Markus Berndt

Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung


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besteht.[96] Nur bei Verletzung der ihnen obliegenden spezifischen Pflichten kommt eine Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt in Frage. Weil die insoweit maßgeblichen Straf- und Bußgeldtatbestände oftmals Sonder- und Pflichtdelikte darstellen, setzt eine täterschaftliche Haftung voraus, dass sich die Sondereigenschaft bzw. -pflicht über die § 14 StGB, § 9 OWiG auf den Betriebsbeauftragten transferieren lässt.[97] Insoweit wäre im Zweifel auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB bzw. § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG abzustellen, die aber gewisse Entscheidungsbefugnisse voraussetzen, an denen es dem Betriebsbeauftragten gerade fehlt (siehe Rn. 188 ff.).[98] Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass die institutionelle Ausgestaltung der Position des Betriebsbeauftragten nicht zwingend mit den Regelungsprinzipien des Gesellschaftsrechts im Einklang stehen muss.[99]

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      Auch insoweit kommt es darauf an, gerade die Grenzen der Handlungspflichten in das Zentrum der Verteidigung zu rücken, da die Voraussetzungen einer straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung durchaus hoch sind. Angesichts der ihnen zugewiesenen Funktionen ist insbesondere dem Versuch entgegenzutreten, Betriebsbeauftragten eine allgemeine Pflicht zur Unterbindung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufzuerlegen, die einer Geschäftsherrenhaftung gleichkäme. Ansatzpunkte für Verteidigungsstrategien bieten ferner die Grenzen der Transferierung von Pflichten nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB, § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG sowie gesellschaftsrechtliche Regelungsprinzipien.

      97

      Mit Blick auf die Art der Beteiligung gelten im Unterlassungsbereich die allgemeinen Grundsätze. Allerdings kann die Frage akut werden, ob das Nichteinschreiten einer Leitungsperson gegen Mitarbeiterstraftaten als Täterschaft oder Teilnahme anzusehen ist, sofern wegen der Natur des jeweiligen Tatbestandes als Sonder-, Pflicht- oder eigenhändiges Delikt die täterschaftliche Haftung nicht sowieso ausscheidet. An diesem Punkt ergibt sich eine Parallele zu der auch außerhalb des Unternehmensstrafrechts diskutierten Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme – genauer: Beihilfe – im Bereich der Unterlassungsdelikte.[100]

      98

      Teilweise werden von der im Bereich der Begehungsdelikte vertretenen Grundkonzeption abweichende Positionen formuliert. Auf der Grundlage der Tatherrschaftslehre argumentiert man, der Unterlassende könne niemals die Tatherrschaft im Sinne eines vom Vorsatz umfassten In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs innehaben, weshalb er als Gehilfe zu bestrafen sei.[101] Ist einer solchen Auffassung entgegenzuhalten, dass kein direkter Zusammenhang zwischen Verhaltensmodalität und Tatherrschaft besteht,[102] überzeugt auch die auf dem Boden der Pflichtdeliktslehre entwickelte Gegenposition nicht, nach der der Garant stets als Täter zu bestrafen ist: Unterlassungsdelikte seien Pflichtdelikte, bei denen der Verstoß gegen die Erfolgsabwendungspflicht täterschaftsbegründend wirke.[103] Zwar werden hierdurch klare Abgrenzungen möglich, dies jedoch nur um den Preis, dass im Unterlassungsbereich jeglicher Unterschied zwischen den Beteiligungsformen eingeebnet wird.[104] Eine dritte Position differenziert nach der Art der Garantenstellung: Beschützergaranten seien Täter, Überwachergaranten seien Teilnehmer.[105] Abgesehen von den sich aufdrängenden Abgrenzungsproblemen – teilweise lassen sich die jeweiligen Garantenstellungen nur schwer voneinander abschichten bzw. es können mehrere Garantenstellungen gleichzeitig vorliegen – sind die Fragen nach der Art der Garantenstellung sowie der Art der Beteiligung auf verschiedenen Ebenen angesiedelt.[106]

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      Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, sich auf die allgemeinen Abgrenzungskriterien zurückziehen, was die Rechtsprechung veranlasst, die Abgrenzung subjektiv danach vorzunehmen, ob der Unterlassende mit Täter- oder Teilnehmerwillen untätig bleibt;[107] eine Abgrenzung, die im Bereich der Unterlassungsdelikte noch schwieriger als im Bereich der Begehungsdelikte zu treffen ist. Dementsprechend verwundert es nicht, wenn sie zusätzlich auf die Tatherrschaft bzw. den diesbezüglichen Willen als Kriterium für eine entsprechende subjektive Vorstellung abstellt. Die h.M. grenzt hingegen ebenso wie bei den Begehungsdelikten allein nach der Tatherrschaft ab, so dass es auf das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs ankommt.[108] Eine nur potentielle Tatherrschaft kann dabei nicht täterschaftsbegründend wirken,[109] denn die Tatherrschaft darf im Bereich der Unterlassungstaten nicht weniger aktuell sein als im Bereich der Begehungsdelikte. Sie ergibt sich insbesondere nicht schon aus der Möglichkeit des Eingreifens in einen Geschehensablauf, die für die Unterlassungshaftung ohnehin konstitutiv ist.[110] Es kommt vielmehr entsprechend allgemeinen Grundsätzen darauf an, ob der Unterlassende Zentral- und nicht nur bloße Randfigur des Geschehens ist. Dass der Geschäftsherr die Organisationsherrschaft über ein Unternehmen innehat, macht ihn nicht per se zur Zentralfigur für deliktisches Mitarbeiterhandeln, sondern die Tatherrschaft muss in Bezug auf den konkreten Rechtsverstoß des Mitarbeiters bestehen und einzeln begründbar sein. Derartige Gesichtspunkte sind aus Verteidigungssicht hervorzuheben.

      100

      Einen auf das Ordnungswidrigkeitenrecht bezogenen vertatbestandlichten Spezialfall der vertikalen Unterlassungshaftung regelt § 130 OWiG, bei dem es sich um einen eigenständigen Bußgeldtatbestand handelt (siehe auch Rn. 445 ff.).[111]

      101

      Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens die sie treffenden Aufgaben in eigener Person oftmals nicht vollständig erfüllen können und sie daher im Wege der Delegation auf Mitarbeiter übertragen (siehe Rn. 74 ff.).[112] Wenn Mitarbeiter in einem solchen Fall eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen, ist angesichts des Auseinanderklaffens von Verantwortung (des Inhabers) und Verhalten (des Mitarbeiters) die Gefahr einer Sanktionslücke gegeben. Dies gilt gerade dann, wenn der Handelnde nicht zu dem in § 14 StGB, § 9 OWiG benannten Personenkreis zählt.[113]

      102

      In diese Lücke stößt das echte Unterlassungsdelikt des § 130 OWiG, da die Verhängung einer Geldbuße gegen den Inhaber möglich wird, wenn er die ordnungsgemäße Erfüllung ihn selbst treffender Pflichten durch Mitarbeiter nicht sicherstellt und es deshalb zu einer Zuwiderhandlung kommt.[114] Die Norm ist deswegen von besonderer praktischer Relevanz, weil der Nachweis einer vorsätzlichen Aktivbeteiligung der Unternehmensleitung an Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten kaum jemals gelingt.[115] Eine Sanktionierung ist aus Sicht der Kontrollinstanzen oftmals nur über das mit spezifischen Nachweisschwierigkeiten behaftete (fahrlässige) Unterlassungsdelikt möglich.[116]

      103

      § 130 OWiG zielt nicht unspezifisch auf die Gewährleistung genereller Normkonformität,[117] vielmehr geht es um die Verhinderung konkreter Gefahren für jene Rechtsgüter, die in den einzelnen Tatbeständen des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrechts geschützt werden.[118] Dieser Schutz soll über die Statuierung einer bereits im Vorfeld installierten Aufsichtspflicht erfolgen.[119] Im Hintergrund steht das Motiv, dass derjenige, der zur Erfüllung eigener Pflichten Dritte einsetzt, sich deren Zuwiderhandlungen entgegenhalten lassen muss, wenn er selbst nicht alles Erforderliche und Zumutbare unternimmt, um Rechtsverstöße zu vermeiden.[120] Sofern der Inhaber selbst Beteiligter der Straftat oder Ordnungswidrigkeit ist, erübrigt sich der Rückgriff auf die subsidiär geltende Vorschrift.[121]

      104

      Die besondere Relevanz der Vorschrift ergibt sich gerade im Zusammenspiel mit der Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG, da § 130 OWiG eine Anknüpfungstat im Sinne dieser Vorschrift bildet (siehe Rn. 303 ff., Rn. 318 ff.).