bei denen auf der Anklagebank nicht nur die überlebenden Nazi-Größen, sondern auch die „Wehrwirtschaftsführer“ wie Alfred Krupp, Friedrich Flick u.a. saßen. Der Titel „Wehrwirtschaftsführer“ war ein von den Nazis verliehener Titel, den nur wenige Industrielle erhalten hatten, deren Nähe zu Regime und Partei damit klargestellt war. Über die Frage, wie mit der deutschen Wirtschaft umzugehen sei, war man sich schon beim Potsdamer Abkommen vom 2.8.1945 einig geworden: „In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen.“12 Dabei ging es um Repressions- und Sanktionsmaßnahmen, wie sie schon 1944 im Morgenthau-Plan vorgesehen waren. Außerdem sollte die deutsche Wirtschaft entflochten und entkartelliert werden. Die Impulse gingen im Wesentlichen von der US-amerikanischen Besatzungsmacht als der dominierenden aus, klassische Anti-Trust-Gedanken.
Die Amerikaner konnten dabei auf ihr eigenes Anti-Trust-Recht zurückgreifen. Materieller Schlüsselbegriff war die Generalklausel von der „excessive concentration of German economic power“13 des Anti-Trust-Rechts. Möschel, einer der Nestoren des deutschen Kartellrechts14, schätzt dieses Rechtsgebiet als den „wichtigsten Beitrag (ein), den die Vereinigten Staaten zur Rechtsentwicklung in der Welt überhaupt erbracht haben“. Der Sherman Act von 1890 war der Auftakt. 1914 folgten der Federal Trade Commission Act und der Clayton Act, dessen „Regeln über Diskriminierungen“ durch den sogenannten Robinson-Patman-Act aus dem Jahr 1936 nachhaltig geändert wurden. Von überragender Bedeutung war ferner das sogenannte Celler-Kefauver-Amendment von 1950 insbesondere zur Zusammenschlusskontrolle.
Die deutsche Rechtsentwicklung hatte dazu wenig beizutragen. Das Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde als das „Land der Kartelle (geschätzte Kartellierungsquote im Jahr 1907 bei Steinkohle 82 %, 50 % des Rohstahls, 90 % des Papiers, 48 % des Zements)“ eingeordnet.15 Zwar war mit der sogenannten Kartellverordnung vom 2.11.1923 ein erster Schritt „gegen Missbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen“ versucht worden. Motiviert mit der damaligen wirtschaftlichen Krisenlage sollte sie einen Stabilisierungsbeitrag leisten, indem sie der Preistreiberei durch Kartelle und der üblichen Abwälzung des Geldentwertungsrisikos auf Abnehmer aufgrund von Konditionenabsprachen entgegentrat. Aber: Kartelle blieben unverändert zulässig. Als wichtigster Anwendungsfall wurde § 8 der Verordnung angesehen, wonach Kartellbeteiligte bei Vorliegen eines wichtigen Grundes jederzeit kündigen konnten. Eine allgemeine Regulierung von Kartellen unterblieb: „Im Kern war dieses Gesetz Ausdruck einer Art syndikalistischer Zusammenarbeit zwischen Staat einerseits und Wirtschaft andererseits, orientiert an verwaltungsmäßigen, öffentlich-rechtlichen Denkkategorien, deren Wurzeln schon in einer frühen Beteiligung des Reiches an bedeutenden Kartellen (Rheinisch-Westfälisches Kohlesyndikat, Kali-Syndikat) lagen. Eine Kartell-Enquête, die in den Jahren 1926 bis 1929 durchgeführt worden war, ergab keine restriktiven Impulse“, heißt es in einem Bericht für das Parlament.16 Gegen Ende der Weimarer Zeit schätzte man 2.000 bis 4.000 Kartelle. Folgerichtig hatten die Nationalsozialisten die Kartellverordnung nach der Machtübernahme rasch durch das Zwangskartellgesetz vom 15.7.1933 ergänzt.17 Zunächst in loserer, dann in stärker gelenkter Weise war ein verhältnismäßig nahtloser Übergang in ein System möglich, in welchem Kartelle, Verbände und Kammern „Glieder im organischen Aufbau der deutschen Wirtschaft“ waren.18
Die Alliierten hatten daher die Ausgangslage durchaus richtig eingeschätzt und versucht, mit den in ihrer Rechtstradition erprobten Instrumenten einzugreifen. Das war dann konkret das Allgemeine Dekartellierungsrecht der westlichen Besatzungsmächte aus dem Jahr 1947.19 Neben diese Bestrebungen der Alliierten traten die Ordnungsgedanken der sogenannten Freiburger Schule mit Walter Eucken, Franz Böhm, Leonhard Miksch und anderen, welche später über Ludwig Erhard nachhaltigen Einfluss auf die politische Willensbildung in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland gewannen. Im Dekartellierungsrecht waren am wichtigsten die Verbotstatbestände, die auch später – nach vollzogener Überleitung – von den deutschen Gerichten häufig angewandt wurden. Das alliierte Dekartellierungsrecht blieb aufgrund einer entsprechenden Klausel im sogenannten „Überleitungsvertrag“ vom 26.5.195220 aber in Kraft, bis der deutsche Gesetzgeber ein entsprechendes eigenes Gesetz zustande gebracht hatte.
2. Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Dieses Gesetz war das am 1.1.1958 in Kraft getretene GWB vom 27.7.1957.21 Die Arbeit daran dauerte insgesamt zwölf Jahre, es wurde heftig attackiert und heraus kam dann ein halbherziger Kompromiss. Erste Basis waren Überlegungen eines „Comité d’Etudes Economiques“, die unter der Federführung von Walter Eucken für das Zentralamt für Wirtschaft der französischen Zone erarbeitet worden waren. Sie führten zu Vorschlägen des Wissenschaftlichen Beirats bei der bizonalen Verwaltung für Wirtschaft zum „Monopolproblem“ vom 24.7.1949. 1946 war auf Initiative des Länderrates in Stuttgart ein Gremium von Sachverständigen unter dem Vorsitz von Paul Josten, dem langjährigen Leiter des Kartellreferats im früheren Reichswirtschaftsministerium, zusammengetreten. Die Arbeit dieses Kreises führte am 5.7.1949 zur Vorlage eines ausgefeilten Entwurfs zu einem „Gesetz zur Sicherung des Leistungswettbewerbs und zu einem Gesetz über das Monopolamt“, dem sogenannten Josten-Entwurf. Es enthielt ein absolutes Kartellverbot, eine weitreichende Monopolaufsicht, eine Zusammenschlusskontrolle und einschneidende Entflechtungsregelungen. Diese Vorstellungen waren allerdings für die deutsche Wirtschaft so radikal, dass sie von vielen Seiten, insbesondere vom BDI, aufs Äußerste bekämpft wurden. Sie lösten so nachhaltige Auseinandersetzungen aus, dass sie als „Siebenjähriger Krieg“ bezeichnet wurden.22 Der Josten-Entwurf hatte daher keine Chance auf Realisierung. Die dann folgende Gesetzesarbeit war von einer ständigen Abschwächung der Maßnahmen gekennzeichnet. 1951 gab es noch Überlegungen, in Ergänzung eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein besonderes Bundesgesetz über die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit von Märkten zu planen, die durch ein Oligopol oder ein Monopol gestört waren.23 Daraus ist nichts geworden.
Der Regierungsentwurf zum GWB vom 13.7.195224 enthielt zwar in § 1 das Kartellverbot. Auch waren die Durchbrechungen des Kartellverbots in den §§ 2ff. zunächst recht begrenzt, von Anfang an war eine präventive Zusammenschlusskontrolle vorgesehen. Aber eine Entflechtungsregelung enthielt das Gesetz im Gegensatz zu den oben genannten Vorentwürfen nicht mehr – und blieb damit auch weit hinter den Vorstellungen der Alliierten zurück. Aber auch das Kartellverbot wurde vom BDI massiv bekämpft und sollte durch ein bloßes Missbrauchsprinzip ersetzt werden. Unbeirrte Unterstützung fand das Gesetz nur beim damaligen Bundeswirtschaftsminister und dem mit ihm verbundenen ordoliberalen Kreis. Am Schluss blieb ein Gesetz übrig, das Wiethölter25 als „Papiertiger“ bezeichnete.
3. Das Bundeskartellamt
Entsprechend halbherzig erfolgten auch Konstruktion und Ausstattung des Bundeskartellamtes. Dazu gibt es das ausgezeichnete Buch von Ortwein26, dessen Vorteil es ist, dass es ein Politologe geschrieben hat. Die Auseinandersetzungen um die Gründung des Kartellamtes und das Für und Wider um seine Tätigkeit sind also um die politische Dimension erweitert.
Eine für die Konstruktion des Amtes ganz entscheidende Frage war das Verhältnis zum Bundeswirtschaftsminister. Sein Ministerium soll eigentlich die Wirtschaftstätigkeit unterstützen und sie nicht durch Verbote und Missbrauchsaufsicht gängeln. Eine starke Stellung des Bundeskartellamts hätte daher nur erreicht werden können, wenn das Amt eine wirklich unabhängige Stellung wie etwa die Deutsche Bundesbank bekommen hätte, was allerdings eine Änderung des Grundgesetzes vorausgesetzt hätte. Stattdessen wurde es zwar als „selbständige Bundesoberbehörde“ (jetzt § 51 Abs. 1 GWB) etabliert, aber dem Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministers zugeordnet. Es hat auch keinen eigenen Haushalt, vielmehr wird im Etat des Bundeswirtschaftsministeriums ein besonderes Kapitel für den Haushalt des Amtes geführt. Ob aus seiner Stellung ein Weisungsrecht des Bundeswirtschaftsministers oder eine Weisungsunabhängigkeit abzuleiten ist, ist strittig. So sollen Einzelweisungen gegenüber dem Amt, z.B. zur Einleitung eines