Thomas Steinfeld

IKEA. 100 Seiten


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bei denen schon die Nennung ihres Namens ausreicht, um ihr Bild ins Gedächtnis zu rufen – eine Eigenschaft, die ansonsten nur die Werke der berühmtesten Möbelgestalter auszeichnet, die dann entsprechend teuer sind. Doch das Wissen darum, wie der Stuhl Ögla aussieht, der Sessel Poäng, der Tisch Stabil, das Regal Billy oder das Sofa Klippan, gehört fast zu einer guten Allgemeinbildung. Die meisten anderen Marken leben vom Schein der Exklusivität. Ikea tut das Gegenteil. Die Produkte der Firma sind überall und für relativ wenig Geld zu haben. Ikea ist dennoch eine Marke – und nicht nur das: eine wahrhaft populäre, von ähnlich großer Geltung wie Coca-Cola oder Adidas. Die Firma verkauft nicht einfach ein Produkt. Sie handelt mit Inneneinrichtungen für das moderne Leben. Ja, für viele Menschen verkörpert sie die Inneneinrichtung des modernen Lebens schlechthin.

      Um so populär zu werden, bedurfte es weit mehr als der unbedingten Geschäftstüchtigkeit eines charismatischen Gründers, der angeblichen Erfindung des »flachen Pakets« (die man sich, unter anderem, aus dem Warenhaus »NK« in Stockholm auslieh, wo sie schon seit 1943 praktiziert wurde) und der Universalisierung des Innen-Sechskant-Schlüssels. Zwar gibt es bei Ikea heute keine offenen Plagiate mehr, doch finden sich Einflüsse von vielen erfolgreichen Möbelentwürfen der klassischen skandinavischen und internationalen Moderne im Sortiment wieder, übertragen auf einfacheres Material und auf schlichtere Verbindungen, angepasst an maschinelle Produktion und effiziente Verpackungstechnik. Alvar Aalto und Bruno Mathsson, Arne Jacobsen und die Gebrüder Thonet, später auch Gio Ponti und Charles Eames: Sie alle trugen unfreiwillig zu dem Mobiliar bei, das von Ikea unter eigenem Namen und als eigener Entwurf vertrieben wird. Es erscheint nun, auch in der Ausstellung des Museums, als systematische Fortsetzung eines von Helligkeit und Funktionalität geprägten Stils, der in der ländlichen nordischen Nationalromantik des späten 19. Jahrhunderts begann und über die skandinavische Anverwandlung des Funktionalismus geradewegs in eine Erneuerung des »internationalen Stils« der sechziger Jahre führte. »Demokratisch« sei das Design, behauptet Ikea in der Ausstellung. Das trifft insofern zu, als die Möbel für viele Menschen erschwinglich sind. Es scheint aber darüber hinaus etwas Größeres gemeint: ein Weltzustand, der irgendwie schwedisch sein soll – eine Anmaßung, die übrigens nichts gälte, wäre da nicht auch der weltweit verbreitete Glaube, in Schweden gäbe es so etwas wie einen rundum guten Staat, die ideale Demokratie.

      Zur Ausstellung in Älmhult gehört auch ein kleines Kino. Dort wird, in einer Endlosschleife, ein kurzer Film des britischen, aber schon seit Jahrzehnten in Schweden lebenden Regisseurs Colin Nutley gezeigt – desselben Mannes, der in den frühen neunziger Jahren die schwedische Nationalromantik neu erfand, mit dem Spielfilm Änglagård (1992, dt. Titel: ›Fanny’s Farm‹), und zwar auf eine Weise, die noch den härtesten Kiefernholztisch in ein tränenfeuchtes Taschentuch verwandeln könnte. Der Kurzfilm zeigt schöne, junge Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, die alle miteinander befreundet sind und eine Hochzeit feiern, während gleichzeitig ein Kind geboren wird. Und mitten durch die blühende schwedische Sommerlandschaft fährt ein alter Saab. Ikea tritt in diesem Film nicht auf, weder als Name noch in Gestalt von Möbeln. Im Grunde ist dies auch nicht nötig, denn alles, was hier zu sehen ist, die mittelalterliche Kirche, die Wiesen und Bäume, das knatternde Auto, die schönen Menschen, der Kreißsaal – das alles in seiner Gesamtheit soll wohl Ikea sein. Ein Möbelhaus gewissermaßen als Initiator einer globalen Erweckungsbewegung, ein Storytelling, das ein hinter den Tausenden von Porträts Ingvar Kamprads liegendes Versprechen einzulösen scheint: Wir sind eins, zusammen besiedeln wir eine schöne, heile Welt. Der Anspruch ist, daran kann kein Zweifel herrschen, weltumfassend.

      Die Möbelfirma Ikea inszeniert sich hier nicht mehr wie ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen, sondern eher wie ein universales Institut für Sinnstiftung. Das geschieht, ohne dass dabei der Geschäftszweck aufgegeben würde, im Gegenteil. In dieser Bewegung gleicht Ikea nicht nur den anderen großen Marken auf dem Weltmarkt, Apple zum Beispiel oder Nike oder, auf höherem Preisniveau, Prada, sondern das Unternehmen vollzieht auch an sich selbst die Logik des »branding«: in der Ausstattung des Warenangebots mit einem ideologischen Überschuss, der dann das Eigentliche der Produkte ausmachen soll – und also letztlich der Kunst näher ist als dem Gebrauchswert. Deswegen gibt es jetzt nicht nur das Museum in Älmhult, sondern auch eine Vielfalt von Kollaborationen mit berühmten Designern, mit Piet Hein Eek zum Beispiel, mit der dänischen Werkstatt Hay oder mit der Glasgestalterin Ingegerd Råman. Und aus demselben Grund beginnt die Firma, die gigantischen blau-gelben, ästhetisch schwer erträglichen Würfel an den Stadträndern durch Warenhäuser in den Innenstädten zu ersetzen, mit einer jeweils sorgfältig der Umgebung angepassten, aber entschieden modernen Architektur.

      Die Fassade des Museums in Älmhult ist übrigens ganz in strahlendem Weiß gehalten. Das war bei diesem Bau schon immer so. Und im ersten Stock gibt es, in einem Studio, das aus einer Ikea-Küche besteht, für jeden Besucher die Gelegenheit, sich selbst als glückliches Elementarteilchen des Ikea-Gesamtwesens zu fotografieren. So kommt das eine zum anderen.

      Ein Mann hat eine Idee – wie alles begann

      Neues aus Älmhult: Die Entstehung eines Versandhauses

      Als Ikea im Jahr 2010 die Glühbirne durch die Energiesparlampe ersetzte, seien 626 Millionen Menschen zu Umweltschützern geworden, heißt es in einem Artikel, der im Jahr 2012 in der amerikanischen Zeitschrift The New Yorker erschien. Selbstverständlich ist der Satz eine Übertreibung, aber nicht nur die Zahl der Kunden dürfte verlässlich sein, sondern auch die darin ausgedrückte Vorstellung von Bedeutung. Ikea ist der größte Möbelhändler der Welt, und das Unternehmen ist viel mehr als das: ein Immobilienentwickler, eine Bank, ein Gastronomie-Konzern, eine Agentur der Moden und der Stile. Im Jahr 2017 erwirtschaftete Ikea in über 400 Filialen in etwa vierzig Ländern einen Umsatz von mehr als 36 Milliarden Euro, knapp 5 Milliarden davon in Deutschland. Auf dem Weg zu einem solchen Erfolg durchdrang Ikea nicht nur alle Gesellschaftsschichten, sondern etablierte sich auch in allen Generationen.

      Ingvar Kamprad, gerade siebzehn Jahre alt geworden, hatte die Firma im Jahr 1943 als Haustürgeschäft gegründet: Der Name ist ein Akronym. Es steht für den Vor- und Nachnamen des Gründers sowie für den Weiler Älmtaryd, altertümlich »Elmtaryd«, und die Gemeinde Agunnaryd. Bei der Gründung ging es zunächst gar nicht um Möbel. Ingvar Kamprad verkaufte Füllfederhalter, Uhren oder Brieftaschen – lauter Waren, die sich für Haustürgeschäfte in einer bäuerlichen Umgebung anboten. Das Startkapital hatte er sich, eigenen Aussagen zufolge, schon seit Kindertagen mit einer Vielzahl kleinerer Tätigkeiten erworben und zusammengespart. Mit diesem Geld und einem Kredit in Höhe von 500 Kronen hatte er aus Paris 500 Füllfederhalter importiert. Auf die Füllfederhalter folgten Feuerzeuge aus der Schweiz, später Kugelschreiber aus Ungarn. Während Ingvar Kamprad solchen Geschäften nachging, studierte er zwischen 1943 und 1945 an der Handelshochschule in Göteborg. In den folgenden beiden Jahren absolvierte er seine Grundausbildung im schwedischen Militär. Erst als er diese im Oktober 1947 beendet hatte, widmete er sich ausschließlich seiner Händlertätigkeit.

      Gegen Ende der vierziger Jahre begann Kamprad, ein Flugblatt mit dem Namen ikéanytt (›Neues von Ikéa‹) an seine Kunden zu verschicken, um diese über die Neuigkeiten im Sortiment zu informieren. Im Jahr 1947 ging Ikea dann dazu über, in Zeitungen zu inserieren, und vollzog damit den Schritt in Richtung Versandunternehmen. Auf die Annoncen folgten Beilagen, die Kamprad ab 1949 unter anderem dem Verbandsblatt der Landwirte beilegen ließ, einer Zeitschrift mit einer Auflage von 285 000 Exemplaren. Im Jahr 1948 wurden schließlich auch Möbel Teil des Sortiments. Deren Herstellung und Versand übernahmen kleinere Schreinereien in der näheren Umgebung Älmhults: Ein Sessel namens Rut war das erste Möbelstück, das Ingvar Kamprad im Programm hatte. Auch heute tragen alle bei Ikea erhältlichen Gegenstände einen Namen, oft geographischer, manchmal auch persönlicher Art, deren Aussprache die Kundschaft außerhalb Schwedens nicht selten vor Probleme stellt. Der Grund für die allseitige Warentaufe soll – so wurde von Kamprad behauptet – in seinem Unvermögen liegen, sich Artikelnummern zu merken. Tatsächlich verwandeln sich mit den Eigennamen lauter anonyme Dinge in Elemente eines individualisierten Hausrats. Und dass dieser darüber hinaus einen dezidiert schwedischen