nur das jeweils teuerste. Der Staat hat weder die grundsätzliche Konstruktion des börslichen Strompreishandels noch den Handel im Einzelnen überwacht und reguliert. Es fehlte an einer Meldepflicht für die Aufsichtsbehörde, am Verbot des Insiderhandels und am Marktmanipulationsverbot für den Spotmarkt, der der wesentliche Preissetzer ist. Eine groß angelegte Untersuchung der Europäischen Kommission, für auch die Konzernzentralen durchsucht wurden, endete trotz zahlloser belastender Indizien in einem Vergleich: E.ON musste sich zur Abwendung eines milliardenschweren Bußgeldes verpflichten, sein Höchstspannungsnetz und etwa 10 % seiner Kraftwerkskapazitäten zu verkaufen. Ergebnis für den Verbraucher: Fehlanzeige.
Aber das Verhalten von E.ON war eine vertiefte Untersuchung wert: E.ON war allein in drei Untersuchungsverfahren der Europäischen Kommission verstrickt und erntete zwei saftige Bußgelder. Es fanden zahlreiche Treffen der deutschen und europäischen Konzernlenker statt, die wohl die Funktion hatten, zu abgestimmtem Verhalten zu kommen. Das ist alles dokumentiert in einem Schriftsatz des Bundeskartellamts, der eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, aber im E.ON-Kapitel beleuchtet und im Anhang dokumentiert wird. Warum es nicht zu weitergehenden Untersuchungen kam, legt eine Betrachtung der Ausstattung des Bundeskartellamts nahe: Der Gesetzgeber stattete das Amt so dürftig aus, dass die Beamten zu einer wirklich effektiven Kartellaufsicht, sei es Missbrauch-, sei es Fusionskontrolle, kaum kommen.
Mehrere aktuell gewordene Kapitel befassen sich mit der Atomverstromung und dem unaufhaltsamen Aufstieg der Erneuerbaren Energien. Mit der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ bei der Atomverstromung, vom Staat als Gegenmodell zu ihrer kriegerischen Nutzung gedacht, wie sie in den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki stattfanden, wurde – zunächst gegen den Willen der Konzerne – eine Technologie platziert, die unsicher war und ist, die wegen der ungelösten Entsorgungsfrage ein großes Zivilisationsrisiko erzeugt und letztlich ohne Zukunft ist. Aber die Kosten der Technologie sind immens – und bis heute nicht sauber aufgelistet.
Die Gefahren der Atomverstromung wurden in Deutschland hinter dem Begriff „Restrisiko“ versteckt. Die Atomgemeinde bemühte sich, die Eintrittswahrscheinlichkeit des Größten Anzunehmenden Unfalls (GAU) herunterzurechnen. Eine Basis lieferte der Rasmussen-Report (1975). Die dort ermittelten Abschätzungen – Wahrscheinlichkeit eines GAUs 1:1.000.000 – dienten der Rechtsprechung als Anknüpfungspunkt dafür, dem gegen ein AKW klagenden Bürger schon die Klagebefugnis abzusprechen: Das Bundesverfassungsgericht forderte im berühmten Kalkar-Beschluss vom 8.8.1978, dass Genehmigungen nur erteilt werden dürften, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheine, dass große Schadensereignisse eintreten. Aber was „praktisch ausgeschlossen“ war, definierte die Atomgemeinde. Alle anderen Unfallszenarien gehörten zum „Restrisiko“ und lieferten kein Klagerecht. Die GAUs von Tschernobyl und jetzt von Fukushima haben die fürchterlichen Beweise dafür geliefert, wie sehr sich Menschen irren können. Die Frage hat auch eine ethische Dimension, und daher war es richtig, dass die Bundesregierung nach dem Fukushima-Unfall eine Ethikkommission zur Bearbeitung dieser Frage berufen hat und jetzt aus der Atomversorgung aussteigt.
Es ist letztlich eine List der Technikgeschichte, dass die Erneuerbaren Energien der Atomverstromung den Garaus machen werden. Schon jetzt sind die Erneuerbaren Energien in Deutschland so ausgebaut, dass sie „in die Grundlast der Kernkraftwerke fahren“ und sie zur Drosselung des Betriebs zwingen. Im Jahr 2020 soll es die bisherige Grundlast aus Steinkohle, Braunkohle und Kernkraft nicht mehr geben. Bis 2050 könnte die Stromerzeugung vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt sein. Dass das möglich ist, zeigt ein aktuelles Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Aber hier liegt auch ein epochaler Konflikt: Den Stromkonzernen, die über hundert Jahre die deutsche Stromversorgung garantierten und bis heute daraus viel Geld erlösen, wird langsam das Heft aus der Hand genommen. Private Investoren und Stadtwerke, natürlich auch die Stromkonzerne, bauen Wind-, Wasserkraftwerke, Photovoltaikanlagen, verstromen Biomasse etc. Es entsteht eine bunte Vielfalt von Pfaden. Hier spielen auch Stadtwerke mit ihrer dezentralen Erzeugung und Versorgung eine entscheidende Rolle. Aber es bestehen zwei Herausforderungen: Das Höchstspannungsnetz muss ausgebaut werden, um große Strommengen über hohe Entfernungen zu transportieren. Und es sind Speicher nötig, weil Strom aus Erneuerbaren Energien „zwischengelagert“ werden muss. Dafür könnten in Deutschland z.B. Druckluft- und – im Verbund mit Norwegen – Pumpspeicherkraftwerke gebaut werden. Aber hier halten sich die Konzerne bewusst zurück, um ihre Kraftwerke möglichst lange am Netz zu haben.
Der Staat hat mit der Energiewende politischen Gestaltungswillen und Gestaltungskraft gezeigt. Die Grundlage wurde mit dem EEG 2000 und dem Energiekonzept der Bundesregierung vom September 2010 gelegt. Allerdings standen die beiden Pfade der Stromerzeugung – der fossil/nukleare und der erneuerbare – praktisch unvermittelt nebeneinander. Es musste zu Einspeisekonkurrenzen, zum „Kampf um das Netz“ kommen. Zudem stand die Laufzeitverlängerung verfassungsrechtlich auf tönernen Füßen. Aber die Art und Weise, wie der Unfall von Fukushima in der Energiewende verarbeitet wird, signalisiert nicht nur eine entschiedene Kehrtwende, sondern beschert Deutschland eine weltweit einzigartige Stellung: Der Staat hat die Energiewende bereits vor über zwanzig Jahren angestoßen, nämlich mit dem Stromeinspeisungsgesetz von 1990. Der dadurch und durch das EEG getragene Umbauprozess hat nicht nur eine starke Erneuerbare Industrie entstehen lassen. Vielmehr ist auch eine rechtliche Infrastruktur entstanden. Die Parlamentarische Demokratie hat die Energiewende bereits institutionalisiert. Eins ist absehbar: In der Stromerzeugung wird es zu einem Machtwechsel kommen. An die Stelle der Stromerzeugung in den Konzernen treten die dezentralen Einspeiser aus Erneuerbaren Energien. Die fossile und nukleare Stromerzeugung wird abgewickelt. Aber das geht nicht ohne Auseinandersetzungen. Und wir stecken mitten drin.
Das war der Schluss des Vorworts für die zweite Auflage 2011. Für die dritte Auflage 2020 habe ich ein drittes Buch geschrieben: Die Energiewende: Ein Jahrhundertprojekt. Dessen erstes Kapitel mit derselben Überschrift hat einen Schlussabschnitt: „Der deutsche ‚Sonderweg‘ – ein Glück!“. Und das ist die deutsche Energiewende in der Tat, ein Sonderweg. Es begann mit dem EEG von 1990, das weitgehend auf den linken Sozialdemokraten Hermann Scheer zurückzuführen ist. Er sorgte dafür, dass das EEG – und damit befasst sich das nächste Kapitel – nicht in der Ministerialbürokratie „weichgespült“ wurde; die Erfahrung zeigte nämlich, dass die Stromkonzerne über die jahrzehntelang aufgebauten lobbyistischen Beziehungen zum Bundeswirtschaftsministerium alles nach Kräften verwässerten. Der Bundestag stimmte daher auch nicht über eine Regierungsvorlage ab, sondern über einen Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestags.
Nach dem Kapitel zum Energiekonzept der Bundesregierung 2010 kommt ein weiteres Kapitel: „Der Kampf um die Energiewende“ – und in der Tat muss man einmal darauf hinweisen, dass das EEG auch viele Gegner hatte und hat. Viel Ärger hat mir ein Kapitel eingetragen, das zuerst in der ZNER erschien: „Mit vollem Rohr dagegen: Die FAZ und die Energiewende“. Gedeckt vom Herausgeber Holger Steltzner, der inzwischen gefeuert wurde, schrieben verschiedene Autoren der FAZ gegen die Energiewende an. Manches war richtig beobachtet und dargestellt, aber die Überschriften über den Artikeln und Kommentaren waren immer eindeutig: Die Energiewende ist viel zu teuer und vor allem ein Unglück.
Aber es gibt auch Verteidiger der Energiewende. Dazu würde ich vor allem den Gesetzgeber zählen, trotz allem, von den Parteien vor allem die GRÜNEN und von den Institutionen die Agora Energiewende. Und – die großen und bewundernswerten „Schönauer Stromrebellen“: Ihr unermüdlicher Kampf wird sorgfältig dargestellt und ist in Schönau gegengelesen worden; es stimmt also alles.
Im nächsten Kapitel geht es um Umwelt- und „Super“-Minister Gabriel mit seinen „Eckpunkten“. Die SPD ist heute näher dran an der Kohle-Lobby und daher wurde und wird intern gekämpft. Das ist überhaupt der Grund für den Stimmenrückgang: Der Wähler liebt zerstrittene Parteien nicht. Das ist auch kein Wunder, denn man weiß nicht, wo die Reise hingeht. Eine eindeutige Positionsbestimmung ist ausschlaggebend.
Nach dem Kapitel zum EEG 2017, das ich „Ein verunglücktes Gesetz“ genannt habe, kommen wichtige Fortschritte der letzten Zeit: Die GroKo hat, auch unter dem Einfluss der bewundernswerten Greta Thunberg und der von ihr ins Leben gerufenen Bewegung Fridays for Future, immerhin den Kohleausstieg und das Klimapaket