Tommy Krappweis

Mara und der Feuerbringer


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der Götter – kaum mehr als eine Erinnerung …

       Asgard, mein Asgard, einst Sitz der Götter, mit den großen Hallen der

       Mächtigen – nichts als Reste vergangener Zeiten …

       Die Götter, Odin, Frigg, Thor, Freyr und Freya, vergaßen sich – schlafende

       Schatten in den Ruinen …

       Und Heimdall weint um die Menschen.

      Es passte eigentlich nicht zu der Erscheinung des Mannes, und gerade darum wirkte es so rührend. Er mochte auf den ersten Blick wie ein uralter Mann aussehen, mit seinem dichten, weißen Bart und den langen, zotteligen Haaren unter der Lederkappe. Aber die Körperspannung und die drahtigen Muskeln unter der Lederrüstung verrieten, dass er ein Kämpfer war.

      Auffallend war außerdem die seltsam geformte Ledertasche auf seinem Rücken. Sie sah so ähnlich aus wie ein Köcher für Pfeile, war aber so gebogen, dass Pfeile dieser Form überallhin, nur sicher nicht ins Ziel geflogen wären.

      Gleichzeitig war Mara ebenso verwundert wie auch gerührt, dass er nicht nur um sich und die alten Götter in Sorge war, sondern um die Menschen weinte! Ja, Heimdall bangte um die Menschen in Midgard, »der Welt in der Mitte«. Denn wie konnten sie überlebt haben, wenn ihre Götter nicht mehr waren?

      Mara wusste natürlich die Antwort, konnte sie ihm aber nicht geben. Sie war nur Zuschauer dieser Erinnerung, musste ohnmächtig zusehen, wie der alte Gott verzweifelt durch die blassen Ruinen stolperte. Doch gleichzeitig spürte sie auch, wie dieser ehemals so mächtige Ort ihr selbst Kraft spendete. Es war nicht viel, gerade wie ein sanftes Kitzeln in den Fingerspitzen, aber es half Mara, sich zu konzentrieren.

       Heimdall späht in die größte aller Hallen

       Walhall, die Halle der Gefallenen, bei Tag kämpften sie hier, bei Nacht tranken sie und sangen, nun nur mehr ein Haus für Gebeine … die grauen Überreste Tausender Toter, ein zweites Mal gefallen ohne die Macht Allvaters …

       Heimdall betritt Odins Palast

       Valaskjalf ist kaum mehr als ein Haufen Stein … keine Treppen führen mehr hinauf zu des Rabengotts Thron, der goldene Hochsitz ist nun tief darunter vergraben …

       Heimdall gräbt

      Warum tut er das?, überlegte Mara. Was will er denn mit dem Thron von Odin? Oder sucht er nach Odin selbst?

      »Natürlich! Hliðskjálf

      Mara erschrak und ließ einen spitzen Schrei los, der ihr sofort peinlich war. Der Professor hatte gerade direkt in ihrem Kopf gesprochen! Heimdall schien nichts bemerkt zu haben. Er wuchtete nur weiter traurig Stein um Stein von dem Trümmerhaufen.

      »Ich kann Sie hören! In meinem Kopf, ganz so als wären Sie neben mir … und trotzdem weit weg!«, sagte, oder besser, dachte Mara in Richtung des Professors. Der dachte lachend zurück: »Eine Seherin, die auch hören kann. Da denk ich doch mal: Respekt.«

      Mara ignorierte den Halbscherz. »Das liegt an diesem Ort, Asgard. Da bin ich mir ganz sicher! Ich spür das.«

      »Na, vielleicht liegen hier nicht nur die Trümmer der alten Götterfestung, sondern auch noch Überreste der alten Kräfte herum. Möglich wäre es doch. Und wenn nicht hier, wo dann?«, entgegnete der Professor. »Nutz es bitte für einmal Volltanken, wer weiß, wann wir es wieder brauchen.«

      »So viel ist das leider nicht … reicht gerade für ein bisschen Kopfradio und Kribbeln in den Fingern«, seufzte Mara. Sie konnte den Professor ja gerade nicht einmal ohne Berührung in die Vision mit einschließen. Sie seufzte und wendete sich wieder dem Geschehen vor ihnen zu. »Also, was sucht der Mann denn da? Irgendwas mit Odins Thron hab ich mitbekommen, aber warum?«

      »Nun ich denke, er sucht Odins Hochsitz, Hliðskjálf

      Mara wurde ungeduldig. »Okay, er sucht Odins Thron, und der heißt wie eine Mischung aus Schnupfen und Husten. Aber was will er damit?«

      »Na, Antworten will er.«

      »Und die kriegt er vom Wiglaf?«

      »Nein, vom Hliðskjálf, bitte schön, wie Hlið die Öffnung und skjálf, was vielleicht Gerüst oder gar Turm bedeutet. Also in etwa der Blick von oben herab – und zwar auf die ganze Welt!«

      Mara hatte schon zu viel Götterzeugs erlebt, um sich nun über einen Thron zu wundern, der einem die ganze Welt zeigte. Dafür war ihr nun auch klar, was Heimdall vorhatte: Er wollte von Odins Thron einen Blick über die Welt werfen, um zu sehen, was passiert war. Oder ob es die Welt noch gibt, dachte sie.

       Hliðskjálf, Odins Sitz …

       Vorsichtig stellt Heimdall Allfaðirs Blick wieder auf, zögert erst voll Demut, setzt sich dann – und schweigt.

      Das Gesicht des alten Gottes sprach Bände. Verwirrung, Bestürzung, Panik, Trauer, Verzweiflung! Mara konnte den Schmerz spüren, den all diese Eindrücke in Heimdall hervorriefen und hätte ihm am liebsten Trost gespendet. Stattdessen sah sie hilflos zu, wie der Wächter sich in Agonie hin und her warf, mit schmerzverzerrter Miene, dabei seine Finger um die Armlehne krallte, bis diese splitterte. Hölzerne Spreißel drangen tief in die Handfläche Heimdalls, aber er ließ nicht los, konnte nicht oder wollte nicht.

      »Oh mein Gott«, flüsterte der Professor und merkte dabei gar nicht, wie passend dieser Ausruf gerade jetzt eigentlich war. »Wenn mich nicht alles täuscht, holt der arme Kerl gerade viele Hundert Jahre Menschheitsgeschichte nach.«

      Mara schluckte den Spruch So was hätte ich mal im Geschichtsunterricht gebraucht ganz bewusst herunter, denn ihr war eigentlich gar nicht nach Witzen zumute. Warum fielen ihr die eigentlich immer nur in den unpassendsten Momenten ein?

      Sie zuckte zusammen, als der morsche Sitz unter Heimdall mit der Lautstärke eines Gewehrschusses brach und der ganze Thron unter ihm zusammensackte. Dazu stürzten die letzten Reste der Treppe ein, und der alte Gott verschwand in einer Wolke aus Holz, Staub und Steinbrocken.

      Was … was ist denn jetzt passiert?, dachte Mara in Richtung des Professors.

      Mir scheint, dass der alte Thron diesem Ansturm an Geschichte und Geschichten nicht gewachsen war, Mara. Schade, denn ehrlich gesagt, hätte ich das auch gerne einmal ausprobiert, antwortete der Professor ihr in Gedanken, näherte sich dann neugierig den Trümmern und versuchte, den Stein zu berühren. Seine Hand glitt hindurch, und er wirkte enttäuscht.

      Mara war fassungslos.

      Wie bitte? Haben Sie denn nicht gesehen, wie der gerade gelitten hat, der Heimdall?

      Oh, das habe ich wohl, und trotzdem denke ich, das wäre es wert gewesen, gab Professor Weissinger zurück und meinte spürbar jedes Wort ganz genau so, wie er es zu ihr hinüberdachte.

      Mara schüttelte nur den Kopf. So viel Wissensdurst war ganz bestimmt nicht gesund.

      Da rührte sich etwas in den Trümmern, und der Professor ging zur Sicherheit doch wieder auf Abstand.

      »Zäher Hund«, murmelte Mara.

      Muss er auch sein, als einziger Wächter vor dem einzigen Eingang zur Festung der Götter, hörte sie den Professor in ihrem Kopf sprechen. Mara nickte. Ja, da stellt man wohl am besten den zähesten Knochen von allen hin.

      Sie war beeindruckt von dem alten Gott, der sich da vor ihr aus den Gesteinsbrocken schälte. Mit dem unnachgiebigen Grimm eines Mannes, der schon Dinge gesehen und erlebt hatte, die er am liebsten vergessen hätte, schob er das Geröll von sich und richtete sich wieder auf. Doch kaum stand er wieder auf seinen lederumwickelten Füßen, als er auch schon zu dem seltsamen Köcher auf dem Rücken fasste und mit geübtem Griff etwas daraus hervorzog.

      »Ich werd verrückt, jetzt auch noch das Gjallarhorn«, rief