Weitgehend ausgehebelt wäre die vom Bundesverfassungsgericht als „tragendes Organisationsprinzip des Grundgesetzes“[396] apostrophierte Gewaltenteilung,[397] wenn verschiedene Organe mit den gleichen Personen (Amtswaltern) besetzt werden könnten. Dem beugen die so genannten Inkompatibilitäten vor.[398] Besonders strikt fällt insofern die Trennung der Judikative von den beiden anderen Gewalten aus, weniger konsequent hingegen im Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive, wie etwa die fehlende Inkompatibilität zwischen der Mitgliedschaft in Bundesregierung und Bundestag zeigt. Auch der Erlass von Verordnungen durch die Ministerien gemäß Art. 80 GG (vgl. oben, Rn. 21) stellt eine Durchbrechung dar. Ohnehin ist das Gewaltenteilungsprinzip „nirgends rein verwirklicht“[399].
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Der unverlierbare Sinn der Gewaltenteilung besteht im Schutz vor jeder Form totaler Machtkonzentration[400] durch Errichtung eines Systems von „checks and balances“, von Gegengewalten und Kontrollmöglichkeiten, wie es namentlich von den amerikanischen Verfassungsvätern realisiert wurde.[401] Auch in Montesquieus Satz „Le pouvoir arrête le pouvoir“ gewinnt diese Idee plastischen Ausdruck.[402] Freilich erwuchs bei ihm der Gedanke einer wirklichen Teilung der Gewalten noch aus ihrer Zuordnung zu verschiedenen sozialen Kräften und eigenständigen politischen Größen.[403] Dieser Bezugspunkt ist heute entfallen, da die gesamte Staatsgewalt einheitlich auf dem Willen des Volkes beruht.[404] Auch darf man angesichts der – Gleichrangigkeit insinuierenden – Rede von der Gewaltenteilung nicht die „Präponderanz des Bundestages“[405] als legislativer Leitgewalt und steuernder Größe gegenüber Exekutive und Judikative verkennen.
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Ein zweiter Punkt tritt hinzu. Mit der Gewaltenteilung wird in hochkomplexen modernen Gesellschaften nicht eine ursprünglich effizientere und wirkungsmächtigere Staatsorganisation gleichsam künstlich gebrochen und in ihrer Wirksamkeit abgeschwächt. Vielmehr hat die Gliederung der Gewalten einen Handlungsfähigkeit erst verleihenden, effizienzsteigernden, den universalen Gedanken der Arbeitsteilung auf die Staatsapparatur übertragenden Effekt. Es geht also nicht nur um kunstvolle Verhinderung eines univoken Machtapparats, sondern um eine sinnvolle Zuordnung der staatlichen Funktionen auf bestimmte Organe.[406] Dieser gleichsam positive Aspekt bezeichnet den wesentlichen Sinngehalt der Gewaltenteilung im demokratischen Verfassungsstaat. Auf ihn lassen sich auch Konzepte einer funktional differenzierten Zuordnung von Kompetenzen[407] auf bestimmte Träger zurückführen.
b) Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes
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Mit der Bindung der Verwaltung an das Gesetz markiert Art. 20 Abs. 3 GG gewissermaßen den harten historischen Kern des Rechtsstaatsprinzips.[408] Der hier etablierte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zerfällt dabei in zwei Unterprinzipien, den Vorrang und den Vorbehalt des Gesetzes.[409]
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Der Vorrang des Gesetzes resultiert letztlich aus dem Stufenbau der Rechtsordnung und besagt, dass es den anderen Rechtsquellen (die Verfassung ausgenommen) vorgeht. Die Verwaltung muss also die Gesetze beachten, darf nicht von ihnen abweichen (Abweichungsverbot) oder sie ignorieren (Anwendungsgebot). Es gilt der Satz: keine Maßnahme gegen das Gesetz.
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Vom weitergehenden „Vorbehalt“ des Gesetzes spricht man, weil die Verwaltungstätigkeit hier unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Ermächtigung steht. Es gilt der Satz: keine Maßnahme ohne das Gesetz. Schon gemäß der staatsrechtlichen Doktrin des 19. Jahrhunderts waren demgemäß Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers nur durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) zulässig, das wiederum der Zustimmung des Parlaments bedurfte. Dieses wichtigste Erbstück der konstitutionellen Epoche hat in der jüngeren verfassungsrechtlichen Entwicklung insofern eine Erweiterung erfahren, als nun auch die Regelung „wesentlicher“ Fragen jenseits eines Eingriffssachverhaltes darunter fällt. Die vom Bundesverfassungsgericht kreierte und gleichermaßen im Demokratieprinzip zu verankernde so genannte „Wesentlichkeitslehre“ (zuweilen auch „Wesentlichkeitstheorie“ oder „Wesentlichkeitsdoktrin“) hat eine nicht immer leicht zu überschauende Kasuistik hervorgebracht.[410] Eindeutig überwunden ist allerdings die Ansicht, wonach der Vorbehalt in den so genannten „besonderen Gewaltverhältnissen“ (also etwa in Gefängnissen oder Schulen) nicht zum Tragen komme.[411] Der weitreichende und eigentlich nur die Subventionsverwaltung sowie bestimmte Organisationsfragen ausklammernde Vorbehalt schließt autonome exekutive Handlungsermächtigungen aus, wie sie beispielsweise in Frankreich[412] üblich sind.
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Im Unterschied zum Vorrang des Gesetzes ist der Vorbehalt des Gesetzes nicht explizit in Art. 20 GG geregelt. Doch setzt diese Bestimmung den überkommenen „klassischen“ Gesetzesvorbehalt voraus und bietet so ein weiteres Beispiel dafür, dass der Normgeber das für selbstverständlich Gehaltene oft nicht thematisiert. Zudem ist neben diesem Traditionsaspekt noch auf die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte sowie das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts zu verweisen. Im Ergebnis ist die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes als Teil des Rechtsstaatsprinzips unstreitig.[413]
c) Rechtsschutz und Justizgrundrechte
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Zu den Traditionsbeständen des Rechtsstaatsgedankens zählt des Weiteren die Konfliktentscheidung durch einen unbeteiligten Dritten und somit die Möglichkeit, um Rechtsschutz vor Gericht nachzusuchen. Rechtsstaat meint immer auch Gerichtsstaat, der nicht als Rechtswegestaat denunziert werden sollte. Ein allgemeiner rechtsstaatlicher Justizgewährleistungsanspruch, der sich auf Klagen von Bürgern untereinander bezieht, ergibt sich unter diesen Prämissen zwingend aus dem Gewaltmonopol des Staates und dem Verbot der Selbsthilfe für die Bürger.[414] Für den Bereich der öffentlichen Gewalt wird eine solche Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG ausdrücklich verbürgt.[415] Die zentrale Bedeutung dieses gerade in der Entstehungszeit des Grundgesetzes vielgepriesenen und vom Bundesverfassungsgericht im Anschluss an von Mangoldt/Klein als „Grundsatznorm für die gesamte Rechtsordnung“[416] bezeichneten Artikels besteht darin, dass jeder Bürger gegen jeden (auch noch so marginalen) Eingriff in seine subjektive Rechtsstellung durch die öffentliche Gewalt[417] vor Gericht klagen kann und dem Staat dann nicht als Untertan, sondern als gleichberechtigte Prozesspartei gegenübertritt.[418] Gewaltenteilungstechnisch formuliert: Bei Rechtsverletzungen durch den Staat in Gestalt der Verwaltung wird Schutz und Kontrolle durch den Staat in Gestalt der Gerichte gewährt. Des Näheren unterstreichen die vom Bundesverfassungsgericht beharrlich eingeforderten Gebote des lückenlosen und des effektiven Rechtsschutzes die herausragende Bedeutung dieser Verfassungsgarantie,[419] deren Stellenwert und praktische Relevanz in Deutschland weitaus größer ist als in anderen Staaten der Europäischen Union.[420] Eine unentbehrliche Voraussetzung für die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes bildet die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter, wie sie insbesondere in Art. 97 GG garantiert wird.
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Die so genannten Justizgrundrechte dienen in erster Linie dazu, ein rechtsstaatlich faires und einwandfreies Verfahren zu gewährleisten. Das geschieht ganz allgemein durch das Verbot von Ausnahmegerichten und den Anspruch auf einen gesetzlichen Richter (Art. 101 GG) sowie das in der Praxis überragend wichtige Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Rechtsgarantien bei der Freiheitsentziehung (Art. 104 GG) haben ihren Schwerpunkt im Bereich des Strafrechts, für das Art. 103 Abs. 2 GG den fundamentalen Grundsatz „nulla poena sine lege“ traditionsgesättigt im Sinne einer vierfachen Garantie ausgestaltet (lex scripta: Ausschluss von Gewohnheitsrecht; lex stricta: Analogieverbot; lex certa: Bestimmtheitsgebot; lex praevia: Rückwirkungsverbot).
d)