Caroline
Christy Henry
Caroline
Christy Henry
1. Auflage, April 2015
ISBN: 978-3-945914-01-4
© Christy Henry
Verlag: NOLA-Verlag, 40667 Meerbusch
Lektorat: Sandra Schmidt; www.text-theke.com
Korrektorat: Sandra Schmidt; www.text-theke.com
Umschlaggestaltung: © UlinneDesign, 48485 Neuenkirchen
Coverillustration: Nils Hamm, 40221 Düsseldorf
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Caroline
Christy Henry
Ich widme dieses Werk meiner
besten Freundin Daniela.
Ohne ihre Neugier,
Geduld, Kritik, Anregung
und die vielen Gespräche dazwischen
hätte ich vielleicht nicht den Mut
und die Vorstellungskraft gehabt,
diese Geschichte vollständig niederzuschreiben.
1
Lydia und Caroline saßen wie jeden Freitagnachmittag zusammen in ihrer Lieblingseisdiele und löffelten ihre Eisbecher aus.
„Nur noch drei Wochen bis zum Abschluss. Bin ich froh, wenn die Schule endlich vorbei ist.“
Lydia schob sich einen Löffel voll Eis und Soße in den Mund und sprach weiter.
„Ich kann kaum glauben, dass du dir das antust und nach dem Sommer aufs Gymnasium wechseln wirst.“
Caroline legte ihren Löffel beiseite und dachte wehmütig darüber nach, dass sie nach diesen Ferien nicht mehr gemeinsam die Schulbank drücken würden. Lydia hatte eine Ausbildungsstelle angenommen. Es würde seltsam werden, ohne sie zur Schule zu gehen. Die zwei waren seit dem ersten Schultag unzertrennlich gewesen. Weil Lydia nur ein paar Häuser weiter wohnte, waren sie jeden Tag gemeinsam zur Schule gegangen. Nach den Sommerferien nun alleine die Strecke zurückzulegen und einen anderen Tischnachbarn zu haben, konnte sich Caroline nicht so recht vorstellen. Lydia wusste schließlich fast alles von ihr. Und Caroline wusste alles von Lydia. Oft verstanden sie sich ohne ein Wort.
„Ja, das wird schon etwas seltsam. Willst du es dir nicht noch mal überlegen und mit mir aufs Gymnasium gehen?“
Caroline grinste herausfordernd. Wie erwartet warf ihr Lydia einen gespielt entsetzten Blick zu und deutete mit einer Armbewegung an, dass sie froh war, diesen Teil ihres Lebens hinter sich zu lassen.
Die Mädchen aßen eine Weile einträchtig schweigend ihr Eis. Caroline genoss dieses Schweigen zwischen ihnen. Während die beiden es sich schmecken ließen, musterten sie wie gewohnt die Leute, die an ihnen vorbei durch das Shoppingcenter eilten. Sie beobachteten, wie die Bedienungen sich zwischen den Tischen durchschoben. Lichtstrahlen fielen durch die riesigen gewölbten Oberlichter und tanzten in den künstlichen Bäumen vor der Eisdiele. Sie lauschten der leisen Kaufhausmusik des angrenzenden Ladens und dem Stimmengewirr um sie herum. Caroline liebte diese Freitagnachmittage.
Ein Scheppern zerriss jäh die gemütlich-hektische Geräuschkulisse. Eine der Bedienungen war mit ihrem voll beladenen Tablett gegen einen Gast gestoßen. Caroline sah gerade noch, wie die Tassen und Becher im hohen Bogen zu Boden polterten.
Krachend zersplitterten die vollen, gläsernen Eisbecher und verteilten ihren Inhalt auf den hellen Fliesen. Kaffee spritzte auf und landete auf Tisch- und Hosenbeinen. Porzellansplitter der Tassen verteilten sich wie Puzzlestücke in den entstehenden Pfützen aus Kaffee, Eis und Sahne. Leise fluchend beugte sich die Bedienung hinunter, um die Scherben aufzuheben, während eine zweite Bedienung hinter dem Tresen verschwand, um das Putzzeug zu holen.
Dann hörte Caroline einen kleinen Aufschrei und einen erneuten Fluch.
Caroline konnte es ganz deutlich riechen. Ein unglaublich betörender Duft. So süß, so unwiderstehlich. Instinktiv wusste sie, wo dieser Geruch herkam. Im nächsten Moment beugte Caroline sich zu der Kellnerin herunter, die noch immer am Boden hockte. Eine Glasscherbe hatte sich tief in ihre Handfläche gebohrt und in Zeitlupe quollen dicke Tropfen aus der Wunde. Caroline blickte wie hypnotisiert auf die verletze Hand. Das satte Geräusch der fallenden Tropfen vermischte sich mit dem Nachhall des berstenden Glases, dem schmatzenden Geräusch des schmelzenden Eises und dem leisen Flüstern der Kaffeereste auf dem Boden.
Plötzlich nahm Caroline wieder das Gemurmel der Leute um sich herum wahr. Irritiert sah sie sich nach Lydia um. Diese saß noch immer an ihrem Tisch und schaute auf den leeren Platz ihr gegenüber. Dann erschien ein ungläubiger Ausdruck auf Lydias Gesicht, der sich nach und nach in pures Entsetzen und dann in blanke Panik verwandelte.
Caroline wurde klar, dass sie sich viel zu schnell bewegt hatte. Sie hockte nun gut zehn Meter von ihrem Sitzplatz entfernt am Boden. Und vermutlich waren nur ein paar Millisekunden vergangen. Der Bann war endgültig gebrochen.
Caroline zog eine Serviette von einem benachbarten Tisch und reichte sie der verdutzten Bedienung.
Die Zeit lief wieder in normalen Bahnen. Das Stimmengewirr prasselte auf Caroline ein und die Menschen um sie herum bewegten sich in der gewohnten Geschwindigkeit.
Caroline stand auf und schaute zu ihrem Tisch. Beide Plätze waren leer. Lydias Stuhl war achtlos nach hinten geschoben und bei dem überstürzten Aufbruch wohl umgekippt. Ihre Tasche fehlte. Dass es ausgerechnet in Lydias Gegenwart geschehen musste. Vielleicht könnte sie das später mit Lydia klären, wenn ihre Freundin sich ein wenig beruhigt hatte. Das wäre dann vermutlich ein guter Zeitpunkt, auch die letzten Geheimnisse zu teilen und Lydia endlich zu beichten, dass sie zu den Geweihten gehörte. Sie würde ihr in allen Einzelheiten die Unterschiede zu „normalen“ Menschen erklären müssen. Schnelligkeit gehörte definitiv zu einer der besonderen Fähigkeiten dieses alten Volkes.
Caroline war sich schon seit Langem klar darüber gewesen, dass sie das nicht ewig vor Lydia verheimlichen konnte. Sie hatte nur bisher einfach nie den richtigen Zeitpunkt gefunden.
Seufzend beglich Caroline die Rechnung und verließ das Café.
Caroline wollte gerade den Schlüssel in das Schloss der Haustüre stecken, da wurde diese schon von innen aufgerissen. Freudestrahlend standen ihre Eltern vor ihr. Natürlich wussten sie schon Bescheid – wie vermutlich jeder andere aus ihrer Familie, der sich im näheren Umkreis aufgehalten hatte. Carolines Kräfte waren endlich erwacht. Sie war schon unendlich gespannt gewesen und wartete bereits seit einer Weile ungeduldig darauf. Caroline hatte schon befürchtet, zu den Wenigen ihrer Sippe zu gehören, deren Kräfte nicht erwachten.
Und nun war es doch endlich passiert.
Caroline erzählte ausführlich von dem Geschehen und einen kurzen Augenblick erinnerte sie sich wieder an das schmerzhafte Bild von Lydias entsetztem Gesicht. Kein anderer der anwesenden Menschen hatte bemerkt, wie unmöglich schnell Caroline bei der Bedienung