den geschilderten Fällen ein klarer Vorrang der zivilen Erbenstellung vor dem prätorischen Recht besteht, führt das Zusammentreffen zwischen nachrückenden Hauserben (Enkeln) und dem emancipatus (Sohn) des Erblassers zu einer Spaltung der Intestaterbfolge nach ius civile und ius praetorium (Kap. 3.2.2). Dieser Konflikt wird erst im Kaiserrecht im Rahmen der Ediktsredaktion unter Kaiser Hadrian (130 n. Chr.) einer Lösung zugeführt. Der Terminologie der römischen Juristen entsprechend (Kap. 2.2.3), ist diese Neuerung im Rahmen des ius praetorium zu behandeln.
3.3.2 Nova clausula Iuliani im Intestaterbrecht
Der in Kaiser Hadrians Reform eingeführte Abschnitt des prätorischen Edikts wird als neue Klausel Julians (nova clausula Iuliani) bezeichnet, was auf den Urheber der Regelung, den Juristen Julian (2. Jahrhundert n. Chr.), verweist.
D. 38.6.5pr. Pomponius 4 ad SabinumSi quis ex his, quibus bonorum possessionem praetor pollicetur, in potestate parentis, de cuius bonis agitur, cum is moritur, non fuerit, ei liberisque, quos in eiusdem familia habebit, si ad eos hereditas suo nomine pertinebit neque nominatim exheredes scripti erunt, bonorum possessio eius partis datur, quae ad eum pertineret, si in potestate permansisset […].
Wenn sich jemand von denjenigen, denen der Prätor die bonorum possessio verspricht, nicht in der Gewalt des Vaters, um dessen Nachlass es geht, befand, als jener verstarb, wird ihm und den Kindern, die er in der Familie desselben [Vaters] haben wird, wenn diesen die Erbschaft in seinem Namen zustehen wird und sie nicht ausdrücklich enterbt worden sind, die bonorum possessio für diesen Anteil erteilt, der ihm gehören würde, wenn er in der Gewalt verblieben wäre […].
Die Klausel sieht vor, dass bei Zusammentreffen eines emanzipierten Sohnes (als vorrangig Berechtigtem nach ius praetorium) mit den in der Gewalt des Großvaters verbliebenen Enkeln (als Hauserben nach ius civile) der (fiktive) Erbteil des Sohnes zwischen dem Sohn und seinen Kindern zu teilen ist. Somit sind sowohl der prätorische als auch der zivile Intestaterbe zur Erbfolge berufen. Diese innovative Lösung, die nur als Aufteilung der bonorum possessio ab intestato zwischen Enkeln und Sohn vorstellbar ist, bedeutet einen Kompromiss zwischen den Anforderungen des ius civile und denen des ius praetorium: So wird dem ius civile dadurch Genüge getan, dass die in die Position von Hauserben nachrückenden Enkel am Erbteil ihres Vaters beteiligt werden; dem ius praetorium dagegen entspricht, dass der emancipatus gleichberechtigt mit den in der Gewalt verbliebenen Abkömmlingen berufen ist. Gleichzeitig wahrt die nova clausula Iuliani die Interessen der weiteren Abkömmlinge, etwa der weiteren Geschwister des emancipatus, indem sie den emancipatus und seine Kinder nur auf den fiktiven Erbteil des Sohnes beruft. Somit bleibt das Stammesprinzip gewahrt, das für die Geschwister sowohl nach ius civile als auch nach ius praetorium Gültigkeit beansprucht.
Übersicht 10: Nova clausula Iuliani
Die nova clausula Iuliani belegt, dass die Juristen der Kaiserzeit nicht nur Einzelfallentscheidungen trafen, sondern auch versuchten, ein kohärentes System des Intestaterbrechts zu schaffen und Widersprüche zwischen ius civile und ius praetorium aufzulösen.
Über diese Korrekturen des ius praetorium hinaus ordnen zwei Reformen des Kaiserrechts auch ein Intestaterbrecht der Mutter nach ihren Kindern sowie ein Intestaterbrecht der Kinder nach ihrer Mutter an.
3.4 Kaiserrechtliche Korrekturen
Nach ius civile sind Mütter und ihre Kinder nicht (agnatisch) verwandt und daher nicht gegenseitig erbberechtigt (Kap. 3.1.4); nach prätorischem Recht können sie den Nachlassbesitz voneinander erst im Rahmen der dritten Klasse als Blutsverwandte (unde cognati) verlangen (Kap. 3.2.2). Diese Möglichkeit hilft allerdings dann nicht, wenn zivile Erben vorhanden sind, die aufgrund der ersten Klasse (unde liberi) oder der zweiten Klasse (unde legitimi) des ius praetorium vorrangig zum Zuge kommen. Die fehlende Intestaterbfolge zwischen Mutter und Kindern wird durch zwei Senatsbeschlüsse aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. eingeführt.
3.4.1 Senatusconsultum Tertullianum
Das erste, aus der Zeit des Kaisers Hadrian (117 – 138 n. Chr.) stammende senatusconsultum Tertullianum regelt die Erbfolge der Mutter nach ihren Kindern:
Inst. 3.3.2Postea autem senatusconsulto Tertulliano, quod divi Hadriani temporibus factum est, plenissime de tristi successione matri, non etiam aviae deferenda cautum est: Ut mater ingenua trium liberorum ius habens, […] ad bona filiorum filiarumve admittatur intestatorum mortuorum, licet in potestate parentis est, ut scilicet, cum alieno iuri subiecta est, iussu eius adeat cuius iuri subiecta est.
Später aber ist durch das senatusconsultum Tertullianum, das zu Zeiten des vergöttlichten Kaisers Hadrian abgefasst worden ist, hinsichtlich der Übertragung der traurigen Erbfolge auf die Mutter, nicht auch auf die Großmutter sehr ausführlich angeordnet worden, dass eine freigeborene Mutter, die das Dreikinderrecht hat, […] zur Erbfolge ihrer testamentslos verstorbenen Söhne oder Töchter zugelassen wird, auch wenn sie sich in der Gewalt ihres Vaters befindet, so dass sie natürlich, weil sie fremdem Recht unterworfen wurde, auf den Befehl desjenigen hin, dessen Recht sie unterworfen ist, die Erbschaft antritt.
Voraussetzung für die Erbberechtigung der Mutter nach ihrem gewaltfreien und damit vermögensfähigen Kind ist, dass sie selbst freie Römerin sui iuris ist und bereits drei Kinder geboren hat. Das Dreikinderrecht entstammt der Ehegesetzgebung des Kaisers Augustus (27 v. Chr.–14. n. Chr.) und sichert der Frau dort die testamentarisch erworbenen Vorteile (Kap. 4.3). Frauen, die weniger als drei (eheliche) Kinder geboren haben und das Dreikinderrecht (ius trium liberorum) auch nicht als Privileg verliehen erhalten haben, verlieren den ihnen durch Testament zugewandten Nachlassteil. Der hadrianische Senatsbeschluss geht über diese Regelung hinaus, indem er der gewaltfreien, freigeborenen Frau mit drei Kindern ein eigenes Intestaterbrecht nach den aus der Gewalt des Vaters entlassenen Kindern verspricht. Danach kann die Mutter für sich selbst die Erbschaft ihrer Kinder erwerben.
Das neu geschaffene Intestaterbrecht der Mutter steht allerdings hinter vorrangigen Erbberechtigungen zurück:
Inst. 3.3.3Praeferuntur autem matri liberi defuncti, qui sui sunt […]. Sed et filiae suae mortuae filius vel filia opponitur ex constitutionibus matri defunctae, id est aviae suae. Pater quoque utriusque, non etiam avus vel proavus, matri anteponitur, scilicet cum inter eos solos de hereditate agitur. Frater autem consanguineus tam filii quam filiae excludebat matrem: Soror autem consanguinea pariter cum matre admittebatur: Sed si fuerat frater et soror consanguinei et mater liberis honorata, frater quidem matrem excludebat, communis autem erat hereditas ex aequis partibus fratri et sorori.
Der Mutter aber werden diejenigen Kinder des Verstorbenen vorgezogen, die Hauserben sind […]. Aber auch der Sohn oder die Tochter seiner verstorbenen Tochter werden nach den Konstitutionen vor der Mutter der Verstorbenen, das heißt vor der Großmutter, berücksichtigt. Auch wird der Vater von beiden, nicht auch der Großvater oder Urgroßvater, der Mutter vorgezogen, wenn nämlich zwischen ihnen allein über die Erbschaft verhandelt wird. Der von der Vaterseite stammende Bruder aber sowohl eines [vorverstorbenen] Sohnes als auch einer [vorverstorbenen] Tochter schloss die Mutter aus: Eine von der Vaterseite stammende Schwester hingegen wurde mit der Mutter zugleich zugelassen. Wenn aber ein von der Vaterseite stammender Bruder, eine von der Vaterseite stammende Schwester und eine durch Kinder ausgezeichnete Mutter vorhanden waren, schloss zwar der Bruder die Mutter aus, aber die Erbschaft