ist ein Umsetzungsakt der Mitgliedstaaten in Form einer nationalen Norm erforderlich, durch welche die europäische Richtlinie allerdings nicht unverändert umgesetzt werden muss. Vielmehr kann die Richtlinie einen Umsetzungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber vorgeben, innerhalb dessen er frei in der entsprechenden Umsetzung der europäischen Richtlinie ist. Ferner kann der nationale Gesetzgeber die europäische Richtlinie in Teilen überschießend umsetzen, indem er weitergehende Regelungen erlässt, als durch die entsprechende Richtlinie vorgesehen sind.135 Dieser Transformationsakt verliert im Rahmen der Auslegung also an Bedeutung, wenn bei jeder Abweichung zwischen nationalem Recht und Richtlinienrecht stets auf die Richtlinie zurückgegriffen wird. Der vom nationalen Gesetzgeber verfolgte Zweck beim Umsetzen der Richtlinie in nationales Recht ist daher als maßgebliches Element im Rahmen des Auslegungsvorgangs zu beachten.136 Somit hat die Transformation durch den nationalen Gesetzgeber noch immer Bedeutung und ist damit auch mit den bekannten Auslegungsmethoden zu erforschen.137 Außerdem fließt der Wille, eine Richtlinie umzusetzen, jedenfalls über historische Gesichtspunkte, in den Auslegungsprozess mit ein.138 Daher fordert der EuGH in ständiger Rechtsprechung eine an der jeweiligen Richtlinie orientierte Auslegung des nationalen Rechts.139
b) Anwendbarkeit der Auslegungsmethoden nach Savigny auf eine europarechtskonforme Auslegung
Überdies ist klärungsbedürftig, mit welchen Methoden eine europarechtskonforme Auslegung erfolgen kann. Insbesondere ist zu klären, ob die für das deutsche Recht entwickelten Auslegungsmethoden nach Savigny auch auf das Europarecht anwendbar und übertragbar sind. Der fremden Norm – folgt man Savignys Auslegungsmethoden – könnte eine fremde, namentlich deutsche Systematik aufgezwungen werden, die nicht ihrem eigenen Rechtscharakter entspricht. Dies ist jedoch nicht der Fall. Savignys Auslegungskanon statuiert lediglich eine Arbeitstechnik, mit der sich jede Eigenart einer ausländischen Norm in ihrem ausländischen Kontext mit jeder Besonderheit erfassen und ergründen lässt.140 Savignys Auslegungsmethoden wurden zwar ursprünglich für das deutsche Recht geschaffen, stellen aber ein universelles und neutrales Mittel dar, das sich zur Auslegung von Normen aller Rechtsordnungen eignet.141 Nach Ansicht des EuGH gelten zwar für die richtlinienkonforme Auslegung autonome Auslegungsgrundsätze, aber diese stimmen im Wesentlichen mit den bereits dargestellten Auslegungsmethoden überein,142 sodass auf die dargestellten Methoden auch im Rahmen der Auslegung des europäischen Rechts zurückgegriffen werden kann.
Besondere Bedeutung bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts hat in diesem Zusammenhang der sogenannte „effet utile“. Dieser dem europäischen Recht eigene Auslegungsgrundsatz zielt darauf ab, dem in einer europäischen Norm angelegten Zweck zur Wirksamkeit zu verhelfen.143 Danach ist grundsätzlich diejenige Auslegung vorzuziehen, bei der sich das Unionsrecht am besten und wirkungsvollsten durchsetzt, wenn das nationale Recht unterschiedlich ausgelegt werden kann. Die Entstehungsgeschichte einer unionsrechtlichen Vorschrift kann überdies relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern. Bei der Auslegung des nationalen Umsetzungsrechts ist die EU-Richtlinie schließlich insoweit zu berücksichtigen, wie nach den Regelungsabsichten und dem vom historischen Gesetzgeber verfolgten Zweck im Sinne des effet utile gefragt wird.144
5. Der Herstellerbegriff als unbestimmter Rechtsbegriff?
Um beurteilen zu können, welcher Maßstab an die Auslegung des Herstellerbegriffs zu legen ist, ist vorab zu klären, ob der Herstellerbegriff gegebenenfalls als unbestimmter Rechtsbegriff einzustufen ist. Bei einem unbestimmten Rechtsbegriff handelt es sich um einen Begriff in einer Norm, der auslegungsbedürftig, weil vage ist, und dessen objektiver Sinn sich nicht sofort erschließt.145 Ein unbestimmter Rechtsbegriff ist für eine Dehnung beziehungsweise Erweiterung des Begriffs zugänglich und kann daher mit eigenen Wertungen ausgefüllt werden.146 Diese Ausfüllbarkeit eines unbestimmten Rechtsbegriffs ist vom Normgeber bewusst gewählt.147 Ein unbestimmter Rechtsbegriff wird daher nicht nur ausgelegt, sondern kann vom Normanwender auch mit eigenen Wertungen ausgefüllt werden.148 Folglich entscheidet die Beurteilung darüber, ob es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, über den Maßstab der Auslegung.
Bei einem unbestimmten Rechtsbegriff in einer europäischen Richtlinie werden die EU-Mitgliedstaaten zu den Interpreten, welche die mehrdeutigen Formulierungen der Norm – die unbestimmten Rechtsbegriffe – ausfüllen.149 Das führt dazu, dass eine Auslegung an europäischen Zwecken und Zielrichtungen der Richtlinie wieder eingeschränkt wird, da dem interpretierenden Mitgliedstaat vom europäischen Gesetzgeber bewusst ein Freiraum dafür eingeräumt wurde, den unbestimmten Rechtsbegriff mit eigenen Wertungen zu füllen. Die Motive und Ziele des nationalen Gesetzgebers treten bei der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs dadurch wieder in den Vordergrund.
Vorliegend ist der Herstellerbegriff legaldefiniert. Daraus ist zu schließen, dass die Konkretisierung des Begriffs nicht dem Mitgliedstaat überlassen werden sollte, sondern vielmehr hat der europäische Normgeber den Herstellerbegriff selbst konkretisiert. Dass die Konkretisierung des Normgebers womöglich selbst nicht konkret genug ist, ändert nichts daran, dass der Normgeber nicht den Willen dazu hatte, die Konkretisierung durch den Normanwender vornehmen zu lassen. Demnach ist der Herstellerbegriff kein unbestimmter Rechtsbegriff im vorgenannten Sinne, wodurch sich die teleologische Auslegung des Herstellerbegriffs grundsätzlich am Sinn und Zweck des europäischen Produktsicherheitsrechts auszurichten hat.
110 Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, S. 213 f. 111 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kap 4, Ziff. 2 f; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 146 ff., 172 ff. 112 Raisch, Juristische Methoden, S. 103 f. 113 Raisch, Juristische Methoden, S. 138; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 23. 114 Raisch, Juristische Methoden, S. 139. 115 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 638; Bumke, Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung, S. 49. 116 Raisch, Juristische Methoden, S. 140. 117 Schwacke, Juristische Methodik, S. 125 ff. 118 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 254. 119 Der Begriff „Kandidat“ entstammt der modernen Sprachphilosophie, siehe dazu: Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 194 ff.; Heinrich Schoppmeyer, Juristische Methode als Lebensaufgabe: Leben, Werk und Wirkungsgeschichte Philipp Hecks, S. 282. 120 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 195. 121 Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 18; Meier/Jocham, JuS 2015, 490, 490 f.; Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 64. 122 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 199 f. 123 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 29 f. 124 Koch/Rüßmann, Juristische Begründungslehre. Eine Einführung in die Grundprobleme der Rechtswissenschaft, S. 130. 125 Es kann sich dabei um die Laiensphäre handeln, um Juristen oder Experten, zum Beispiel Ingenieure. 126 Raisch, Juristische Methoden, S. 140 f.