Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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nicht zu unterlaufen:[776] Es ist Sache des Arztes nachzuweisen, dass die medizinische Indikation kaum eine andere Entscheidung zuließ, als sich dem Eingriff zu unterziehen. Dem kann der Patient dann aber noch mit dem substantiierten Bestreiten entgegentreten, er hätte sich auch bei Erteilung der gebotenen ärztlichen Informationen in einem echten Entscheidungskonflikt befunden, ob er sich dem Eingriff unterziehen wolle oder nicht.[777]

2. Hypothetische Einwilligung im Strafverfahren

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      Die Übernahme dieser im zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht entwickelten (und dort keineswegs unumstrittenen[778]) Rechtsfigur erfolgte ab 1995 in mehreren Entscheidungen des 4. und 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs.[779] Die hypothetische Einwilligung soll sogar dann zum Einsatz kommen können, wenn der Patient bewusst über den Operationszweck getäuscht wurde.[780] Umgekehrt bezieht sich dieses Einwilligungssurrogat – jedenfalls ohne weitergehende Aufklärung – nur auf eine lege artis vorgenommene Behandlung.[781] In der Literatur findet diese Rechtsprechung mit unterschiedlichen dogmatischen Konstruktionen durchaus Unterstützung.[782] Vereinfacht gesprochen werden die für die objektive Zurechnung auf Tatbestandsebene entwickelten Zurechnungskriterien (Pflichtwidrigkeitszusammenhang) auf die Ebene der Rechtswidrigkeit übertragen,[783] da – in den Worten Kühls[784]eine korrekte Aufklärung nichts gebracht hätte.

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      Der Eingemeindung dieser zivilrechtlichen Rechtsfigur in die strafrechtliche Entscheidungsfindung stehen beträchtliche Bedenken[785] entgegen:[786]

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      Sicherlich ist beim Fahrlässigkeitsdelikt als (tatbestandliches) Haftungskorrektiv anerkannt, dass die Zurechnung eines vom Täter herbeigeführten Erfolges dann entfällt, wenn dieser Erfolg auch bei Einhalten pflichtgemäßer Sorgfalt eingetreten wäre.[787] Diese Erwägung kann aber nicht einfach auf die hypothetische Annahme hinreichender Aufklärung übertragen werden: Ein durch Fehlen hinreichender Aufklärung bewirkter Ausschluss rechtfertigender Einwilligung stellt eben – anders als der tatbestandliche Sorgfaltsmangel beim Fahrlässigkeitsdelikt – keinen Umstand dar, der die generelle Unerlaubtheit eines vom Täter gesetzten Risikos berührt. Liegen die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht vor, so ändert dies ja nichts an der objektiven Erfolgszurechnung, da feststeht, dass der Arzt, der seinen Patienten ohne wirksame Einwilligung operierte, das Risiko für das geschützte Rechtsgut unerlaubt erhöht hat.[788] In der Formulierung Puppes:[789] Die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes bewirken den Erfolg nicht, sie heben das Unrecht des Erfolges auf. Die Beziehung zwischen den Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes und dem Taterfolg ist eben nicht kausaler, sondern wertender Natur.

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      Stuft man die hypothetische Einwilligung konstruktiv nicht als Rechtfertigungsgrund, sondern als Zurechnungsausschluss infolge rechtmäßigen Alternativverhaltens ein,[790] so liegt der Einwand auf der Hand, dass bei derartiger Berücksichtigung keineswegs nur das pflichtwidrige Verhalten des Täters durch sein fiktiv sorgfaltsgemäßes ersetzt würde: Dann wäre nämlich nur die fehlerhafte Aufklärung durch eine korrekt durchgeführte zu ersetzen. Zur Straflosigkeit kann man nur dann gelangen, wenn zusätzlich durch die Annahme einer zustimmenden Entscheidung des Patienten der zur Entscheidung stehende Sachverhalt dergestalt verändert wird, dass ein außerhalb des konkreten Tatgeschehens liegender Verlauf (Opfermitwirkung in Form der Zustimmung) hinzugedacht wird.[791]

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      Überdies ist die hypothetische Einwilligung im Zivilrecht in ein austariertes Geflecht von Darlegungs- und Beweislastregeln eingebettet.[792] So genügt es bspw. zur Rückverlagerung der Beweislast auf den Arzt im Falle eines nicht (mehr) ansprechbaren oder verstorbenen Patienten, dass in casu bei ihm ein echter Entscheidungskonflikt ernsthaft in Betracht kam. Dem Strafrichter hingegen wäre es verwehrt, möglicherweise überzogene Anforderungen an die tatsächlichen Anforderungen eines Zurechnungsausschlusses bzw. Rechtfertigungsgrundes im Wege einer Beweislastverteilung zu Lasten des ärztlichen Täters zu korrigieren, da dem der in-dubio-pro-reo-Grundsatz entgegenstünde. Hinzu kommen ohnehin nicht unerhebliche Beweisprobleme angesichts möglicher Attributionsfehler des als Zeugen zu befragenden Patienten, dessen Erinnerung an seine damalige Entscheidungssituation zumeist durch das Ergebnis des ärztlichen Eingriffes beeinflusst sein dürfte. Ohnehin erscheint eine nachträgliche Feststellung, wie sich ein Patient vor dem Eingriff entschieden hätte, schon deshalb kaum möglich, da niemand verlässlich sagen kann, wie er sich in einem Konflikt entschieden hätte, in dem er gar nicht gestanden hat.[793]

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      Letztlich könnte bei Akzeptanz der hypothetischen Einwilligung der Arzt – sogar ohne eine Grundaufklärung[794] – dem Patienten jedes von der medizinischen lex artis gedeckte Risiko aufzwingen.[795] Somit würden bei Akzeptanz der hypothetischen Einwilligung im Strafrecht letztlich paternalistische Vorstellungen (doctor knows best) durch Unterlaufen der Patientenautonomie befördert.[796] Auch wäre es befremdlich, wenn für den Arzt das strafrechtliche Haftungsrisiko bei einem Aufklärungsmangel erheblich größer als bei einem Behandlungsfehler wäre.[797] Der Arzt würde im Strafrecht – dort spielen ärztliche Kunstfehler infolge des erforderlichen Nachweises der Kausalität zwischen ärztlicher Pflichtverletzung und Verletzungseintritt eine relativ geringe Rolle – schärfer dazu angehalten, sorgfältig und vollständig aufzuklären als sorgfältig zu behandeln. Dies kann nicht im Interesse des Patienten liegen.[798]

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      Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der 2013 in das BGB eingefügten Vorschrift des § 630h Abs. 2 S. 2. Danach kann sich in Fällen, in denen die ärztliche Aufklärung nicht den Anforderungen des ebenfalls neu eingestellten § 630e BGB genügte, der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Bei dieser zivilrechtlichen Vorschrift, mit der die hypothetische Einwilligung, anschließend an die Zivilrechtsprechung, Anerkennung erfuhr, handelt es sich aber – wie bereits ihre amtliche Überschrift ergibt – lediglich um eine Beweislastregelung für das Zivilverfahren.[799]

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      Lehnt man die Anwendung der hypothetischen Einwilligung im Arztstrafrecht aus grundsätzlichen Erwägungen ab, so könnte hiermit die Gefahr verbunden sein, dass der Sanktionierungsbereich des Strafrechts denjenigen des Zivilrechts überschreitet: Der betroffene Arzt würde zwar zivilrechtlich von Haftung freigestellt, bliebe hingegen strafrechtlich verantwortlich.[800] Es müssen also andere Wege beschritten werden,[801] um die zivilgerichtlich weit ausdifferenzierte ärztliche Aufklärungslast im Strafrecht zurückzuschneiden.[802] Hierzu biete es sich an, die Grenzen gebotener ärztlicher Aufklärung im Strafrecht angemessen restriktiv zu bestimmen.[803] Hiermit knüpft man an die häufig vernachlässigte