Dirk Sauer

Absprachen im Strafprozess


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hat der Gesetzgeber in § 257c Abs. 1 Satz 2 explizit entschieden, § 244 Abs. 2 bleibe unangetastet, gleiches soll für die freie Beweiswürdigung nach § 261 gelten. Es ist also evident, dass das Gesetz keine Abstriche bei Wahrheitsfindung und freier Überzeugungsbildung des Gerichts macht. Eine Gesetzesauslegung, die behauptet, die Urteilsabsprache sei ohne solche Abstriche unmöglich,[13] ist also ihrerseits mit dem Gesetz schlicht nicht zu vereinbaren. Eine Behauptung wie diejenige, es handele sich bei § 244 Abs. 2 um ein „Lippenbekenntnis“[14] oder eine „Mogelpackung“[15] verkennt, dass es sich dabei nicht um irgendeine Äußerung irgendwelcher Politiker, sondern um eine gesetzliche Anordnung handelt. Es geht also nicht darum, ob irgendjemand sich glaubhaft oder nicht glaubhaft zu irgendetwas bekannt hat. Das Gesetz fordert vielmehr die strikte Einhaltung des Aufklärungsgrundsatzes ein, und dieser Forderung ist in einem Rechtsstaat schlicht und einfach nachzukommen. Wie die Forderung zu interpretieren ist, kann die Rechtsdogmatik herausarbeiten und die Rechtsprechung kann sich für eine bestimmte Gesetzesauslegung entscheiden. Das Gesetz aber schlicht und einfach so zu verstehen, als handele es sich um eine unverbindliche Meinungsäußerung, die unglaubwürdig und daher nicht ernst zu nehmen sei, verbietet sich für den Rechtsdogmatiker von selbst. Es fällt also nicht leicht, nachzuvollziehen, was mit solchen Äußerungen in der Literatur eigentlich bezweckt ist.[16]

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      Schließlich befremdet nach wie vor, dass der Bürger, von der Wissenschaft im Großen und Ganzen ausgehandelt, per Strafbefehl nach Aktenlage und ohne jede Hauptverhandlung schuldig gesprochen werden kann, und zwar in einer Form, die nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung dem Urteil gleich steht, dass aber dann, wenn auf der Basis einer Absprache ein ausführliches, inhaltsreiches und detailliertes Geständnis abgelegt wird, die Verurteilung in allen Fällen einen krassen Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung der Wahrheit darstellen soll. Früher konnte man diese Ungereimtheit vielleicht noch mit dem Hinweis rechtfertigen, das Strafbefehlsverfahren stelle eine ausdrückliche gesetzlich geregelte Ausnahme dar. Seit Aufnahme der Urteilsabsprache in die StPO besteht dieser Unterschied aber auch nicht mehr. Wer nach wie vor behauptet, der Gesetzgeber habe hier in völlig neuartiger, systemwidriger und letztlich inkonsistenter Weise die Quadratur des Kreises versucht, müsste Gleiches konsequenterweise auch für das Strafbefehlsverfahren behaupten und dessen Unanwendbarkeit ebenfalls propagieren (oder aber erklären, warum ersteres inakzeptabel, letzteres für die Feststellung mit dem Urteil aber akzeptabel ist).

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