Peter Becker

Vom Stromkartell zur Energiewende


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lebhaftes Interesse. Der einzige Haken: Preußen musste binnen acht Tagen zusagen. Aber das ging dem zuständigen Handelsminister Walther Schreiber (später CDU-Gründer und Berliner Bürgermeister) zu schnell; er verabschiedete sich erst einmal nach Sylt in den Urlaub. Roemer reiste dem Minister nach und durfte dabei mit der Privatmaschine der Lufthansa, mit der Reichskanzler Luther nach Wyk auf Föhr flog, mitfliegen. Roemer fand Schreiber am Strand, wo nur ein Badegast die „Vossische Zeitung“ las, der Minister. Minister Roemer erklärte ihm: „Er habe es jetzt in der Hand, durch den Ankauf der SEB unsere Anlagen zu einem großen staatlichen Stromversorgungsunternehmen auszubauen, das vom Main bis zur Nordsee und von der holländischen Grenze bis zur Elbe reiche. Weiter bestehe durch einen Anschluss von Schleswig-Holstein die Möglichkeit, bis an die dänische Grenze zu gelangen. Damit würde die ganze Nordseeküste, ausschließlich der beiden Hansestaaten, in unser Versorgungsgebiet einbezogen werden. Auf keinen Fall dürfte er sich dem Vorwurf aussetzen, auf die einmalige Gelegenheit verzichtet zu haben....“ Damit fiel die Entscheidung. Befreit von allen Zweifeln und sichtlich erleichtert sagte er: „Telegraphieren sie, dass ich zustimme.“

      Das kam für das RWE völlig überraschend. Der Gegenschlag sah wie folgt aus: Das RWE kaufte den Stinnes-Erben die Braunschweigischen Kohlenbergwerke in Helmstedt ab, dem die preußische Ministerialbürokratie die Durchleitung von Strom kaum verweigern konnte: Denn das RWE hatte sich mit dem Deutschen Reich, vertreten durch die Elektrowerke, gegen Preußen verbündet. Preußens nächster Schachzug: Das Land kaufte der Disconto-Gesellschaft in Berlin die Aktienmehrheit der Braunkohlen-Industrie Zukunft in Weisweiler bei Aachen ab. Der Konzern besaß ausgedehnte Grubenfelder entlang der belgischen Grenze und Kraftwerke, die das Gebiet Aachen-Düren und die Eifel versorgten. Diese „Zukunft“ war Gold wert. Preußen musste für eine damals mit 100 Mark gehandelte Aktie 145 bezahlen. Aber dafür bekam es auch den starken Stützpunkt im Rücken des RWE.

      Im Jahr 1927 wurde die Preußische Elektrizitäts-AG, PreussenElektra, gegründet und man setzte sich zusammen (wie viele Jahre später immer wieder); es kam zum „Elektrofriede Preußen-RWE“ (Der Volkswirt). Beide Gesellschaften erkannten ihre de facto bereits bestehende Demarkationslinie von der Nordseeküste entlang der Weser bis zum Main bei Frankfurt an. Dafür wurde dem RWE die Braunkohle-Industrie Zukunft überlassen. Das RWE seinerseits zog sich aus Schleswig-Holstein zurück und händigte der PreussenElektra seine Beteiligung an den Braunschweigischen Kohlenbergwerken Helmstedt aus. Allerdings war die Minderheitsbeteiligung in Helmstedt für das RWE längst nicht so wertvoll wie die Drei-Viertel-Mehrheit der „Zukunft“ mit ihren großen Braunkohlereserven, den Kraftwerken und den Versorgungsgebieten in den Kreisen Aachen, Düren, Jülich, Schleiden, Monschau, Adenau, Prüm, Daun, Geilenkirchen und Heinsberg.

      Das Ergebnis dieser Epoche ist also einigermaßen überraschend: Statt auf dem Weg über das 1919 beschlossene Sozialisierungsgesetz kam es im Ergebnis ebenfalls zum Zugriff des Staates, aber durch Neugründung von Stromkonzernen wie etwa des Bayernwerks, der PreussenElektra, des Badenwerks, des Märkischen Elektricitätswerks, der PreVag, der Schleswig-Holsteinischen Stromversorgungs-AG (SCHLESWAG), der Energieversorgung Weser-Ems (EWE), der Energie-Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM), der Hannover-Braunschweigischen Stromversorgung (HASTRA) u.v.m. Dazu kamen die zahlreichen Stadt- und Gemeindewerke. Damit sicherten sich die Staaten, Landkreise und Kommunen unmittelbaren Einfluss auf die Stromversorgung. Das ist der Befund, der die Stromwirtschaft bis in unsere Tage prägte: Sie war unmittelbar oder mittelbar eine Veranstaltung des Staates, der sich – bei aller Orientierung am Gemeinwohl – über auskömmliche Strompreise freute und deswegen keinerlei Neigung hatte, sich bei seiner wirtschaftlichen Betätigung durch einengende Regeln selbst zu fesseln.

      In der EU ist diese deutsche Struktur einmalig – und bietet mit ihrer Komplexität und Kleinteiligkeit eine ideale Basis für die Energiewende, für die Zusammenarbeit mit privaten Investoren und kommunalen Netzbetreibern. Die Ausgangslage, die man in den anderen Mitgliedsstaaten vorfindet, ist technologisch oft einseitig (etwa Frankreich Atom-, Polen Kohleverstromung). Das macht den Export der Energiewende nicht so einfach.

      4 Kurzmann, Siegfried, 30 Jahre Bayernwerk AG: 1921 bis 1951, 1951.

      7. Kapitel

      Kein „Gasstaat“

      Einen Griff des Staates nach der Gaswirtschaft, die in den Zwanziger Jahren entstand, hat es nie gegeben. Das lässt sich an der Gründung der Ruhrgas AG gut nachvollziehen. Die Gründung der Ruhrgas war seinerzeit unternehmerisch geradezu geboten. Den Herren der Ruhrgebietszechen war nämlich klar, dass man das beim Verkokungsprozess anfallende Gas nicht nur in den eigenen Zechen verwenden, sondern die Überschüsse auch verkaufen konnte, und zwar an die Städte, die Stadtgas schon seit langem einsetzten. Daher gründeten die Zechen im Jahr 1926 die Ruhrgas als Gemeinschaftsunternehmen. Die Idee hatten wiederum ein Stinnes-Mann, nämlich Alfred Pott, der Generaldirektor des Bergbauzweiges des Stinnes-Konzerns, und Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Stahlwerke AG, die mit der Idee einer großräumigen Ferngasversorgung bei den Zechen um Unterstützung warben. Und sie hatten Erfolg. 1928 wurde das 300 km lange Leitungsnetz der RWE AG übernommen und die „Aktiengesellschaft für Kohleverwertung (AGKV)“ in Ruhrgas AG umbenannt. Bis zum Ende des Jahrzehnts waren Verträge für die Gasversorgung der Städte Köln, Düsseldorf, Hannover und Saarbrücken unter Dach und Fach. 1930 betrug der Gesamtabsatz 0,3 Mrd. cm3 (3,8 Mrd. kWh). Das Leitungsnetz umfasste 857 km. Die Ruhrgas beschäftigte 385 Mitarbeiter und hatte einen Umsatz von 13 Mio. RM.

      1921 entstand die Thyssengas GmbH, und zwar durch Ausgliederung der Abteilung Gas- und Wasserwerke der „August-Thyssen-Hütte, Gewerkschaft“. Auch sie übernahm und verteilte Kokereigas insbesondere in den Revieren Duisburg, Mülheim, Wuppertal mit Ausdehnung an den Niederrhein. In Alsdorf bei Aachen wurde das Ferngaswerk II errichtet und das Gas vom Eschweiler Bergwerks-Verein übernommen. Später ging die Thyssengas GmbH im RWE-Konzern auf.

      Eine ganz andere Geschichte hatte die BEB Erdgas und Erdöl GmbH (BEB). Ihre Geschichte beginnt mit der Gewerkschaft Brigitta: Im Jahr 1867 verlieh das Oberbergamt in Bonn J. Clever aus Werden das Blei- und Kupfererzbergwerk Brigitta. Clever nutzte diese Schürfkonzession aber nicht. Im Jahr 1874 wurde das Erdölfeld Wietze im Raum Hannover entdeckt, dem drei weitere folgten. 1921 gründete eine Maklerfirma, der die Kuxe (so werden bei einer Gewerkschaft die Anteile bezeichnet) gehörten, die Gewerkschaft Brigitta. 1932 übernahmen Esso/Shell die Kuxe zu je 50 %. 1936 entdeckten und erschlossen sie das erste Erdölfeld in Steimbke bei Hannover, 1952 folgte das erste Erdgasfeld in Thönse. 1958 wurde erstmals Erdgas verkauft. Das Geschäft gedieh prächtig. Daher konnte sich die Brigitta 1965 mit 25 % an der Ruhrgas AG beteiligen.

      Auch das andere Standbein der BEB, die Gewerkschaft Elwerath, entstand als Erzbergwerk, aber für Eisenerz, gegründet am 30.10.1866. Sie stieg in das Erdölgeschäft auf der Basis von Grundeigentümer-Verträgen in den Jahren 1920–1933 ein. 1936 übernahm die Wintershall AG Kassel 312 Kuxe an der Gewerkschaft. Es schließt sich die Ära der „Reichsbohrungen“ an, in den Jahren 1934–1945. Der Höhepunkt der Bohraktivität und die Zeit der großen Ölentdeckungen fällt in 1946–1959. Im Jahr 1969 wurde schließlich die „BEB Gewerkschaften Brigitta und Elwerath Betriebsführungsgesellschaft“ gegründet, die BEB. Die andere Hälfte des in Deutschland geförderten Erdgases wird über die Erdgas Münster mit den Gesellschaftern BEB, DEA, ENGIE, ExxonMobil, Vermilion und Wintershall verteilt.