Aufklärung ist dagegen nicht mehr relevant. Zweitens folgt die Ermittlung dessen, wie ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher dies versteht. Unerheblich ist, ob tatsächlich eine Person die Aufmachung so verstanden hat, sondern es zählt allein die abstrakte Eignung zur Irreführung. Im letzten Schritt wird festgestellt, ob die getätigte Aussage und das Verbraucherverständnis auseinanderfallen. Ist dies der Fall, ist die Information irreführend.26
Für eine geänderte Kennzeichnung bekräftigt die spezielle Regelung in Art. 8 Abs. 4 S. 1 LMIV das Irreführungsverbot. Es gilt für alle genannten Konstellationen einer Kennzeichnungsänderung. In der Vorschrift wird es um den Zusatz ergänzt, dass eine solche Kennzeichnung auch nicht in anderer Weise den Verbraucherschutz und die Möglichkeit des Endverbrauchers, eine fundierte Wahl zu treffen, verringern darf.27 Der Zusatz weitet die Pflichtkennzeichnung nicht aus, sondern soll verhindern, dass vom Vermarkter freiwillig angebrachte Zusatzinformationen, etwa eine Bio-Kennzeichnung oder Gütesiegel, unter Berufung auf die allgemeine Änderungsbefugnis aus Art. 8 Abs. 4 LMIV entfernt werden.28
Die Regelungen der LMIV in Bezug auf das Irreführungsverbot sind speziell zum allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Irreführungstatbestand aus § 5 UWG29, der zwar neben dem lebensmittelrechtlichen Irreführungsverbot anwendbar bleibt, aber in dessen Lichte ausgelegt werden muss.30
Darüber hinaus kann eine Lebensmittelkennzeichnung nicht nach § 5a UWG irreführend wegen des Vorenthaltens wesentlicher Informationen sein, sofern den insoweit abschließenden Pflichtkennzeichnungsregeln des Lebensmittelrechts entsprochen wurde, auch wenn ein weitergehendes Informationsbedürfnis der Verbraucher besteht.31 Mit den Pflichtkennzeichnungsregeln sind vor allem die nach Art. 9ff. LMIV vorgeschriebenen Informationen gemeint.
Fehlen dem Verbraucher Informationen, die er erwartet hat, beispielsweise ein Hinweis darauf, dass ein korrekt abgegebenes MHD bereits abgelaufen ist, so kann demzufolge eine Irreführung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 LMIV bzw. § 5 UWG nur in einer Handlung, etwa der Art und Weise der Produktpräsentation im Ladengeschäft, aber nicht im Unterlassen dieses Hinweises im Sinne von § 5a UWG liegen.32
Außerhalb des Anwendungsbereichs der LMIV, insbesondere wenn Informationen im B2B-Verkehr verbleiben, ist dagegen § 5 UWG als Irreführungsmaßstab allein anwendbar.
25 Siehe nur Meisterernst, § 9 Rn. 21; Grube, in: Voit/Grube, Art. 7 Rn. 46. 26 Vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, C.113 LMIV Art. 7 Rn. 17–39, 54–57; Grube, in: Voit/Grube, Art. 7 Rn. 45–47; Sosnitza, in: Ohly/Sosnitza, UWG § 5 Rn. 105–106. 27 Hagenmeyer, LMIV, Art. 8 Rn. 6; Dévényi, EFFL 2011, 210 (212); Voit, in: Voit/Grube, Art. 8 Rn. 45. 28 Vgl. Meisterernst, in: Zipfel/Rathke, C.113 LMIV Art. 8 Rn. 46; Voit, in: Voit/Grube, Art. 8 Rn. 47. 29 Im Kontext mit Informationen an Verbraucher ist das UWG im Lichte der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken – UGP-Richtlinie) auszulegen. 30 Siehe nur Grube, in: Voit/Grube, Art. 7 Rn. 23; Ruess, in: MüKo Lauterkeitsrecht, Bd. 1, UWG § 5 Rn. 130. 31 Grube, in: Voit/Grube, Art. 7 Rn. 24–27; BGH, Urt. v. 2.12.2015, Az. I ZR 45/13 (Himbeer-Vanille-Abenteuer II), ZLR 2016, 520, Rn. 23; Meisterernst, § 9 Rn. 28; Rathke, in: Zipfel/Rathke, C.113 LMIV Art. 7 Rn. 177, siehe aber auch Rn. 178–180; a.A. Fezer, VuR 2015, 289 (291–292); Köhler, WRP 2014, 637 Rn. 28, allerdings auch Rn. 8–11. 32 Vgl. Rathke, in: Zipfel/Rathke, C.113 LMIV Art. 7 Rn. 176–177; Michalski/Riemenschneider, BB 1994, 588 (588–589)
5. Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum als verpflichtende Angaben
Nicht nur die Partner im Verbundprojekt Intelli-Pack, sondern auch zahlreiche weitere Stimmen aus unterschiedlichen Gebieten33 sehen Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) und Verbrauchsdatum (VD) als Hebel, um die Lebensmittelproduktion nachhaltiger zu gestalten und Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Liegt ein zur Abgabe an den Endverbraucher bestimmtes Lebensmittel vor, so ist ihm gemäß Art. 6 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. f, Art. 24 LMIV als verpflichtende Angabe ein MHD oder VD beizufügen.
Zunächst wird der Anwendungsbereich dieser Pflichtangabe dargestellt. Dabei zeigt sich, dass TTI das aufgedruckte Haltbarkeitsdatum als Pflichtangabe derzeit nicht ersetzen können.
a. Mindesthaltbarkeitsdatum
Das MHD bezeichnet gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. r LMIV
„das Datum, bis zu dem dieses Lebensmittel bei richtiger Aufbewahrung seine spezifischen Eigenschaften behält“.
Obwohl sich das MHD demnach auf „dieses“ Lebensmittel bezieht, wird dadurch nicht die Pflicht statuiert, für jedes einzelne Exemplar, also für jede Packung Bratwurst oder für jeden zusammengestellten Convenience-Salat, ein individualisiertes MHD zu bestimmen. Das MHD nimmt vielmehr eine generelle, typisierende Perspektive auf die Lebensmittelgattung ein.34 Das anzugebende Datum informiert über einen Zeitraum, in dem spezifische Eigenschaften bzw. die Sicherheit eines Lebensmittels der jeweiligen Gattung unter der Voraussetzung der richtigen Aufbewahrung gewährleistet werden. Mit den „spezifischen Eigenschaften“ sind dabei die selbstverständlich von den Verbrauchern vorausgesetzten sowie die durch werbende Angaben des Lebensmittelunternehmers ausgelobten und dadurch von den Verbrauchern erwarteten Produkteigenschaften gemeint.35
Der Blickwinkel ist mithin ein genereller auf die Lebensmittelgattung im Gegensatz zu einer konkreten Betrachtung des einzelnen Lebensmittels, welche etwa für die Sicherheitsbewertung nach Art. 14 BasisVO – vor oder nach Ablauf des MHD – notwendig ist.36 Daraus folgt außerdem, dass das Nichterreichen des MHD in Einzelfällen nicht notwendig die Ungeeignetheit des verwendeten Datums impliziert.37
Das MHD gilt ferner unter der Voraussetzung der „richtigen Aufbewahrung“. Damit ist klargestellt, dass aus rechtlicher Sicht etwaige Unterbrechungen der Kühlkette – gleich an welcher Stelle des Produktlebenszyklus von Herstellung bis Verbrauch – bei der Bestimmung des MHD nicht berücksichtigt werden müssen. Bei nicht sachgerechter Lagerung verliert das MHD im Sinne der LMIV seine Garantiefunktion dafür, dass das Produkt seine spezifischen Eigenschaften behält. Der verantwortliche Lebensmittelunternehmer muss hierfür keine Reserven einplanen.38
b. Verbrauchsdatum
Für gewisse Lebensmittel wie beispielsweise Salat oder verschiedene Obst-, Gemüse- und Fleischsorten gilt wegen ihrer physikalischen bzw. chemischen Beschaffenheit Art. 24 Abs. 1 LMIV:
„Bei in mikrobiologischer Hinsicht sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die folglich nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen können, wird das Mindesthaltbarkeitsdatum durch das Verbrauchsdatum ersetzt. Nach Ablauf des Verbrauchsdatums gilt ein Lebensmittel als nicht sicher im Sinne von Artikel 14 Absätze 2 bis 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002.“
Der Verweis auf Art. 14 Abs. 2 bis 5 BasisVO stellt eine unwiderlegliche Vermutung und damit einen Rechtsfolgenverweis dar, d.h. mit Ablauf des VD darf das Lebensmittel nach Art. 14 Abs. 1 BasisVO nicht mehr in Verkehr gebracht werden.39 Entsprechend stellt § 6 Abs. 2 LMIDV das Inverkehrbringen von leicht verderblichen Lebensmitteln nach Ablauf des VD unter Strafe.
c. Abgrenzung
Die Frage,