war auch echt beeindruckend. Wir waren auf der Treppe, als der Schuss fiel. Du hast reagiert, bevor du die Waffe sehen konntest. Deine Fähigkeiten scheinen groß zu sein. Ich bin stolz auf dich. Selbst wir haben den Einbrecher erst gehört, als du schon auf der Treppe warst. Erstaunlich.“
Caroline betrachtete sich weiter im Toaster.
„Und so sehe ich als … Also so sehe ich wirklich aus? Echt nicht übel. Warum haben meine Fähigkeiten ausgerechnet heute Nacht eingesetzt?“
Ihre Mutter schmunzelte.
„Du hattest noch nie einen echten Grund, sie anzuwenden. Normalerweise machen sie sich gerade am Anfang schon bei kleineren Gelegenheiten bemerkbar. Wie in der Eisdiele, in der dein Durst erwacht ist. Doch heute Nacht bedrohte dich und dein Heim eine echte Gefahr. Daher haben deine Sinne und Kräfte mit voller Wucht zugeschlagen, um es mal so zu formulieren. Als wir sahen, wie der Kerl die Pistole zog, dachten wir zuerst, dass du verletzt worden wärst. Aber dann haben wir deine Drehung und die Richtungsänderung bemerkt. Da wussten wir, dass du das alleine schaffst. Aber es sah knapp aus.“
Ihre Mutter zog am Oberteil von Carolines Schlafanzug herum.
„Die Drehung kam instinktiv.“
Caroline blickte auf die Finger ihrer Mutter, die mit einem kleinen Loch in der Nähe ihrer Schultern spielten, das am Abend definitiv noch nicht da gewesen war. Johanna lächelte, als ihre Finger über die kleine gerötete Hautstelle ihrer Tochter fuhren, die der kaputte Stoff freigab.
Carolines Vater klopfte an der Küchentür.
„Die Polizei kommt gleich. Wie sieht meine Tochter aus?“ Stolz blickte er zu ihr hinüber „Hmm. Vielleicht sollte sie ihre Aussage erst morgen machen. So kann sie jedenfalls nicht unter Leute.“
Caroline sah ihre Mutter an.
„Das bekommen wir schon hin. Gib uns zwei Minuten.“
Johanna drehte sich um und reichte Caroline eine Kühlkompresse aus dem Gefrierschrank.
„Die mit Abstand schnellste Methode, dein Blut abzukühlen und dir wieder ein normales Gesicht zu verpassen. Wenigstens solange du das noch nicht steuern kannst. Halt dir die auf das Gesicht und bleib hier. Ich schau nur schnell nach Markus. Der muss in dem ganzen Chaos nicht auch noch rumspringen. Bis ich wieder runterkomme, solltest du wieder vorzeigbar sein.“
Kurz darauf betrat Caroline noch immer etwas unsicher das Wohnzimmer. Ein Polizist inspizierte gerade die Kampfspuren, während ein anderer die Einbruchspuren sicherte. Der Einbrecher war bereits im Polizeiauto verstaut.
„Also Sie sind die Heldin des Tages? Oder besser gesagt der Nacht?“
Caroline nickte und blickte sich um. Das Wohnzimmer sah ziemlich mitgenommen aus. Der Schreibtisch war umgestürzt. Überall lagen Scherben von der eingeschlagenen Scheibe. Bei dem Sturz hatten sie offensichtlich auch den Wohnzimmertisch umgeworfen. Einer der Polizisten pulte gerade eine Kugel aus der Wand. Das Bild, das dort gehangen hatte, lag auf dem Boden.
„Ja, die bin ich wohl.“
Der Polizist zückte seinen Stift.
„Ich werde ihnen nun ein paar Fragen stellen.“
Caroline blickte zu ihrer Mutter. Diese war hinter sie getreten, legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter und nickte milde lächelnd. Caroline holte einmal tief Luft und berichtete, was sich zugetragen hatte.
„Ich bin wach geworden, weil ich Durst hatte, und wollte in die Küche, um mir was zu trinken zu holen. Ich mache dabei selten das Licht an, weil ich keinen wecken will. Und als ich an der Wohnzimmertür vorbei kam, habe ich das Glas splittern hören. Ich habe mich dann geduckt und gewartet, bis ich den Einbrecher sehen konnte. Dann bin ich auf ihn gehechtet. Ich mache Kampfsport.“
Der Polizist schüttelte den Kopf und deutete auf die Wand mit dem Einschussloch.
„Na, das hätte auch schief gehen können.“
Caroline zuckte verlegen drein blickend mit den Schultern.
„Ja, da habe ich wohl einfach Glück gehabt.“
Nickend notierte sich der Polizist die Aussage.
Nun schaltete sich ihr Vater ein.
„Wir wurden von dem Lärm geweckt und sind runtergelaufen. Wir sahen die beiden am Boden liegen und haben den Dieb dingfest gemacht. Und dann haben wir Sie gerufen.“
Der Polizist betrachtete die drei.
„Das war alles sehr mutig. Zum Glück ging alles gut. Wenn Sie wollen, kann ich eine Streife zu ihrer Sicherheit abstellen, bis das Fenster repariert ist.“
Caroline schaute ihre Eltern an. Ihr Vater blickte kurz zu ihrer Mutter, bevor er antwortete.
„Ich glaube, das ist nicht nötig. Es wird wohl selten in einem Haus zweimal in der gleichen Nacht eingebrochen.“
Erneut zuckte der Polizist mit den Schultern.
„Okay. Aber wenn noch was sein sollte, rufen Sie sofort an. Und morgen hätte ich gerne eine Aussage auf dem Präsidium.“
Erleichtert drückte Carolines Vater die Hand des Polizisten und schob ihn in Richtung Haustüre.
„Wird gemacht. Ich glaube, Caroline sollte jetzt lieber versuchen, noch ein bisschen zu schlafen. Wir werden erst einmal aufräumen, wenn Sie hier fertig sind, und provisorisch das Fenster reparieren.“
Als sie den Polizisten an der Türe verabschiedeten, hörten sie den Einbrecher etwas von „getroffen“ und „unmenschlichen Gesichtern“ faseln.
Der Polizist sah die drei an und meinte dann:
„Der hat sich wohl beim Sturz ziemlich den Kopf gestoßen.“
Caroline nickte zustimmend.
Dann war endlich der Tag des Abfluges gekommen. Caroline war furchtbar nervös. Sie hatte Angst, dass sich ihr neues Gesicht zeigen könnte oder sich plötzlich eine ihrer anderen Fähigkeiten in der ungewohnten Umgebung verselbstständigen würde. Wer konnte schon sagen, in welcher Situation ihre Kräfte das nächste Mal entfesselt werden würden? Im Flugzeug käme das bestimmt nicht so gut an, wenn unerwartet ihr Gesicht zum Vorschein käme. Ihre Eltern hingegen waren beruhigt, dass sich nun auch ihr Gesicht gezeigt hatte, denn es bedeutete, dass alle Kräfte aktiviert waren. Wenn eine Gefahrensituation eintreten würde, könnte ihre Tochter sich intuitiv wehren und der Gefahr entgehen. Ihre Kräfte würden sie schützen. Sie machten sich ebenso keine Gedanken darüber, dass Carolines Gesicht in einem unpassenden Moment zutage kommen würde. Menschen nahmen nur das wahr, was sie wollten. Wenn einer ihr Gesicht sehen sollte, würde er es für eine Halluzination oder eine Maske halten. Und Caroline hätte genügend Zeit sich zu beruhigen oder sich in einen Waschraum oder Ähnliches zurückzuziehen, bis sie wieder aussah wie alle anderen.
Voll bepackt betrat Caroline zusammen mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder das Flughafengebäude. So früh am Morgen war noch nicht viel los. Der Boden war blitzblank und spiegelte das Licht der künstlichen Sonnen an der gewölbten Decke. Durch die riesigen Oberlichter fiel nur die Schwärze des nahenden Tages. Hin und wieder konnte Caroline durch die monströsen Scheiben die Positionslichter der Flugzeuge in der Warteschleife ausmachen. Suchend blickten sich ihre Eltern um, bis sie den passenden Abflugschalter gefunden hatten. Zielstrebig gingen sie auf den Schalter zu, während Caroline den Koffer hinter sich herzog und die Halle begutachtete. Irgendwie verursachte die leere Weite der Halle bei ihr ein beklemmendes Gefühl.
Am Schalter zeigte Caroline ihr Ticket und den Pass und gab ihren Koffer und die Reisetasche ab. Nur ihren Rucksack behielt sie. Dann verabschiedete sie sich mit einer herzlichen Umarmung von ihren Eltern und wuselte Markus durch die Haare. Bevor sie endgültig in die Abflugzone des Flughafens verschwand, winkte sie noch einmal allen zu. Die guten Ratschläge ihrer Mutter folgten ihr noch eine Weile durch den Gang zur Abflughalle.
Da bis zum Abflug noch Zeit war, tigerte Caroline in der Halle auf und ab und tat so, als