gleichzeitig musste ich meine Wohnung ausräumen und nach guter Schweizerart blitzblank putzen. Weil wir abends oft eingeladen waren, hatte ich kaum Zeit zum Packen. Gavin arbeitete ab Anfang Dezember nicht mehr im Restaurant und hätte problemlos mit den Vorbereitungen beginnen können. Zu meiner Überraschung schien er jedoch nicht im Traum daran zu denken und ließ einfach alles liegen, wie es war. »Meine Güte«, sagte ich eines Tages, »wir fliegen in drei Wochen nach Australien und haben noch gar nichts gepackt!« Gavin gab keine Antwort, sondern las interessiert das Cover einer CD. Über die näher rückende Abreise schien er sich überhaupt keine Sorgen zu machen, im Gegenteil, er benahm sich wie immer, hörte Musik und ruhte sich aus.

      Ich wollte ihn nicht drängen und hoffte insgeheim, dass er von sich aus bei den Reisevorbereitungen helfen würde. Schließlich musste er doch sehen, wie müde ich war. Er schien jedoch keine Ahnung zu haben, was in mir vorging, und lag weiterhin tagelang auf dem Balkon, um an seiner Bräune zu arbeiten. Langsam begann ich mich über seine mangelnde Hilfsbereitschaft aufzuregen. Eines Abends, als wir spät von einem Abschiedsessen heimkamen und ich vor lauter Müdigkeit kaum noch die Augen offen halten konnte, sagte ich frustriert: »Es ist höchste Zeit, dass wir mit dem Packen anfangen! Kannst du morgen ein paar Kisten füllen? Wir haben ja bereits besprochen, was wir mitnehmen wollen. Ich helfe dir, wenn ich von der Schule komme.« Gavin nickte gedankenversunken, putzte die Zähne und schlüpfte ins Bett. Ich folgte ihm und drückte mich fest an ihn, um seine Nähe zu spüren. Mehr und mehr wurde mir bewusst, dass ich bald meine Heimat verlassen würde. In seinen Armen fühlte ich mich jedoch geborgen und schlief wenig später glücklich ein.

      Als ich am nächsten Tag von der Schule zurückkam, sah ich zu meinem Entsetzen, dass Gavin wieder auf dem Sofa saß und Musik hörte. Die Kisten standen immer noch leer im Wohnzimmer herum, und nichts, aber auch wirklich gar nichts, war gemacht. Ohne etwas zu sagen, ging ich in die Küche und fing an, das Abendbrot zuzubereiten. Wenig später erschien Gavin im Türrahmen und schaute mir unbekümmert beim Kochen zu. Ich hatte keine Lust zum Plaudern, war zutiefst enttäuscht, dass er unsere Vereinbarung nicht eingehalten hatte. Meine düstere Laune schien ihm aber keineswegs aufzufallen, im Gegenteil, er war wie immer und füllte mir den Kopf mit Zeitungsnachrichten. Den ganzen Tag hatte er keine Gelegenheit zum Reden gehabt und sehnte sich nun danach, die neu erworbenen Informationen mit mir zu teilen. Mir war es aber absolut nicht darum, ihm zuzuhören. Irritiert von seinen umfassenden, unglaublich detaillierten Erläuterungen über das aktuelle Weltgeschehen, wandte ich mich ab und wusch den Salat. Er ließ sich von meiner ablehnenden Körpersprache jedoch nicht beirren und fuhr unbefangen fort mit seinem Vortrag.

      Als wir endlich zusammen am Esstisch saßen und er noch immer keine Anstalten machte, mir zu erklären, warum er wieder den ganzen Tag nichts gemacht hatte, schnitt ich das Thema selber an. »Gavin«, sagte ich gereizt, »du hast deine Stelle als Kellner aufgegeben, um mir beim Packen zu helfen. Aber jeden Tag, wenn ich heimkomme, sitzt du nur herum und hörst Musik. Gestern hast du mir versprochen, ein paar Kisten zu füllen, aber alles ist beim Alten. Ich verstehe das einfach nicht. Kannst du nicht sehen, wie müde ich bin und wie sehr ich deine Hilfe brauche?« Gavin sah mich erstaunt an, dann lachte er arrogant und sagte mit herausforderndem Unterton: »An deiner Müdigkeit bist du selber schuld, es verlangt ja niemand, dass du so viel für die Schule machst. Offensichtlich hast du Probleme, dich richtig zu organisieren.