Peter Becker

Vom Stromkartell zur Energiewende


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1. Die Stromverträge

      Der 22.6.1990 war ein ganz normaler Verhandlungstag in der Ostberliner Volkskammer – zunächst. Allerdings, ganz normal waren die Verhandlungen nie. Vielmehr standen die Abgeordneten unter dem Druck, eine Vielzahl von Gesetzen zu verabschieden, mit denen, nachdem schon der Vertrag über die Wirtschafts- und Währungsunion mit der Bundesrepublik abgeschlossen worden war, eine Annäherung an die Gesetzgebung Westdeutschlands erreicht werden sollte. Dazu gehörten auch die Rechte der Kommunen, denen, wie es in § 2 Abs. 2 der Kommunalverfassung vom 17.5.1990 hieß, auch die Aufgabe der Versorgung mit Energie und Wasser obliegen sollte. Das war nicht nur bundesrepublikanischer Standard, den die Berater der Abgeordneten aus den westlichen Bundesländern als wichtig ansahen. Es ging auch darum, die Verstromung der ostdeutschen Braunkohle zurückzudrängen, die schon von Ulbricht als Rückgrat der Stromwirtschaft der DDR angesehen worden war. Die Gewinnung der Braunkohle in riesigen Tagebauen führte zu einem gewaltigen Flächenverbrauch. Die Verbrennung der Braunkohle, die auch in privaten Öfen stattfand, soweit es keine Fernwärmeversorgung gab, bewirkte die Verpestung der Atemluft. Daher verband sich mit der Neuorganisation der Strom- und Wärmeversorgung nicht nur ein technologischer Schub. Es sollte vielmehr auch einen Siegeszug der Ökologiebewegung geben, in dem die dezentrale Versorgung und Erneuerbare Energien eine wichtige Rolle spielten; in der Bundesrepublik stand ja das Stromeinspeisungsgesetz vor der Verabschiedung. Wichtig war auch der dezentrale Ansatz, in dem die Kommunen mit eigenen Stadtwerken eine führende Rolle übernehmen sollten. Es ging damit nicht nur um eine Abwendung von der Braunkohle hin zu sauberem Erdgas, sondern auch um Dezentralität im Gegensatz zu den riesigen Kombinaten der ostdeutschen Energiewirtschaft.

       – nicht nur die Kraftwerke, sondern auch das Transportnetz übernehmen,

       – in den Vorständen der Geschäftsführungsgesellschaften die Mehrheit der Vorstandsmitglieder stellen,

       – das Versorgungsmonopol durch Verträge absichern können,

       – nicht zur Übernahme der Beschäftigten aus den bestehenden DDR-Unternehmen verpflichtet sein und

       – von allen bestehenden Umweltaltlasten der DDR-EVU freigestellt werden.

      Eine wichtige Rolle spielte die sogenannte „Braunkohleklausel“, mit der der Stromabsatz aus den riesigen Braunkohlekraftwerken und damit deren Bestand abgesichert werden sollte. Es hieß dort, dass die DDR dafür sorgen werde, dass das regionale DDR-EVU mit der Verbundnetz AG einen Stromlieferungsvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren über 70 % seines jeweiligen Strombedarfs abschließt. Für den Fall, dass es zur Gründung von Stadtwerken komme, sollte die DDR „soweit rechtlich möglich, dafür sorgen, dass die kommunalen EVU mit den jeweiligen regionalen DDR-EVU Bedarfsdeckungsverträge mit einer Laufzeit von zwanzig Jahren abschließen, soweit sie ihren Strombedarf nicht durch Eigenerzeugungsanlagen decken ... und soweit nicht Energieerzeugungsmöglichkeiten aufgrund regenerativer Energiequellen oder durch wärmegeführte Heizkraftwerke geschaffen werden“. Im unmittelbaren Anschluss an diese Bestimmung findet sich eine Regelung, die die Risiken der Verabredung deutlich machte: „Die DDR wird darauf hinwirken, dass das regionale DDR-EVU die in seinem gegenwärtigen Verantwortungsbereich befindlichen Energieversorgungsanlagen dauerhaft zu Eigentum erhält, die Kommunen nach dem Kommunalvermögensgesetz nur Geschäftsanteile an dem regionalen DDR-EVU erhalten“ und die westdeutschen Erwerber von der Treuhandanstalt die Mehrheit der Gesellschaftsanteile an den regionalen EVU bekommen. Auch sollte das Vermögen des regionalen EVU durch sonstige Herausgabe- oder Entschädigungsansprüche um nicht mehr als 10 % vermindert werden. Dann kam eine Ausstiegsklausel: „Falls dieses nicht erreicht wird, ist das westdeutsche EVU berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten.

      Hier lag nämlich der Hase im Pfeffer. Die Abgeordneten der Volkskammer hatten nicht nur weitreichende Vorstellungen über die Neuausrichtung der Energiewirtschaft; sie hatten vielmehr auch versucht, durch verschiedene gesetzliche Vorschriften sicherzustellen, dass die Kommunen das erforderliche Versorgungsvermögen erhielten, um die Vorstellungen von einer dezentralen, ökologisch ausgerichteten Energieversorgung auch zu verwirklichen. Aber sie hatten nicht damit gerechnet, dass die Regierung sich an die gesetzlichen Aufträge einfach nicht halten, sondern ganz andere Ziele verfolgen wollte.

       2. Das Schicksal der Stadtwerke in der DDR

      Dabei wurden im Zug der staatlichen Wohnungsbaupolitik Neubaugebiete ausschließlich mit Fernwärme beheizt. Die private Wohnungsheizung mit Braunkohle blieb auf die alten Stadtviertel beschränkt. Unter ökologischen Aspekten nahmen sich beide Heizsysteme nichts. Die privaten Heizungen konnten naturgemäß nicht entstaubt und entgiftet werden. Aber auch die gewaltigen Heizwerke der Energie-Kombinate wiesen keinerlei Immissionsschutzvorkehrungen auf. Während der Heizperiode durchzogen daher die gesamte DDR die widerwärtigen Braunkohledünste, die sich im Bewusstsein der Bevölkerung mit der zentralistischen Energiekonzeption Ulbricht’scher Prägung verband.

      Die ungeheure Energieverschwendung des Systems ist bekannt. Sie äußerte sich aber nicht nur darin, dass die Heizungen sowohl in den Alt- wie auch den Neubaugebieten keinerlei Ventile aufwiesen, so dass die Raumtemperatur durch Öffnen und Schließen des Fensters geregelt werden musste. Für die Energieverschwendung war in erster Linie verantwortlich die in der Regel getrennte Strom- und Fernwärmeerzeugung anstatt einer energetisch sinnvollen Kraft-Wärme-Kopplung, so dass