Markus Berndt

Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung


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Extraneus).

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X von der Zwangsvollstreckung bedrohten XY GmbH, bittet den bösgläubigen Mitarbeiter D, Vermögen der Gesellschaft ins Ausland zu transferieren. - Als Tatnächster kontrolliert D zwar den Tatablauf, eine Bestrafung nach § 288 StGB scheidet jedoch aus, da er nicht Täter des Sonderdelikts sein kann: Weder schafft er sein eigenes Vermögen beiseite noch droht ihm persönlich die Zwangsvollstreckung, denn diese steht nur der GmbH bevor. Nach bestrittener, aber überwiegender Ansicht wird bezüglich Geschäftsführer X im Wege einer eher normativ begründeten Tatherrschaft die Strafbarkeit nach §§ 288, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB bejaht. Dass die Gesellschaft Vollstreckungsschuldner ist, ändert nichts an der Strafbarkeit des X. Insoweit ist § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB einschlägig. Bei D ist eine strafbare Beihilfehandlung gem. §§ 288, 27 Abs. 2 StGB gegeben. Nach wohl h.M. greift neben § 27 Abs. 2 StGB nicht auch noch die obligatorische Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB, da jeweils ein und derselbe Umstand – das Fehlen der Tätereigenschaft – die Milderung trägt.[4]

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      Ferner kommen Fälle in Betracht, in denen der Ausführende als unvorsätzlich handelndes Werkzeug agiert (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X fordert Mitarbeiter Y auf, bestimmte Abfälle in einem Fluss zu entsorgen, ohne ihn über deren toxische Natur aufzuklären. - Strafbarkeit des X nach §§ 326 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB durch Y als unvorsätzlich handelndes Werkzeug (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Bei Anhaltspunkten für fahrlässiges Handeln ist bezüglich Y an § 326 Abs. 5 Nr. 1 StGB zu denken.

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      Sofern es an einem Strafbarkeitsdefizit fehlt, können anstelle normativer allein empirische Gegebenheiten einer Leitungsperson die Tatherrschaft vermitteln. Allerdings sind durch Rechtsprechung und Dogmatik Fallgruppen herausgearbeitet worden, bei denen trotz eines volldeliktisch handelnden Vordermannes mittelbare Täterschaft angenommen wurde. Im Kern geht es um die Frage, ob das allgemeine Verantwortungsprinzip, nach dem bei vollständiger strafrechtlicher Verantwortlichkeit des Vordermannes eine zusätzliche täterschaftliche Beteiligung ausscheidet, aufgrund eines besonderen Autonomiedefizits des unmittelbar Handelnden überlagert wird.[5] Zu berücksichtigen ist der dann einsetzende Ausnahmecharakter von der grundsätzlichen Regel, dass eine mittelbare Täterschaft ein Strafbarkeitsdefizit des Vordermannes voraussetzt. In Unternehmenszusammenhängen kommen vor allem die Konstellationen des Ausnutzens eines vermeidbaren Verbotsirrtums, eines Irrtums über den konkreten Handlungssinn, der Einsatz von unterhalb der Schwelle des § 35 StGB liegenden Zwanges sowie die Tatausführung unter Ausnutzung organisatorischer Machtapparate in Betracht.

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      Sofern die auf Leitungsebene angesiedelte Person bei der auf untergeordneter Hierarchieebene angesiedelten Person einen vermeidbaren Verbots- oder Erlaubnisirrtum hervorruft oder ausnutzt,[6] bestehen prinzipiell keine Bedenken gegenüber der Annahme einer strafrechtlichen Haftung als mittelbarer Täter.

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X weist den leichtgäubigen Mitarbeiter Y an, toxische Substanzen in einen Fluss einzuleiten, da sich das Unternehmen angesichts einer prekären wirtschaftlichen Lage keine teure Entsorgung leisten kann und die Einleitung deshalb ausnahmsweise rechtlich zulässig sei. – Strafbarkeit des X nach §§ 326 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB durch Y als in einem vermeidbaren Erlaubnisirrtum handelndes Werkzeug, welches das Nichtvorliegen der Voraussetzungen eines rechtfertigenden Notstandes im Sinne des § 34 StGB hätte erkennen und demnach den Irrtum vermeiden können. Obwohl ein potentielles Unrechtsbewusstsein für eine strafrechtliche Haftung genügt (vgl. § 17 StGB), ist nicht zu verkennen, dass die Tatherrschaft de facto bei der auf Leitungsebene angesiedelten Person liegt. Denn für die Steuerung des Tatmittlers ist es unerheblich, ob das Unrechtsbewusstsein vermeidbar oder unvermeidbar fehlt; in beiden Konstellationen kann der Hintermann die Tat nach seinem Willen ablaufen lassen oder hemmen, weshalb er als Zentral- und nicht als Randfigur des Geschehens anzusehen ist.[7]

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      Ebenfalls problematisch sind Konstellationen des Irrtums über den konkreten Handlungssinn.[8] Dies kann der Fall sein beim Hervorrufen oder Ausnutzen eines graduellen Tatbestandsirrtums, bei dem der Vordermann zwar die tatbestandliche Relevanz, nicht aber die Intensität der Tatbestandsverwirklichung erfasst.

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X erteilt Mitarbeiter Y die Anweisung, eine bestimmte Flüssigkeit in einem Fluss zu entsorgen und erklärt, dass die Menge nur in vergleichsweise geringem Umfang toxisch sei, tatsächlich handelt es sich um eine hochtoxische Substanz. - Strafbarkeit des X nach §§ 326 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB? Obwohl der Irrtum über die Intensität der Rechtsgutsverletzung zu einem Ungleichgewicht zwischen Vorder- und Hintermann führt, kann dem Hintermann keine Tatherrschaft zugeschrieben werden, da der Vordermann die tatbestandliche Dimension seines Verhaltens erfasst und volldeliktisch handelt. Überdies dürfte es kaum möglich sein, zwischen erheblichen und unerheblichen Unrechtssteigerungen in einer dem Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB genügenden Weise zu differenzieren.[9] Anderes mag gelten, wenn ein Irrtum über das Vorliegen eines Qualifikationsmerkmals hervorgerufen oder ausgenutzt wird, da die Tatherrschaft des Hintermannes hier normativ begründet werden kann und jedenfalls im Hinblick auf die tatbestandlich vertypte Qualifikation das Verantwortungsprinzip nicht gilt.[10]

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      Teilweise wird bei Ausübung eines unterhalb der Schwelle des § 35 StGB liegenden Zwanges mittelbare Täterschaft angenommen.[11]

      Beispiel:

      GmbH-Geschäftsführer X drängt den zunächst widerstrebenden Mitarbeiter Y dazu, eine toxische Substanz in einem Fluss zu entsorgen, indem er ihm mit Kündigung droht. - Y ist weder nach § 34 StGB gerechtfertigt noch nach § 35 StGB entschuldigt, da sub specie § 34 StGB das geschützte das beeinträchtigte Interesse nicht wesentlich überwiegt bzw. die Entsorgung ein unangemessenes Mittel der Gefahrabwendung darstellt; sub specie § 35 StGB ist schon kein notstandsfähiges Rechtsgut betroffen. Hier scheidet nach h.M. eine mittelbare Täterschaft aus, da der Hintermann trotz der manifesten oder latenten Nötigung keine Tatherrschaft innehat und die Nötigung unterhalb der Schwelle des § 35 StGB liegt, womit das Verantwortungsprinzip in vollem Maße zur Geltung gelangt.[12] Aus dem Kreis der abschließend in § 35 StGB aufgeführten Rechtsgüter ist abzuleiten, dass der Genötigte einem solchen Nötigungszwang standzuhalten hat, da anderenfalls das Verantwortlichkeitsprinzip verabschiedet wäre.

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      Geht es um die Begehung von Straftaten in Unternehmenszusammenhängen, rückt die Fallgruppe des Ausnutzens organisatorischer Machtapparate ins Zentrum weiterer Überlegungen. Sie war von Roxin entwickelt worden,[13] um die strafrechtliche Verantwortlichkeit von „Schreibtischtätern“ des NS-Regimes adäquat zu erfassen, was insbesondere über die Anstiftung nicht möglich schien: Zwar sieht § 26 StGB für Anstifter und Haupttäter dieselbe Strafe vor, jedoch blendet der Rückgriff auf eine Teilnahmefigur aus, dass bei einer Tatausführung unter Ausnutzung organisatorischer Machtapparate nicht der Vorder-, sondern der Hintermann die Zentralfigur des Geschehens ist. Dazu passt der die Teilnahme beherrschende Akzessorietätsgedanke nicht, nach dem sich das Unrecht der Teilnahme aus dem