Thomas Rauscher

Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht


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KSÜ • EuKEntfÜbk • Luganer Übk 2007 • sachlich – zeitlich – räumlich(-persönlich)

      Deutsches IZPR

§§ 12 ff ZPO entsprechend
§§ 98, 100, 102, 103 FamFG
§§ 99, 101, 104
§ 105 FamFG
sachlich-zeitlich

      Wer mehr Details aufnehmen möchte, etwa verschiedene Zuständigkeitsgründe und -systeme (Verbraucher, Versicherte, Arbeitnehmer) der Brüssel Ia-VO, sollte bedenken, dass eine schlanke und einprägsame Checkliste nur zu den Normen führen muss, die als zulässige Hilfsmittel beim Lösen des Falles verfügbar sind. Man will nicht in das Stichwortverzeichnis sehen müssen, aber muss nicht das Inhaltsverzeichnis des Rechtsinstruments auswendig lernen. Speicherplatz überlassen wir getrost der „künstlichen Intelligenz“ und lösen unsere Fälle mit der nur dem menschlichen Denken eigenen Mischung aus Wissen, Logik und Phantasie.

      a) Fragestellungen

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      Während in Klausuren des Ersten Staatsexamens das Zivilprozessrecht fast ausschließlich in kleinen Zusatzfragen vorkommt, spielt das Internationale Zivilprozessrecht (IZPR), vor allem aber das Europäische Zivilprozessrecht (EuZPR), im Fall mit Auslandsbezug eine tragende Rolle. Sowohl aus Gerichts- als auch aus Anwaltsperspektive wird häufig danach gefragt sein, ob ein Gericht oder deutsche Gerichte, manchmal auch ausländische Gerichte, international zur Entscheidung zuständig sind. Gerade der Aspekt einer ausländischen Zuständigkeit wird in der deutschen Beratungspraxis oft nicht ausreichend einbezogen, was das in den USA als Kunst geübte, dem Mandanten nützliche forum shopping blockiert. Es ist praktisch, wenn man den Mandanten vor einem deutschen Gericht vertreten kann, kann aber im Ergebnis oder auch bei den Rechtsermittlungskosten in Anwendung ausländischen Rechts Nachteile haben.

      Hinzu kommen Fragen der Partei- und Prozessfähigkeit ausländischer Parteien, die Ausländersicherheit und Zustellungsprobleme.

      Als Hauptfrage, oft aber auch als Vorfrage innerhalb einer Verfahrenssituation, kann sich die Anerkennung ausländischer Entscheidungen oder die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit stellen.

      b) Aufbauhinweise

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      Zulässigkeitsfragen, insbesondere die internationale Zuständigkeit, sind regelmäßig zuerst zu prüfen.

      Gerichtsbarkeit, Partei- und Prozessfähigkeit, Klageerhebung (Zustellung!) und Ausländersicherheit werden (nach der Zuständigkeit) nur geprüft, wenn sich nach dem Sachverhalt Probleme ergeben. Auch eine anderweitige Rechtshängigkeit wird meist auf der Zulässigkeitsebene relevant.

      Hingegen kann die Anerkennung ausländischer Entscheidungen die Zulässigkeit beeinflussen (jemand erhebt den Einwand der res iudicata oder des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses); sie kann aber auch die materielle Ebene betreffen (Scheidungsantrag unbegründet, weil die Ehe bereits – in Deutschland anerkennungsfähig – im Ausland geschieden oder aufgehoben ist).

      Auch wenn Bearbeitern im Kenntnisstand des Ersten Staatsexamens jede prozessrechtliche Erkenntnis eher hochwertig erscheinen mag: Trotz des oft prozessualen Bezuges sind gerade Fälle mit Auslandsbezug nicht der Ort, um banale Grundkenntnisse der ZPO auszubreiten. Ist in einem Fall mit Auslandsbezug nach der Zulässigkeit der Klage gefragt, so geht es um spezifisch auslandsrechtliche Probleme. Das Abarbeiten banal erfüllter Prozessvoraussetzungen („Der deutsche Kläger ist parteifähig, wenn er rechtsfähig ist; ja, er wurde geboren und ist noch nicht verstorben“) ist zeitraubender Ballast. Hingegen kann die Parteifähigkeit und die prozessfähige Vertretung einer ausländischen juristischen Person durchaus eine zentrale Frage eines auslandsrechtlichen Falles bedeuten („der Senior Vice President X der als corporation des Rechts von Hong Kong in London gegründeten Klägerin erteilt Rechtsanwalt R Prozessvollmacht“). Auch bei der örtlichen Zuständigkeit bedarf es eines Instinkts für erörterungsbedürftige und für banale Fragen.

      a) Fragestellungen

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      Die Suche nach dem im Fall anwendbaren Recht ist Gegenstand vieler Fälle mit Auslandsbezug; rein prozessuale Fälle kommen freilich im Bereich der Anerkennung ausländischer Entscheidungen vor. Selbst wenn deutsche Gerichte nicht international zuständig sind, wird die Fallfrage oft deutlich machen, dass auch das anwendbare Recht [hilfsgutachtlich] zu ermitteln ist. Auch in diesem Bereich haben völkervertragliche und europarechtliche Instrumente einen zunehmend größeren Anwendungsbereich, aus dem sich Abgrenzungsprobleme (welche Fragen des Vertrages unterliegen dem CISG, welche dem Vertragsstatut?) ergeben.

      Eine wichtige Aufgabe besteht hier zunächst darin, die Fragen des Falles zutreffend zu qualifizieren. Dabei muss immer in Betracht gezogen werden, dass ein einheitlicher Lebenssachverhalt mehreren Rechtsordnungen untersteht. Zunehmend Bedeutung hat die durchaus vom deutschen Recht abweichende Qualifikation in EU-Instrumenten, die deren Anwendungsbereich bestimmt (zB Anwendung der Rom III-VO auf private Scheidungen oder die Scheidung gleichgeschlechtlicher Ehen).

      b) Aufbauhinweise

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      Die Anspruchsprüfung, in Fällen mit Auslandsbezug häufig als Begründetheitsprüfung in einem Klagefall enthalten, beginnt im Gegensatz zum gewohnten internen Fall nicht mit einer Anspruchsgrundlage. Ehe nicht das anwendbare Recht ermittelt ist, hat es keinen Sinn, eine Anspruchsgrundlage voranzustellen und künstlich zu fragen, ob das dazugehörige Recht anwendbar ist. Es ist im Gutachten sachgerecht, vorab das – für jeden Teilbereich des Falles – anzuwendende Recht in einem dem Anspruchsaufbau nachgebildeten „Verweisungsnormaufbau“ zu prüfen.

      Am Anfang steht immer die letztlich das anwendbare Recht bestimmende Verweisungsnorm. Sonstige Kollisionsnormen, etwa zu Staatenlosigkeit oder Mehrstaatigkeit folgen in diesem Aufbau, wenn sich zeigt, dass es auf diese Normen ankommt, zB, weil an die Staatsangehörigkeit einer Person angeknüpft wird und diese (womöglich) zwei Staatsangehörigkeiten hat oder staatenlos ist.

      Geht es im Fall um mehrere Statuten, so ist es eine Frage verständlicher Darstellung, ob man einheitlich die IPR-Ebene prüft und anschließend die materiellen Rechtsprobleme nach dem jeweils anwendbaren Recht, oder ob man nach Einzelfragen gliedert und dort jeweils IPR und materielles Recht abarbeitet. Geringere Schwierigkeiten ergeben sich meist, wenn man zunächst das IPR „abarbeitet“. Damit ist dann der Fundus der materiellen Normen bestimmt, mit dem man den Fall lösen darf.

      Vorfragenanknüpfungen bringen Bearbeiter leicht in Aufbaunöte. Hier lässt es sich oft nicht vermeiden, eine IPR-Prüfung (Anknüpfung der Vorfrage) in die materielle Prüfung einzuflechten. ZB lässt es sich aufbaulogisch nicht begründen, einen Ehescheidungsfall – vermeintlich historisch – mit der Prüfung der wirksamen Eheschließung zu beginnen. Ob die Parteien verheiratet sind, ist eine Vorfrage, die sich erst im materiellen Scheidungstatbestand stellt. Dort muss sie dann auch behandelt werden. Doch auch hier gilt: Es gibt Probleme und es gibt Selbstverständliches: Wer in jedem Scheidungsfall die Wirksamkeit der im Sachverhalt nicht problematisierten Eheschließung („die Parteien haben am … in … geheiratet“)