sich wirtschaftlich nur etwa zwei Kilometer weit leiten. Bei größeren Entfernungen wurden die Kupferkabel zu dick. Wechselstrom konnte man dagegen mit den gerade erfundenen Transformatoren auf Hochspannung bringen. Hochgespannter Strom ließ sich in Kabeln von normaler Strecke ohne größere Verluste über weite Strecken leiten und für den Verbraucher sodann „herunter transformieren“. Westinghouse erkannte die Vorteile des Wechselstroms früher als alle anderen Fabrikanten. Er kaufte für riesige Summen alle erreichbaren Wechselstrompatente und baute die ersten Wechselstromkraftwerke.
Edison hätte zu dieser Zeit ebenfalls umsteigen müssen. Aber der geniale Techniker wollte die Vorzüge des Wechselstroms nicht sehen. „1879 war Edison einer kühner und mutiger Neurer“, schreibt ein Biograph, „zehn Jahre später hatte er sich in einen vorsichtigen und konservativen Verteidiger des status quo verwandelt.“ Edison schlug zurück: Bürgerinitiativen propagierten damals anstelle der qualvollen Hinrichtung durch den Strang den angeblich blitzschnell wirkenden elektrischen Stuhl. Um die Wähler zu überzeugen, tötete ein auf Edisons Gehaltsliste stehender Professor H. G. Brown bei Massenveranstaltungen vor den Augen des Publikums große Hunde durch Stromstöße, allerdings darauf hinweisend, dass sich nur der neumodische Wechselstrom zum Töten eigne, nicht dagegen der harmlose Gleichstrom von Edison. Der Bundesstaat New York führte 1888 den elektrischen Stuhl als Hinrichtungsmaschine ein. Professor Brown machte darauf aufmerksam, dass die Hinrichtungen mit Wechselstromgeneratoren der Firma Westinghouse vollzogen würden. Im Parlament wurde sogar vorgeschlagen, in Zukunft nicht mehr von „Hinrichten“ sondern von „Westinghousen“ zu sprechen. Das war aber nur ein publizistischer Erfolg.
Aber trotz des „Wechselstromkriegs“ hatten alle Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg, auch Edisons Gesellschaft. Edison kam mit der Produktion nicht mehr nach und musste Schulden machen, um neue Fabriken zu bauen. Trotz größten Erfolgs als Fabrikant lebte er wegen seines zu geringen Grundkapitals ständig in der Furcht vor dem Bankrott. Unter dem Druck der Banken brachte er seine Werke in die gemeinsam mit der Muttergesellschaft gegründete Edison General Electric ein, eine Trust, unter dessen Dach Patente, Lizenzen, Beteiligungen und Fabriken vereinigt waren. An dieser Gesellschaft hielt Edison zunächst ein Viertel des Aktienkapitals. Doch dann wurde wieder einmal das Stammkapital erhöht, so dass Edison plötzlich nur noch 10 % des von ihm groß gemachten Unternehmens gehörten. Morgan dagegen hatte in wenigen Jahren einen Gewinn von 350 % gemacht.
Aber das war Morgan nicht genug. Er setzte sich zum Ziel, auch die beiden Konkurrenzgesellschaften Thomson-Houston und Westinghouse zum Eintritt in den Trust zu bringen. Dafür ließ sich nutzen, dass Edison nach langen Patentprozessen zum alleinigen Erfinder der Glühlampe erklärt wurde. In der Branche brach Panik aus. Morgan nutzte sie zu Geheimverhandlungen mit Thomson-Houston. Doch deren Chef Coffin, hinter dem schließlich die Bostoner Banker standen, wollte nicht klein beigeben. Er führte ins Feld, dass seine Firma 50 % mehr Gewinn erwirtschaftete als die Edison-Gesellschaft. Das reichte für Morgan: Er bot Coffin den Vorstandsvorsitz an der fusionierten Gesellschaft an, was dieser akzeptierte. Nur Edison legte sich quer: Er lehnte jede Zusammenarbeit mit Patentpiraten und Wechselstromern ab, aber ohne zu merken, dass eine neue Zeit angebrochen war. Da die Bankiers keinen Erfinder mehr brauchten, erhielt die fusionierte neue Gesellschaft den Namen General Electric. Edison wurde auch als Namensgeber nicht mehr gebraucht. Am nächsten Morgen erschien der New York Herald mit der riesigen Schlagzeile: „Edison ausgebootet!“ Darunter: „Er war Wall-Street nicht gewachsen.“
Nun war Westinghouse an der Reihe. Um ihn in die Knie zu zwingen, entfesselte Coffin einen Preiskrieg, bei dem beide Konzerne sich gegenseitig unterboten und enorme Verluste machten. Auf dem Höhepunkt einer Rezession kam es plötzlich zu einem konzertierten Börsenmanöver, das die Kurse der Westinghouse-Aktien so stark fallen ließ, dass die kopflosen Anleger zu jedem Preis verkauften – und zwar an eine Großbank. Diese und die Wall-Street-Banker sprachen sich ab. General Electric und Westinghouse beendeten den Preiskrieg und schlossen ein Abkommen über den Austausch ihrer Patente und sicherten sich so für Jahrzehnte die technische Vorherrschaft. An die Stelle des kämpferischen Wettbewerbs mit ruinösem Preisverfall traten heimliche Marktabsprachen mit Quoten und sicheren Profiten: Die „große Elektroverschwörung“ von 1897 (Time).
Dieses Oligopol war allerdings keine US-amerikanische Spezialität.
Auch in Deutschland gehörten Stromversorgungsmonopole, garantiert durch Konzessionsverträge, und Kartellabsprachen, wie die zwischen Rathenau und Siemens, zu den Konstruktionsprinzipien der Stromwirtschaft. Deutschland wurde zum „Land der Kartelle“ – und die Stromwirtschaft war die Vorreiterin.
4. Kapitel
Der Stromkrieg von 1901
Der beispiellose Erfolg des Wechselstroms in den USA ging auch an der deutschen Stromwirtschaft nicht vorbei. Siemens und auch Rathenau waren zwar Anhänger des Gleichstroms. Rathenau aber war klar, dass nur Wechselstrom ohne größeren Spannungsverlust über weite Strecken zu transportieren war. Er holte einen brillanten russischen Techniker, Michael von Dolivo-Dobrowolsky, in sein Konstruktionsbüro. Dieser entwickelte in kurzer Zeit ein neuartiges System, bei dem drei Phasen verschobene Wechselströme einen „Drehstrom“ erzeugten, der einen einwandfrei laufenden Motor antrieb. Die Präsentation übernahm Oskar von Miller, der im August 1891 Drehstrom, der im Wasserkraftwerk Lauffen am Neckar erzeugt worden war, mittels Hochspannung von 16.000 Volt über 175 km Freileitung zur Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main transportierte, wo der erste große Drehstrommotor der Welt angeschlossen war und die Pumpe eines künstlichen Wasserfalls antrieb. Das war damals eine Weltsensation.
Siemens konnte da nicht mithalten. Dafür war vor allem verantwortlich, dass der geniale Senior, gerade geadelt, die Leitung des Unternehmens seinem nur mittelmäßigen Sohn Wilhelm von Siemens überlassen hatte. Das war auch von außen zu erkennen: Die Siemens-KG hatte 14 Mio. verantwortliches Kapital, während Rathenaus AG sich auf 20 Mio. stützen konnte.
Auf dem Kraftwerksmarkt kam es zu einem ungezügelten Wettbewerb. Als Hamburg den Bau der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) ausschrieb, bewarben sich neben der Arbeitsgemeinschaft AEG/Siemens (eine Folge der Kartellabsprache) auch Schuckert, Nürnberg und Helios, Köln. Obwohl Helios die Günstigsten waren, schied das Unternehmen aus, weil es eine Wechselstromversorgung vorschlug. Die Berater des Senats meinten aber, „solche Anlagen seien für Hamburg nicht geeignet“. Den Zuschlag erhielt dann Schuckert, weil er der Stadt zusätzlich zur 20 %igen Konzessionsabgabe eine Gewinnbeteiligung bis zu 50 % einräumte. Das hatten AEG/Siemens nicht nötig. Den Siemensleuten passte allerdings Rathenau bei Angeboten des Konsortiums allzu oft. Der Kartellvertrag wurde aufgelöst. Rathenau erhielt damit das Recht, auch große Generatoren zu bauen. Siemens hielt das Risiko für verkraftbar, weil man glaubte, der AEG überlegen zu sein. Aber die Großaufträge in Italien und Südamerika verhalfen der AEG zu einem unglaublichen Erfolg, für den auch der Umstand verantwortlich war, dass ihm die beiden wichtigsten deutschen Bankiers als Aufsichtsratsvorsitzende zur Seite standen: Bis 1896 Georg Siemens, danach Carl Fürstenberg, Inhaber der Berliner Handels-Gesellschaft. Der Wettbewerb, wie er sich beispielsweise bei der HEW-Ausschreibung dargestellt hatte, konnte der AEG nichts anhaben. Das wussten schon frühzeitig nicht nur Rathenau, sondern auch seine Bankiers.
Die Konkurrenten beklagten sich über den Wettbewerb. Schuckert kritisierte: „Die Eifersucht der Konkurrenz bringt unnötige Preisschleudereien hervor“, Siemens sehnte sich nach amerikanischen Verhältnissen, wo „die elektrische Industrie bekanntlich von einer geringen Anzahl größerer Gesellschaften monopolisiert wird, die sich auf Preiskonventionen stützen und daher Lieferung zu hohen Preisen abschließen könnten“. Rathenau beteiligte sich an dem ruinösen Wettbewerb nur am Rande. Er versteckte mit Bilanzierungstricks große Gewinne vor den Aktionären und legte sie für schlechte Zeiten zurück. Dabei wurden sogar die Aktionäre getäuscht, indem in den Bilanzen nur die Produktionsgewinne ausgewiesen waren, nicht aber die aus Finanzierungsgeschäften und eigenen Aktien. Aufsichtsratsvorsitzender Fürstenberg kannte diese Manipulation nicht nur, sondern gab später zu, dass sie „zum Teil sogar auf meinen Rat“ erfolgten. Rathenau konnte so seine Kriegskasse mit Barem füllen. Dafür wurde auch das Instrument genutzt, Maschinen und Werkzeuge im Jahr der Anschaffung