Christy Henry

Caroline


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und fast kalten Kakao. Dabei betrachtete sie die vorbei eilenden Passagiere und fragte sich, wer von ihnen wohl ebenfalls zu den Geweihten gehörte. Caroline wusste, wenn sie ihre Fähigkeiten unter Kontrolle hatte, würde sie, wie alle anderen Geweihten auch, einen Angehörigen dieses Volkes in ihrer Umgebung sofort registrieren. Da sie aber ihre Fähigkeiten noch nicht kontrollieren konnte, würde sie einen Geweihten vermutlich erst erkennen, wenn er direkt vor ihr stehen würde. Gedankenverloren spielte Caroline an dem kleinen silberfarbenen Ankh mit dem grünen Stein, der um ihren Hals baumelte.

      „Hi, darf ich mich zu dir setzen?“

      Caroline hatte gar nicht bemerkt, wie sich der junge Mann genähert hatte.

      Wie willst du denn einen Geweihten erkennen, wenn sich sogar normale Menschen an dich heranschleichen können?, schimpfte sie sich im Geiste aus und schaute erschrocken auf. Caroline blickte in ein ebenmäßiges Gesicht mit tiefblauen Augen und einer schön geschwungenen Nase. Umrahmt wurde das Gesicht von fast schwarzen, leicht gewellten Haaren, die bis über die Schultern reichten. Die schlaksige, hoch aufgeschossene Figur wirkte in ihren Bewegungen irgendwie unbeholfen und geschmeidig zugleich. Lächelnd schob der Fremde seine Haare mit einer unbedachten Handbewegung über die Schultern zurück.

      „Klar. Kannst dich gerne setzen. Hi, ich heiße Caroline.“

      Sie gaben einander die Hände, während der Junge sich einen Stuhl zurückzog, seinen Rucksack ablud und sich niederließ.

      „Ich bin Michael. Und bitte immer in der amerikanischen Sprechweise. Aber meine Freunde nennen mich alle Mike. Und, wohin bist du unterwegs? Ich will über den großen Teich. Studienreise. Ich will mit dem Rucksack einmal quer durch Amerika. Und du?“

      Caroline trank noch einen Schluck Kakao, bevor sie antwortete.

      „Ich bin auch auf dem Weg in die USA. Ich habe dort Verwandtschaft.“

      Caroline lächelte breit. Mike war ihr sofort sympathisch. Er bestellte sich eine Cola und sagte:

      „Mein erster Stopp wird New York sein.“ Ein verschmitztes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

      Caroline lachte.

      „Na dann werden wir wohl zusammen fliegen. Wunderbar. Dann wird der Flug nicht so langweilig.“

      Mike wollte gerade etwas erwidern, als sein Handy klingelte. Mit einer Geste bat er um einen Moment Geduld, blickte auf das Display und entfernte sich vom Tisch. Caroline schaute ihm neugierig nach. Wenn doch jetzt bitte mal ihr gutes Gehör anspringen würde. Aber natürlich, wenn man es mal brauchte, funktionierte es nicht.

      Scheinbar teilnahmslos blickte sie zu Mike, der nervös auf und ab lief, während er in das Handy sprach. Dabei nestelte er an einem Anhänger, den er aus seinem Hemd gezogen hatte. Dann steckte er den Anhänger energisch wieder in sein Hemd zurück und beendete das Gespräch.

      Nach einer kleinen Weile kehrte er zu ihrem Tisch zurück. Verstört spielte er mit seinem Handy. Dann schnappte er sich entschlossen seinen Rucksack und blickte Caroline an.

      „Sorry, ich muss los. Wird wohl nix mit dem gemeinsamen Flug. Familienangelegenheiten.“

      Er warf einen abschätzenden Blick auf das Handy. Schließlich steckte er es entschieden ein, drehte sich um und verließ die Abflughalle in größter Eile.

      Caroline schaute ihm verwundert hinterher.

      3

      Kurz darauf wurde Carolines Flug aufgerufen. Eilig packte sie ihre Sachen zusammen und suchte ihr Abfluggate. Die letzten Kontrollen zogen sich in die Länge. Doch endlich durfte Caroline ihren Platz am Fenster einnehmen. Gebannt verfolgte sie die Startvorbereitungen. Ihr erster Flug. Sie war nicht wirklich nervös oder aufgeregt. Sie war nur neugierig. Wie es wohl war, in so einer großen Blechtrommel durch die Luft zu fliegen?

      Beim Start wurde ihr Körper gegen den Sitz gepresst. Sie genoss den Adrenalinstoß durch die Beschleunigung. Es war toll. Wie durch einen Zauber wurden die Häuser, Gebäude, Bäume und Straßen immer kleiner, bis sie schließlich von den Wolken verdeckt wurden. Über ihr zeigte sich ein prachtvoller Himmel mit einem grandiosen Sonnenaufgang. Blau-, Lila-, Rot-, Gelb- und Rosatöne schillerten über den Horizont. Und Caroline hätte fast drauf wetten können, dass sie am Rand sogar verschiedene grüne Schlieren aufblitzen sah. Gebannt betrachtete sie das Farbenspiel. Die Stewardess unterbrach ihre verträumte Betrachtungen, als sie Caroline freundlich, aber bestimmt ihr Frühstück auf einem winzigen Tablett entgegenstreckte.

      Den Rest des Fluges verbrachte Caroline mit dem Betrachten des Himmels und der Wolken unter ihr, Lesen und Dösen. Um wirklich schlafen zu können, war es in dem engen Sitz einfach zu unbequem.

      Als das Signal aufleuchtete, dass man sich im Landeanflug befand, legte Caroline ein Lesezeichen in das Buch und verstaute es in ihrer Tasche. Das Buch hatte ihre Mutter ihr kurz vor dem Abflug, als kleine Weglektüre, geschenkt. Die Geschichte eines ihrer Vorfahren. Als Caroline gefragt hatte, hatte ihre Mutter nur gelacht und gemeint, sie würde schon von selber darauf kommen.

      Während Caroline sich reckte, um ihre Glieder zu entknoten, dachte sie plötzlich an Mike. Sie hatten sich ganz nett unterhalten. Und dann dieser seltsame, überstürzte Abgang. Irgendwie beunruhigte die ganze Sache Caroline, obwohl sie nicht wusste, wieso. Schließlich hatte sie sich ja nur ein paar Minuten mit Mike unterhalten. Entschlossen schob sie den Gedanken beiseite und blickte aus dem Fenster. Die Welt kam bereits deutlich sichtbar näher.

      Nach der Landung dauerte es noch eine ganze Weile, bis Caroline ihr Gepäck erhielt und in Richtung Ausgang gehen konnte. Plötzlich war sie doch nervös. Sie hatte keine Ahnung, wie sie in diesem riesigen Flughafen jemanden finden könnte. Ihr fiel ein, dass sie nicht einmal einen Namen wusste. Sie musste sich darauf verlassen, dass man sie fand.

      Der Flughafen wimmelte nur so von Passagieren und Besuchern. Caroline schlängelte sich durch den Ausgangsbereich des Zolls und blieb nach ein paar Metern an einem halbwegs leeren Fleck stehen. Als sie aufblickte, sah sie ein Schild mit ihrem Namen.

      „Hallo, sind Sie Caroline del Montelaro? Willkommen.“ Caroline streckte dem Mann ihre Hand hin. Klar, er war ein Familienmitglied und hatte sie wohl direkt als Geweihte erkannt. Vermutlich schon, als sie sich noch beim Zoll befunden hatte. Das Schild diente nur als Alibi.

      Neugierig schaute sich Caroline den Mann genauer an. Seine Haare waren hell und lang. Die blauen Augen blitzten fröhlich, als er sie anschaute. Er hatte eine Figur, die große Kraft und hartes Training bezeugten. Und irgendwas an ihm kam Caroline vage bekannt vor. Er schien ca. 40 Jahre alt zu sein, obwohl Caroline sicher war, dass er um einiges älter war. Und noch etwas konnte sie erkennen: Ihn umgab eine schwache grüne Aura. Sie legte sich wie ein Schleier um ihn. Verwirrt betrachtete Caroline die sich ändernden Farbnuancen, die sich ständig in Variationen zu wiederholen schienen. Ein Räuspern holte sie aus ihren Betrachtungen. Er lächelte mild.

      „War wohl ein langer Flug?“

      Caroline nickte. Sie versuchte noch einmal, den grünlichen Schleier auszumachen. Doch vergebens. Aber Caroline war sich nun sicher: Vor ihr stand ein Silubra. Jemand aus ihrer Sippe.

      Caroline hatte soeben flüchtig die Aura dieses Mannes gesehen. Wenn sie ihre Fähigkeiten im Griff hatte, würde sie andere Geweihte in einem gewissen Umkreis sofort erkennen, auch ohne sich darauf konzentrieren zu müssen. Müde schüttelte sie den Kopf und versuchte sich zu sammeln.

      „Hi, ja, ich bin Caroline. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Der Mann strahlte über das ganze Gesicht.

      „Dachte ich mir schon. Du bist nicht zu übersehen. Mein Name ist übrigens Greg.“

      Dann schnappte er sich den größten von Carolines Koffern und zog ihn in Richtung Ausgang. Verwirrt folgte ihm Caroline. Als sie ihn eingeholt hatte, sprach er weiter.

      „Die anderen sind auch schon da. Wir können also gleich los.“

      Caroline starrte Greg nach.

      „Ich bin also nicht die Einzige?“

      Er