Markus Berndt

Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung


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      Täter können ausschließlich Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens sein; die Vorschrift stellt ein Sonderdelikt dar. Als Betrieb wird die technisch-organisatorische, als Unternehmen die rechtlich-wirtschaftliche Einheit verstanden, wobei der Gesetzgeber einschränkungslos beides erfassen wollte.[122] Ob ein Konzern, namentlich eine Obergesellschaft, in Bezug auf die Untergesellschaft oder den Unternehmensverbund im Ganzen Inhaber im Sinne des § 130 OWiG sein kann,[123] ist einstweilen nicht abschließend geklärt, im Ergebnis aber abzulehnen.[124] Zwar mag es nahe liegen, der innerhalb eines Konzerns erfolgenden Verlagerung von Sanktionsrisiken auf Tochtergesellschaften entgegenzuwirken,[125] jedoch ist insoweit auf die allgemeinen Haftungsgrundsätze namentlich der Unterlassungshaftung abzustellen.[126]

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      Für das Merkmal der Inhaberschaft kommt es darauf an, ob der Person die Erfüllung der unternehmensbezogenen Pflichten obliegt, während Aspekte wie Eigentümerstellung oder Kapitalbeteiligung irrelevant sind.[127] Die dem Inhaber als Normadressaten in dieser (nicht: privater)[128] Eigenschaft obliegenden Pflichten müssen auf Mitarbeiter übertragen worden sein, wobei das Spektrum denkbar weit ist: Erfasst werden Inhaber einer Fabrik, einer Wohnungsbaugesellschaft, einer Agentur, aber auch eines Krankenhauses sowie einer Arzt- oder Anwaltspraxis.[129] § 130 Abs. 2 OWiG stellt klar, dass auch öffentliche Unternehmen erfasst werden, da eine Schlechterstellung von Unternehmen der Privatwirtschaft verhindert werden soll. Die Unternehmensinhaberschaft ist ein besonderes persönliches Merkmal,[130] das unter den Voraussetzungen des § 9 OWiG auf Organe, Vertreter und Beauftragte übergewälzt wird, die damit zu tauglichen Tätern werden.

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      Angesichts des das Ordnungswidrigkeitenrecht beherrschenden Einheitstäterprinzips (§ 14 OWiG) entfällt eine Differenzierung nach Art der Beteiligung.

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      Während früher streitig war, auf welche Pflichten sich § 130 OWiG bezieht,[131] werden nunmehr neben den aus Sonderdelikten resultierenden Pflichten auch solche aus Allgemeindelikten wie §§ 222, 229 StGB erfasst, sofern sie im engen Zusammenhang mit der Führung des Unternehmens stehen.[132] Um Rechtsverstöße der Mitarbeiter zu unterbinden, hat der Inhaber die zur Vermeidung von Rechtsverstößen erforderlichen und zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Maßstab ist jene Sorgfalt, die von einem ordentlichen Angehörigen des jeweiligen Tätigkeitskreises erwartet werden kann.[133] Eine nicht abschließende Aufzählung denkbarer Aufsichtsmaßnahmen enthält § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG (vgl. „auch“), indem das Gesetz auf „die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen“ verweist. Sofern dies zur Vermeidung von Rechtsverstößen nicht ausreicht, muss der Inhaber weitere Maßnahmen ergreifen, deren Reichweite von den Umständen des Einzelfalles abhängt.[134] Anhaltspunkte sind etwa: Größe, Organisation und Betätigungsfeld des Unternehmens; Vielfalt und Bedeutung der zu beachtenden Vorschriften; unterschiedliche Überwachungsmöglichkeiten; Umfang und Grad der Gefahren.[135] Allerdings ist der Maßnahmenkatalog nicht unbegrenzt, da § 130 OWiG über die Merkmale der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit eine Restriktion vornimmt, die Ansatzpunkte für Verteidigungsstrategien bieten. Erforderlichkeit bedeutet, dass die Maßnahme objektiv geeignet sein muss, als mildestes Mittel unternehmensbezogene Verstöße zu verhindern.[136] Dementsprechend folgt aus der Vorschrift keine Pflicht zu einer „flächendeckenden Personalkontrolle“, sondern nur das Ergreifen solcher Maßnahmen, die eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Unterbleiben unternehmensbezogener Verfehlungen bieten.[137] Die weitere Einschränkung, nach der die Aufsichtsmaßnahmen zumutbar sein müssen, ergibt sich aus der in § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG enthaltenen Formulierung „die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“. Unzumutbar sind daher die Belohnung für Denunziantentum, die Bespitzelung oder lückenlose Überwachung von Mitarbeitern.[138]

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      Vorsatz und Fahrlässigkeit müssen sich auf die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes beziehen. Maßgeblicher Inhalt des Vorsatzes sowie Anknüpfungspunkt für die Fahrlässigkeit ist allein das Unterlassen der erforderlichen und zumutbaren Aufsichtsmaßnahmen, nicht aber die konkrete Zuwiderhandlung des Mitarbeiters.[139] Dies bedeutet insbesondere, dass der Vorsatz nicht die konkrete Zuwiderhandlung erfassen muss. Lediglich die betriebstypische Zuwiderhandlungsgefahr muss von Vorsatz und Fahrlässigkeit umfasst sein.[140]

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      Neben der Begehung einer gegen unternehmensbezogene Pflichten gerichteten sanktionsbedrohten Zuwiderhandlung (= Anknüpfungstat) setzt die Vorschrift voraus, dass die Anknüpfungstat durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre (= Zurechnungszusammenhang).

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      Die Anknüpfungstat stellt eine objektive Bedingung der Ahndung dar, die nicht von Vorsatz und Fahrlässigkeit des Inhabers erfasst sein muss.[141] Nicht jeder Rechtsverstoß reicht aus, vielmehr muss die Zuwiderhandlung spezifischer Ausdruck der Verletzung der dem Inhaber in dieser Eigenschaft obliegenden Aufsichtspflichten sein.[142] Der Bezugspunkt der Pflichten ist somit für Inhaber und Mitarbeiter identisch, nur dass die sich auf die Mitarbeiter beziehende Aufsichtspflicht des Inhabers für jenen eine Ausprägung in spezifische Handlungs- oder Unterlassungspflichten erfährt. Sofern der Unternehmensbezug des Pflichtverstoßes gegeben ist,[143] kommen als Anknüpfungstaten auch Zuwiderhandlungen außerhalb des räumlichen Bereichs des Unternehmens und sogar von Personen in Frage, die (wie Sachverständige)[144] lediglich in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Unternehmens handeln, ohne selbst Unternehmensangehörige zu sein.[145] Der Zuwiderhandelnde muss nicht einmal ermittelt werden, sofern nur eine unternehmensbezogene Zuwiderhandlung vorliegt.[146] Darüber hinaus erleichtert die Vorschrift die Ahndung insofern, als es nicht auf die Ahndbarkeit der Straftat oder Ordnungswidrigkeit in der Person des Handelnden ankommt. Es genügt, wenn das Verhalten seinem äußeren Ablauf nach eine Zuwiderhandlung darstellt.[147] Dies wird insbesondere dann relevant, wenn der unmittelbar Handelnde in eigener Person nicht die spezifische Tätereigenschaft (Sonderdelikt) oder Pflichtenstellung (Pflichtdelikte) innehat und daher nicht tatbestandsmäßig handelt.[148]

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      Weil die Haftung daran anknüpft, dass die Zuwiderhandlung „durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“, setzt der Gesetzgeber einen Zurechnungszusammenhang voraus, womit die Zuwiderhandlung gerade das Resultat der Verletzung der Aufsichtspflicht sein muss.[149] Über die Formulierung „oder wesentlich erschwert worden wäre“ hat an diesem Punkt die Risikoverringerungslehre im Gesetz Niederschlag gefunden.[150]

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      Rechtsfolge ist die Verhängung einer Geldbuße. Ausgangspunkt für die Bußgeldbemessung ist § 17 Abs. 1 OWiG, der einen allgemeinen Sanktionsrahmen von 5,00 € bis 1.000 € eröffnet, sofern nicht das Gesetz – wie in § 130 Abs. 3 OWiG – etwas anderes bestimmt. Dieser speziellere Bußgeldrahmen differenziert danach, ob die Anknüpfungstat eine Straftat (§ 130 Abs. 3 S. 1 OWiG: Geldbuße bis 1 Mio. €) oder eine Ordnungswidrigkeit ist (§ 130 Abs. 3 S. 3 OWiG: Geldbuße bis zum Höchstmaß der Geldbuße für die Anknüpfungstat). Über den in § 130 Abs. 3 S. 2 OWiG erfolgenden Verweis auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG verzehnfacht sich der Bußgeldrahmen. In Fällen, in denen die Anknüpfungstat sowohl eine Straftat als auch