nie etwas hatte abgewinnen können. Danach schrieb er seinem Vater eine Nachricht und nahm den nächsten Aufzug nach oben in sein eigenes Zimmer, das er mit voller Absicht in diesem Hotel gebucht hatte.
Kapitel 2
Lunas Wecker klingelte bereits um sechs Uhr. Stöhnend tastete sie nach ihrem Handy, um die nervige Melodie auszuschalten.
Der Abend war länger geworden als geplant. Dieser Riley hatte alles durcheinandergebracht. Normalerweise ging Luna spätestens um ein Uhr nachts ins Bett, schließlich brauchte sie ihren Schlaf. Aber Riley hatte gestern nicht auf ihren Zauber reagiert und war als einziger Gast geblieben. Eigentlich hätte sie ihm gerne eine höfliche Abfuhr erteilt, doch der Umstand, dass er nicht gegangen war, hatte sie neugierig gemacht. Nun musste sie mit der Konsequenz leben: bleierne Müdigkeit.
Erneut klingelte es. Dieses Mal war es ein Anruf auf dem hoteleigenen Telefon.
Mit einer Handbewegung ließ Luna die Deckenleuchten erstrahlen. Sie setzte sich auf und nahm das Gespräch an.
»Guten Morgen, Frau Moonlight. Sie wollten geweckt werden. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tag!«
»Vielen Dank.« Luna warf einen Blick auf ihr Handy, es war bereits zwanzig nach sieben. Sie war noch einmal eingenickt, in Gedanken an den Mann von letzter Nacht. Zum Glück ließ sie sich immer vom Hotelpersonal anrufen, für den Fall, dass sie erneut einschlief – so wie an diesem Tag.
Gähnend kletterte Luna aus dem Bett und suchte ihre Kleidung zusammen. Ihre Dusche musste wohl kürzer ausfallen, wenn sie pünktlich sein wollte.
Eine halbe Stunde später zog sie ihren Koffer hinter sich aus dem Aufzug in die Lobby des Hotels, um auszuchecken.
Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich und drehte sich schwungvoll zum Ausgang. Dabei wurde sie beinahe von einem Mann umgerannt.
»Oh, entschuldigen Sie bitte.« Sie wollte weitergehen, als er eine Hand auf ihren Arm legte.
»Luna? Na, was für ein Zufall! Ich dachte schon, ich würde dich nicht mehr sehen.« Es war Riley, der ebenfalls müde, aber gut gelaunt wirkte. Sein kurzes blondes Haar war etwas verwuschelt, was ihn überaus sympathisch machte. »Der Abend war fantastisch. Ich hoffe sehr, dass du doch noch genug Schlaf bekommen hast.«
»Nun ja, eigentlich nicht …«, sagte Luna, aber als sie in seine strahlend blauen Augen sah, musste sie unwillkürlich lächeln. »Es ist halb so schlimm, ich kann im Auto etwas schlafen. Ich fand den Abend auch sehr schön. Er war die Müdigkeit wert.« Sie zwinkerte ihm zu.
Rileys Blick glitt zum Ausgang. »Ich will dich nicht aufhalten. Dein Wagen wartet sicherlich schon. Es freut mich, dass ich dich noch mal sehen konnte. Ich wünsche dir eine gute Reise.« Mit einem Lächeln wandte er sich von ihr ab.
Leicht irritiert sah Luna ihm hinterher. Sie hatte erwartet, dass er nach dem vergangenen Abend versuchen würde, ein längeres Gespräch zu führen. Ein wenig enttäuscht war sie ja schon. Aber vielleicht hatte er es selbst einfach nur eilig.
In diesem Moment trat Lunas Chauffeur Michael durch die gläserne Flügeltür des Hoteleingangs und kam lächelnd auf sie zu. Er trug einen schlichten schwarzen Anzug und hatte die kurzen dunklen Haare streng nach hinten gegelt.
»Guten Morgen, Frau Moonlight. Darf ich?« Er deutete auf ihren Koffer.
»Gerne, danke. Und nenn mich bitte Luna. Du weißt doch, dass ich nicht gerne gesiezt werde.« Grinsend überließ sie Michael ihr Gepäck und schaute noch einmal zurück, doch Riley war schon längst verschwunden. Luna folgte Michael zu ihrem Wagen, der gleich vor dem Hoteleingang geparkt war.
»Möchten Sie Musik hören?«
Luna seufzte laut. »Ach Michael, ist das Du so schwer?«
Er lachte höflich. »Es ist so tief in meinem Kopf drin, es tut mir leid.«
»Ist schon gut. Musik brauche ich nicht. Wie geht es Frau und Kindern?« Ganz automatisch fiel ihr Blick auf das Foto, das seit jeher an der Armatur über dem Radio angebracht war: eine blonde Frau, rechts und links von ihr ein Mädchen und ein Junge, beide etwa im Grundschulalter. Sie lachten alle in die Kamera wie eine glückliche Familie aus einem Reiseprospekt.
»Wie alt sind die zwei eigentlich mittlerweile?«
»Ihnen geht es ausgezeichnet. Wollen Sie direkt zur nächsten Location fahren oder vorher noch irgendwo anders hin?«
Ihre Frage nach dem Alter schien er absichtlich übergangen zu haben. Luna hatte das Gefühl, dass er nicht gerne von seiner Familie erzählte. Dabei hatte sie immer gedacht, dass alle voller Stolz von ihren Kindern sprachen. Die Vermutung lag nahe, dass er Probleme in seiner Ehe hatte.
Daher hakte sie nicht weiter nach. »Nein danke, bitte direkt zur Location. Ich glaube, ein wenig leise Musik zu hören wäre doch ganz schön.«
»Gerne, Frau Moonlight.«
Sosehr sie es auch versuchte, es gelang Luna nicht, im Auto einzuschlafen. Ihre Gedanken kreisten um das lange Gespräch vom Vorabend und die viel zu kurze Begegnung in der Lobby. Ob sie es wollte oder nicht, Riley hatte ihre Neugier geweckt. Sie fragte sich, ob er gegen ihre Magie immun war. Er hatte nicht reagiert, als alle anderen müde geworden waren und den Raum verlassen hatten. Entweder hatte der Mann einen starken Willen oder etwas schützte ihn.
Nachdem Luna ihr Schlafdefizit mit einem kleinen Mittagsschlaf im Hotel aufgeholt hatte, war es schon wieder Zeit für die Arbeit.
Sie liebte es, umherzureisen und die Menschen zu verzaubern.
Die Show verlief ähnlich wie die am Abend zuvor. Das Publikum war begeistert und vollkommen fasziniert von ihr.
Anschließend gab es wieder eine kleine Party, auf der sie sich blicken ließ, die aber ohne Probleme dank ihrer Magie um Punkt Mitternacht beendet war. Alles war wie immer – und das ärgerte Luna.
Als sie das Licht in ihrem Hotelzimmer anknipste und das leere, gemachte Bett sah, spürte sie ein seltsames Gefühl in ihrem Magen. Sie schaltete den Fernseher ein, um beim Abschminken und Umziehen eine Geräuschkulisse zu haben, denn die Stille, die ihr sonst so gefiel, war auf einmal erdrückend. Wie gerne hätte sie nun mit jemandem gesprochen, von dem Auftritt erzählt oder einfach nur Small-Talk gehalten. Doch da war niemand. Da war nie jemand. Warum störte es sie auf einmal?
Einige Tage später fand die nächste Show statt.
Völlig entspannt und ganz in ihrem Element begann sie mit ihrem Eröffnungstrick, bis sie ins Publikum sah und ihr Puls sich unwillkürlich beschleunigte. Gleich in der ersten Reihe entdeckte sie Riley. Der blonde Kurzhaarschnitt und das kantige Gesicht waren unverwechselbar. Seine hellen Augen verfolgten gebannt jede ihrer Bewegungen.
Luna ließ sich nichts anmerken, aber das Lächeln fiel ihr auf einmal viel leichter. Sie freute sich tatsächlich, dass er sie anscheinend nicht vergessen konnte – genauso, wie sie immer wieder an ihn denken musste.
Normalerweise waren die Zuschauer fasziniert und gelöst, Riley hingegen wirkte analytisch. Klar, er mochte Zaubershows und fragte sich bestimmt, wie der eine oder andere Trick funktionierte.
Luna musste sich bremsen, um mit ihren Zaubertricks nicht zu übertreiben. Was das anging, hatte sie ihre festen Regeln und jeder Zauber musste so ablaufen wie geplant. Daran würde auch der verwirrend niedliche Kerl in der ersten Reihe nichts ändern.
Bei der After-Show-Party ließ sie absichtlich einen Zauber wirken, den sie sonst nicht benötigte. Die Gäste wurden zurückhaltend, sodass sie nicht wie sonst in unzählige Gespräche verwickelt wurde. Für gewöhnlich genoss sie den Austausch, doch dieses Mal hätte sie sich nicht darauf konzentrieren können.
Zielstrebig ging sie auf Riley zu, der an einem kleinen Tisch Platz genommen hatte, und setzte sich zu ihm. »Du bist wiedergekommen«, stellte Luna fest. Ein Handzeichen genügte, um den Kellner herzulocken, der ihr einen Champagner reichte. Mit dem Glas in der Hand beobachtete sie den jungen Mann ganz genau.