Philipp Schmidt

Krähentanz


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Dennoch reichte die Wucht aus, ihn einknicken zu lassen. Er fand keine Zeit, auf die Beine des nun außer sich Geratenen einzustechen. Den eigenen Dolch im Oberschenkel, drosch der Ork, Schaum vorm Mund, immer wieder von oben auf Kraeh ein. Lange würde er nicht mehr aushalten können, dachte er verzweifelt, da zuckte die Spitze von Arduhls Krummschwert in die Brust des Feindes. Der Ork blickte an sich hinab, besah ungläubig die offenen Ringe seines Kettenhemdes und den roten Fleck, der sich langsam ausbreitete. Dann brach er in sich zusammen. Schon hatten zwei neue seinen Platz eingenommen. Kraeh fehlte die Kraft, sich aufzurappeln. Es war vorbei. Doch was war das? Hörte er bereits in die nächste Welt hinein, waren es die Rösser Donars, die da gegen seine Schläfen pochten?

      Ein Morgenstern ließ den Kopf jenes Orks platzen, von dem er erwartet hatte, dass dieser ihm im nächsten Moment den Todesstoß versetzen würde. Ein Wurfspeer ragte plötzlich aus der Brust des nächsten.

      Als er es schließlich doch noch schaffte, seinen Körper aufzurichten, waren alle Orks niedergemacht oder lagen sich windend in ihrem eigenen Blut.

      Die Reiter stiegen nicht ab. Sie thronten auf ihren Streitrössern und gewährten den Sterbenden vom Sattel aus den Gnadenstoß. Erkentrud und Arduhl schienen unverletzt. Arduhl wog kurz ab, senkte dann aber seine Waffe. Nicht weil er sicher gewesen wäre, von Freunden errettet worden zu sein, sondern wegen der schieren Aussichtslosigkeit auf Erfolg gegen gut dreißig Männer auf Pferden.

      »Die habe ich gemeint«, sagte Erkentrud schwer atmend.

      Die Behandlung, welche sie von den mit Kreuzen geschmückten Soldaten erfuhren, war allerdings beinahe ebenso unerfreulich wie das Zusammentreffen mit den Orks. Auch wenn sie noch nicht wussten, was für einen bedeutenden Fang sie gemacht hatten, zeigten die Männer sich doch von Anfang an misstrauisch gegen den Südländer und seine seltsamen Gefährten. Dass man sie nicht in Ketten legte, war das Äußerste an Freundlichkeit, das man ihnen entgegenbrachte. Nachdem man sie grob ihrer Waffen entledigt hatte, stiegen auf Befehl hin zähneknirschend drei Männer von ihren Pferden ab, deren Zügel aneinandergebunden wurden, ehe Erkentrud, Kraeh und Arduhl harsch auf die Sättel befohlen wurden. Die drei Soldaten, die sie sich ohne eigenes Zutun zu Feinden gemacht hatten, schwangen sich hinter Kameraden in den Sattel.

      Sie brachen auf. Kraeh und Arduhl taten keinen Mucks, Erkentrud hingegen entließ Lischa lautstark aus ihren Diensten. Als der Soldat zu ihrer Rechten wissen wollte, mit wem sie da redete, erschrak sie und sah zu Boden.

      »Mit niemandem«, lenkte Kraeh ein, »ihr Geist ist verwirrt.«

      Die Königin blinzelte dem Mann zustimmend entgegen, und sobald er wegsah, schenkte sie Kraeh einen vernichtenden Blick. Verstand sie nicht, dass er wahrscheinlich gerade das Leben ihrer Dienerin gerettet hatte? Aber wie er stumm auf dem Rücken des schnaubenden Tieres saß, überkam den Alten erneut das betäubende Gefühl, dass nun sowieso alles gleichgültig war. Was hatte er sich eigentlich vorgestellt? Dass er Erkentrud fand und sie ihm einfach so eine zweite Jugend schenkte? Aye, ungefähr das hatte er sich gedacht, gestand er sich ein. Was für ein Tor er doch war! Am besten wäre es wohl, sie würden ihn gleich hier aufknüpfen, ehe er sich der nächsten kindischen Hoffnung hingeben konnte. Während er den Blick über die grimmig dreinschauenden Soldaten schweifen ließ, die zuweilen lüstern auf Erkentrud starrten, zuweilen flugs die Hände auf ihre Waffen legten, wenn Arduhl auch nur seinen Kopf unerwartet drehte, ging ihm auf, dass eine Hinrichtung keineswegs eine abwegige Aussicht war.

      Als einer, der als Kundschafter vorausgeritten war, zurückkehrte mit der Nachricht, er habe den Weg wiedergefunden, lockerte sich die Stimmung allerdings auf. Obgleich das Reich der Druden zerfallen war, flößten die Wälder dem, der die Geschichten kannte, immer noch Respekt, wenn nicht gar Angst ein. Da sie jetzt die Bestätigung hatten, wieder aus ihnen herausgeführt zu werden, brachen die Soldaten ihr Schweigen und die in Gewahrsam Genommenen erfuhren, dass sie vermutlich von Botlim-Orks, die aus ihrem Reservat ausgebrochen sein mussten, attackiert worden waren.

      Ein fernes Donnergrollen brachte den kommandierenden Offizier dazu, seinen Leithengst in einen leichten Trab verfallen zu lassen, der von den übrigen Tieren in altem Herdenbewusstsein aufgenommen wurde. Trotzdem erreichten sie ihr Ziel nicht, ohne in einen heftigen Regenguss zu geraten. Durchnässt bis auf die Haut ritten sie auf ein aus massiven Holzpfeilern errichtetes Tor zu. Die ehemalige Garnison war zu einem Städtchen herangewachsen, dessen Bewohner, als der Platz im Inneren der Palisade nicht mehr ausreichte, ihre Hütten und Häuser doch immerhin so nahe wie möglich an den Sicherheit ausstrahlenden Wall gedrängt hatten, was dem Ganzen einen etwas seltsamen Anblick verlieh.

      Kraeh bemerkte, wie gut Erkentrud die Nässe stand, während sie durch das nach außen aufschwingende Tor ritten. Das Haar klebte ihr auf Stirn und Wangen und die durchtränkte Kleidung betonte ihre immer noch beeindruckenden weiblichen Formen. Direkt hinter dem Tor wurden sie schon von noch mehr Männern in Waffen erwartet, von denen einer deutlich herausstach. Er war nicht eben groß zu nennen, doch sein mit Gold überzogener Flügelhelm und sein mit dem Bullen Brisaks bestickter Überwurf wiesen ihn als denjenigen aus, der über ihr Schicksal entscheiden würde.

      »Eli!«, entfuhr es Arduhl.

      Nach einer kurzen Musterung, die ein sardonisches Lächeln auf den Mund des Befehlshabers zauberte, machte er eine Handbewegung, die unverzüglich zur Folge hatte, dass man sie unsanft von den Pferden zog.

      »Bringt sie zu den anderen Gefangenen«, sagte Eli in einem Tonfall, der Widerworte weder kannte noch jemals geduldet hätte. »Und verdoppelt in Anbetracht unseres berüchtigten Besuchs die Wachen – auch wenn er kaum von Dauer sein wird.« Dabei nahm er den Helm ab und fixierte Arduhl in einer Weise die keinen Zweifel daran ließ, dass er ihm am liebsten auf der Stelle das Herz aus der Brust geschnitten hätte.

      2. Alte Freunde, neue Tänze

      Sedain saß, aufrecht wie gewöhnlich, an seinem wohlgeordneten Schreibtisch. Die Herbstsonne, noch nicht weit über dem Meereshorizont aufgestiegen, blendete ihn einen Moment und warf Schatten in sein akkurat eingerichtetes Turmzimmer, hoch über den Dächern Dundolchs. Ehe der Winter mit seinen klaren Himmeln einbräche, würde er einen Kammerdiener damit beauftragen, die Vorhänge wieder anbringen zu lassen.

      Er nahm die Schwanenfeder, tauchte sie ins Tintenfass und überflog noch einmal das Schriftstück vor ihm. Die Verteidigung weist drauf hin … einen Schaden von 60 Tinnios … angestiftet von … Auflistung der Zeugen … Familienverhältnisse des Angeklagten, Frau verstorben, Vater zweier Töchter … Seine Unterschrift war ohne Bögen und Schnörkel, nüchtern und trocken, wie sein Amt es verlangte. Die Verteidigung hatte sich gut vorbereitet, aber der Halbelf war sich sicher, dennoch eine Haftstrafe bewirken zu können. Er dachte an seine eigene Ziehtochter, die er als Säugling vor sechzehn Jahren unter seine Obhut genommen hatte. Vorlaut und furchtlos war sie ihm gestern entgegengetreten, als er sie zur Rede gestellt hatte. In anderen Zeiten hätte er ihr einfach den Kopf dieses Bengels, mit dem sie sich heimlich traf, präsentiert. Bei nochmaliger Überlegung: In anderen Zeiten hätte er sich kaum um ein undankbares Balg gekümmert. Später würde er einfach zum Vater dieser Missgeburt gehen, der auch am Hof beschäftigt war, und ihn auf die Konsequenzen für seine Karriere hinweisen, sollte dieser sich erdreisten, den Nachstellungen nicht entschiedenst entgegenzuwirken. Ein verhaltenes Klopfen zog ihn aus seinen Gedanken.

      »Herein.«

      Dunjal! Diese einfältige Person, deren einzige Qualität, die Angehörigkeit zur Elfenrasse, Sedain dazu bewogen hatte, diesem den Posten seines Gehilfen zu beschaffen – eine Entscheidung, die er zutiefst bereute. Zaghaft trat Dunjal in den Raum. Seine verweichlichten Gesichtszüge wurden heute noch von seiner geschmacklosen Kleidung untertroffen. Wer zur Hölle trug schon gelbe Lederstiefel?! Widerwillig hob Sedain seinen Blick. Der Störenfried hatte irgendetwas gesagt.

      »… ich dachte nur …«

      »Und schon lügst du!«, schnaubte Sedain.

      »Ich dachte, wir könnten den Grafen von Ulfenstein zu einem Mahl einladen, um die unerfreuliche Angelegenheit seines Neffen zu besprechen«, überging Dunjal die beleidigende Art seines Vorgesetzten, an die er sich mittlerweile katzbuckelnd gewöhnt hatte.

      Es