und auch das Ausmaß, in dem sie als naturgegeben wahrgenommen werden, neu zu bewerten. Wir glauben, dass es schlagkräftige Indizien für die Annahme gibt, dass sich zahlreiche in Europa heimische Bäume und Büsche unter dem Einfluss von Elefantenattacken entwickelt haben, die zu spezifischen Abwehrstrategien führten. Der europäische Waldelefant (Elephas antiquus), der mit der heute noch in Asien lebenden Art verwandt war, lebte in Europa bis vor etwa 40 000 Jahren, das ist kaum mehr als ein Ticken der Evolutionsuhr.7 Er starb wahrscheinlich durch Überjagung aus. Wenn die Indizien tatsächlich so stringent sind, wie es scheint, dann legen sie nahe, dass diese Art die gemäßigten Zonen Europas dominierte. Unsere Ökosysteme sind offenbar an den Elefanten angepasst.
Mir liegt es allerdings fern, die Landschaften oder Ökosysteme der Vergangenheit wieder erschaffen, ursprüngliche Wildnis – als sei dies möglich – wiederherstellen zu wollen. Rückverwilderung heißt für mich, dem Drang, die Natur kontrollieren zu müssen, zu widerstehen und ihr stattdessen die Möglichkeit einzuräumen, sich ihren eigenen Weg zu suchen. Dazu gehört, verschwundene Pflanzen und Tiere wieder einzubürgern (und in einigen Fällen exotische Arten, die nicht der einheimischen Tierwelt angehören können, auszumerzen), Zäune abzubauen, Entwässerungsgräben zu schließen, aber ansonsten den Dingen ihren Lauf zu lassen. Auf dem Meer bedeutet es, die kommerzielle Fischerei und andere Formen der Ausbeutung auszuschließen. Die entstehenden Ökosysteme sind dann weniger als Wildnis, sondern als selbstgesteuert zu beschreiben: Nicht vom Menschen beherrscht, sondern von ihren eigenen Prozessen gelenkt.* Rückverwilderung kennt keine Ziele, besitzt keine Anschauung darüber, wie ein »richtiges« Ökosystem oder ein »richtiges« Artengefüge auszusehen hätte. In ihr ist kein Trachten, aus dem eine Heide, eine Wiese, ein Regenwald, ein Kelpgarten oder ein Korallenriff hervorgehen soll. Es ist die Natur, die entscheidet.
Die in unserem veränderten Klima, auf unseren ausgelaugten Böden entstehenden Ökosysteme werden anders aussehen als die in der Vergangenheit vorherrschenden. Wohin sie sich entwickeln, ist nicht vorhersehbar – ein Grund auch, warum dieses Projekt so spannend ist. Wo sich der Naturschutz allzu oft an der Vergangenheit orientiert, blickt die so verstandene Rückverwilderung in die Zukunft.
Die Rückverwilderung von Land und Meer könnte selbst in ausgelaugten Regionen wie in Großbritannien und Nordeuropa Ökosysteme produzieren, die so überreich und faszinierend sind wie jene Gegenden, die zu Gesicht zu bekommen Enthusiasten um den halben Globus reisen. Ich hoffe zudem, dass durch diese Strategie der Aufenthalt in einer großartigen, freilebenden Tierwelt für jedermann möglich wird.
Mich interessieren, wie gesagt, zwei Definitionen der Rückverwilderung. Die zweite ist die Rückverwilderung des menschlichen Lebens. Sehen manche Primitivisten einen Konflikt zwischen der zivilisierten und der wilden Welt, hat die Rückverwilderung, wie ich sie im Auge habe, nichts mit dem Abstreifen der Zivilisation im Sinn. Ich bin der Überzeugung, dass wir die Vorzüge einer avancierten Technik ebenso genießen können wie ein Leben, das mehr an Abenteuer und Überraschungen bietet. Bei der Rückverwilderung geht es nicht darum, die Zivilisation aufzugeben, sondern sie zu verbessern. Es gilt, »nicht den Menschen abgewandt, doch mit Natur vertrauter« zu werden.8
Würde man eine ausgefeilte, von hohen Ernteerträgen gestützte Ökonomie aufgeben, wäre das katastrophal. Bevor der Ackerbau auf der Britischen Insel begann, hat sie offenbar höchstens 5000 Menschen ernährt.9 Wenn diese Menschen gleichmäßig verstreut gewohnt hätten, hätte jede Person 54 Quadratkilometer beansprucht, eine Fläche, die etwas größer ist als das Stadtgebiet von Southampton (das heute 240 000 Einwohner beherbergt).10 Das war anscheinend die Anzahl der Menschen, die sich durch Jagen und Sammeln ernähren ließ. (Gleichwohl haben die Männer und Frauen der Mittelsteinzeit das Vorkommen großer Säugetiere beträchtlich reduziert.) Ich habe Primitivisten getroffen, die mit der Fantasie liebäugelten, zu einer Jäger-und-Sammler-Ökonomie zurückzukehren. Allerdings würde dies die Eliminierung fast aller Menschen voraussetzen.
Aus dem gleichen Grund bin ich der Auffassung, dass eine extensive Rückverwilderung nicht auf ertragsfähigem Land erfolgen sollte. Sie kommt besser an Orten zur Anwendung, an denen die Ertragsfähigkeit so niedrig ist, dass Ackerbau nur noch aufgrund der Großzügigkeit der Steuerzahler stattfinden kann, insbesondere etwa in den Bergregionen. Da aufgrund mangelnder Finanzierung die Grundversorgungsleistungen allerorts in Europa (und in einigen anderen Teilen der Welt) gekappt werden, können Landwirtschaftssubventionen in ihrer heutigen Form sicherlich nicht länger ausbezahlt werden. Ohne sie allerdings kann man sich schwerlich vorstellen, wie der Landbau in den genannten Regionen noch aufrecht erhalten werden soll: zum Guten oder Schlechten wird er nach und nach aus den Bergregionen verschwinden.
Für manche Leute bedeutet Rückverwilderung den Rückzug des Menschen aus der Natur; für mich bedeutet sie seine neuerliche Einbindung. Ich würde nicht nur gerne eine Wiedereinführung von Wolf, Luchs, Vielfraß, Biber, Wildschwein, Elch, Wisent und – vielleicht eines Tages, in ferner Zukunft – von Elefanten und anderen Arten erleben, sondern auch von Menschen. In anderen Worten: Ich sehe in der Rückverwilderung eine verbesserte Möglichkeit für den Menschen, sich mit der natürlichen Welt zu verbinden und sich an ihr zu erfreuen.
Verwildert nimmt auch jenes Leben ins Visier, das wir nicht mehr führen können, so wie die – oft unabdingbaren – Zwänge, die uns davon abhalten, unsere vernachlässigten Fähigkeiten zu üben. Es legt dar, wie ich selbst versucht habe, innerhalb dieser Zwänge mein eigenes Leben wieder wilder zu machen und der ökologischen Langeweile zu entrinnen. Mit Sicherheit bin ich nicht der Einzige, der ein unerfülltes Bedürfnis nach einem wilderen Leben verspürt, und ich möchte behaupten, dass dieses Bedürfnis zu einer bemerkenswerten kollektiven Wahnvorstellung geführt haben dürfte, an der heute tausende Menschen leiden und die in der fast perfekten Abkapselung des Wunsches nach einem weniger gebändigten, weniger vorhersehbaren Ökosystem zu bestehen scheint.
Wenn Sie mit Ihrem Leben in all seinen Facetten zufrieden sind, wenn es bereits so bunt und überraschend ist, wie Sie es sich immer gewünscht haben, wenn das Entenfüttern schon das höchste der Naturgefühle ist, das sie erleben möchten, dann ist dieses Buch wahrscheinlich nichts für Sie. Wenn Sie aber, wie manchmal ich, das Gefühl haben, Sie kratzten an den Mauern Ihres Lebens, wenn Sie hoffen, einen Ausweg in eine hinter den Mauern liegende größere Welt zu finden, dann dürften Sie in diesem Buch etwas entdecken, in dem Sie sich wiedererkennen. Wie wir unseren Platz in der Welt verorten, ihre Ökosysteme verstehen und die Mittel, mit denen wir uns mit ihnen verbinden können, wahrnehmen, möchte ich auf den Prüfstand stellen.
Damit hoffe ich, zu einem positiven Umweltschutz zu ermutigen. Die lebenden Systeme der Erde haben im zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhundert eine von Zerstörung und Entwürdigung gekennzeichnete Behandlung erfahren. In dem Versuch, dieses Gemetzel zu stoppen, haben Umweltschützer deutlich erklärt, welche Dinge die Menschen unterlassen sollten. Das Argument, das wir anführten, lautete, dass bestimmte Freiheiten – die Freiheit, der Umwelt Schaden zuzufügen, sie zu verschmutzen und zu vergeuden – eingeschränkt werden müssten. Für Verfügungen dieser Art gibt es gute Gründe, im Gegenzug aber hatten wir bisher nur wenig zu bieten. Wir haben lediglich darauf gedrungen, dass die Leute weniger konsumieren, weniger reisen, nicht unbekümmert, sondern mit Bedacht leben, den Rasen nicht betreten sollen. Da wir keine neuen Freiheiten im Austausch gegen die alten anzubieten haben, werden wir oft für Asketen, Spielverderber und Pedanten gehalten. Wir wissen, wogegen wir sind; jetzt heißt es erklären, wofür wir eintreten.
Verwildert tritt für einen Umweltschutz ein, der die Lebensdimension der Menschen nicht einschränkt, sondern erweitert, ohne das Leben anderer oder die Textur der Biosphäre zu beschädigen, und zieht dabei Regionen in Wales, Schottland, Slowenien, Polen, Ostafrika, Nordamerika und Brasilien als Fallstudien heran, an denen die Praxis zeigt, was gut oder schlecht funktioniert. Einen Umweltschutz, der im Austausch gegen Freiheiten, die wir einzuschränken versuchen, neue anbietet. Einen, der große Land- und Meeresgebiete auf seiner Zukunftsagenda hat, die sich selbst regulieren, Orte, die wieder von dort verschwundenen wilden Tieren bevölkert werden und an denen wir frei umherstreifen können.
Vielleicht am wichtigsten: Es ist ein Umweltschutz, der Hoffnung