Hugo Friedländer

Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band


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Vernehmung des Hauptangeklagten Maßloff gestaltete sich ungefähr folgendermaßen: Ich wiederhole, daß ich die von mir angegebenen Vorgänge in dem Lewyschen Keller genau gesehen und auch beobachtet habe, wie die drei Männer das Paket wegtrugen.

      Vors.: Wann hatten Sie etwas von dem Verschwinden des Ernst Winter erfahren?

      Angekl.: Am Dienstag, den 13. März. Ich war damals arbeitslos und fragte in der Gasanstalt wegen Arbeit nach. Währenddem kam ein Junge auf den Hof und sagte: Es sei ein Rumpf im Mönchssee gefunden worden, der jedenfalls der des vermißten Ernst Winter sei.

      Vors.: Wann haben Sie nun Ihre Wahrnehmungen gemacht, die Sie in der Voruntersuchung eidlich bekundet haben?

      Angekl.: An dem Sonntag vorher abends.

      Vors.: An diesem Tage war Winter verschwunden?

      Angekl.: Ja.

      Vors.: Was haben Sie nun an diesem Sonntag gemacht?

      Angekl.: Gegen 7 Uhr abends besuchte ich meinen Schwager Berg. Wir gingen dann zusammen in einen Gasthof, wo ich 3 bis 4 Glas Bier und auch einige Schnäpse trank; ich war aber vollständig nüchtern, als wir zurückgingen, um noch bei Berg Karten zu spielen. Hier trank ich noch einen Rum und ging dann gegen 10 Uhr abends weg. Als ich die Danziger Straße entlang ging, wollte ich eine Prise nehmen. Dabei fiel mir der Pfropfen des Schnupftabakfläschchens auf die Erde, und ich bückte mich, um ihn zu suchen. Währenddem kam ich mit dem Kopf einem Kellerfenster nahe und hörte dahinter ein Gemurmel. Auch sah ich einen Lichtschimmer durch die Ritze des verhängten Fensters scheinen. Das machte mich stutzig und aufmerksam.

      Vors.: Das war doch aber nichts Auffälliges? Solchen Lichtschimmer sieht man doch öfter?

      Angekl.: Es war doch aber schon nach 10 Uhr, auch war das mehr wie ein Gemurmel, es klang wie eine Art Geheul: Hoh! Hoh! Oh! Oh!

      Vors.: Angeklagter Maßloff, überlegen Sie sich genau, was Sie hier sagen. Sie haben sich früher wiederholt widersprochen bei der Erzählung dieser Sachen.

      Angekl.: Das ist keine Lüge, das ist die Wahrheit.

      Vors.: Sie haben in der Voruntersuchung vor dem Landrichter Dr. Zimmermann ausgesagt, Sie hätten bei Bergs nicht bloß einen Rum, sondern außerdem 3 Schnäpse getrunken. Es kommt sehr darauf an, ob Sie vielleicht an jenem Abend betrunken waren.

      Angekl.: Ich war vollständig nüchtern.

      Vors.: Weiter haben Sie in der Voruntersuchung ausdrücklich gesagt: Meine frühere Aussage, daß ich durch den Lichtschimmer auf die Vorgänge im Keller aufmerksam geworden sei, ist falsch.

      Angekl.: Jawohl, aber ich habe den Lichtschimmer deutlich gesehen.

      Vors.: Was haben Sie dann getan?

      Angekl.: Ich horchte am zweiten Fenster.

      Vors.: Haben Sie sich dabei niedergebeugt? Überlegen Sie sich das genau.

      Angekl.: Ich bin niedergekniet und habe mich auf die linke Hand gestützt. Dann brachte ich mein Ohr in die nächste Nähe des Fensters und hörte darauf ein dumpfes Gebabber aus dem Keller kommen. Vors.: Von dem angeblichen Geheul haben Sie bisher nie etwas gesagt.

      Angekl.: O ja doch. Ich habe gesagt: Es war so ein Gegurgel, als ob jemand Luft fehlte, weil er gewürgt wurde.

      Vors.: Können Sie uns genau den Zeitpunkt angeben, wann das gewesen ist?

      Angekl.: Jawohl, nach 10 Uhr. Ich hörte das Gegurgel dreimal.

      Vors.: Was dachten Sie sich nun?

      Angekl.: Ich dachte, daß ein Schlächter da unten etwas abschlachtet.

      Vors.: Worauf stützten Sie Ihre Hand? Überlegen Sie es sich, es ist das sehr wesentlich.

      Angekl.: Auf Steine.

      Vors.: Wie war das Fenster beschaffen?

      Angekl.: Zwischen den Fenstern und der Straße war ein Luftschacht.

      Vors.: Dann mußten Sie Ihre Hand also doch auf die Stäbe über diesem Luftschacht legen?

      Angekl.: So nahe war ich ja nicht am Fenster.

      Vors.: Wenn man wo horcht, so bringt man das Ohr doch möglichst nahe heran.

      Angekl.: Ich glaube auch, es war ein Eisengitter vor dem Fenster angebracht.

      Vors.: Es ist auffallend, daß Sie, trotzdem Sie in der Stadt ziemlich fremd waren, mit einem Male so neugierig horchten, was da hinter dem Kellerfenster vor sich ging.

      Angekl.: Ich mußte doch neugierig werden, als ich, während ich den Pfropfen suchte, plötzlich das Gebabber hörte. Ich sagte mir dann, daß ich doch noch genauer nachsehen müßte, was da eigentlich los wäre. Also war ich neugierig und ging um die Ecke herum an das Hinterhaus.

      Vors.: Nun kannten Sie aber als Fremder gar nicht die Anlage und Bauart der Häuser, auch nicht ihre Bewohner?

      Angekl.: Nein.

      Vors.: Es ist also auffallend, daß Sie mit dem Gedanken um die Ecke gegangen sein wollen, in dem Hinterhaus nachzusehen, ob Sie dort etwas erfahren könnten, während Sie doch keinen Schimmer hatten, wie tief das Haus eigentlich geht und wo das Hinterhaus herauskommen würde? Wie konnten Sie wissen, daß an diesem Hinterhaus eine Hintertür war? Das ist doch etwas ganz Auffallendes.

      Angekl.: Ich war doch schon einige Wochen in der Stadt.

      Vors.: Sie wußten also, daß die Häuser in der Danziger Straße Hintertore hatten?

      Angekl.: Das gerade nicht. Es fiel mir auch erst an der Ecke ein, als ich die Hinterfront der anderen Häuser sah.

      Vors.: Sie müssen doch also zugeben, daß es auffallend ist, wenn Sie als Fremder von hinten herum zu erfahren suchen, was Sie von vorn beobachtet haben wollen.

      Angeklagter schwieg.

      Vors.: Es ist doch auch auffallend, daß Sie als fremder Mensch, auf dem Nachhauseweg begriffen, lediglich aus Neugierde in eine finstere Hintergasse sich hineinwagten. Sie kannten die Örtlichkeit doch nicht?

      Angekl.: Nein, ich bin suchend an den Torwegen entlang gegangen. Am ersten Torweg war nichts zu hören, am zweiten oder dritten hörte ich dann plötzlich wieder solches Gespreche und ein paarmal auch wieder das Gegurgel.

      Der Angeklagte erzählte auf weiteres Befragen: Er habe an der Hinterfront in der Mauerstraße an einem Torwege wiederum Gespräche und dieselben gurgelnden Laute wie vorher gehört. Er bückte sich zur Erde und sah durch einen Spalt der Tür in einen Hof; hierbei sah er erst einen Mann und bald darauf noch zwei Männer mit Licht auf den Hof kommen. In einem der Männer habe er den alter Fleischermeister Lewy erkannt, während ihm die beiden anderen unbekannt waren. Die drei Leute zogen sich in den inneren Hofraum zurück. Er habe schließlich gesehen, daß drei Männer ein langes, schweres Paket in der Richtung nach der Synagoge zu trugen. Im weiteren Verlauf wurden Maßloff vom Vorsitzenden eine Anzahl Widersprüche vorgehalten.

      Frau Roß: Sie sei Sonntag, den 11. März, abends gegen 7 Uhr in der Lewyschen Wohnung gewesen. Sie habe dort verdächtige Geräusche und Winseln gehört. Außerdem habe sie ein Taschentuch mit E.W. gezeichnet in der Lewyschen Wohnung liegen sehen. In einem Laken, das sich bei der Lewyschen Wäsche befand, klebten schwarze Haare und Fleischfasern. Als sie Dienstag, den 13. März, zu Lewys kam, habe Frau Lewy gesagt: »Solch ein Mord! Solch ein Mord! Dem Mörder müßte jedes Glied einzeln gebrochen werden.« Am folgenden Tage sei sie wieder zu Frau Lewy gegangen und habe dieser gesagt: Sie könne ihr kein Dienstmädchen besorgen, weil der Mord in ihrer (der Lewyschen) Wohnung passiert sei. Darauf habe Frau Lewy erwidert: »Der Mord kommt, bei Gott, niemals heraus, denn die jüdische Gemeinde ist sehr reich.« Ferner erzählte Frau Roß auf Befragen des Vorsitzenden: Am 1. Osterfeiertage sei ein Knecht zu ihr gekommen, von dem sie aber, da er keine Papiere bei sich hatte, keinen Vermerk in ihr Buch machte. Dieser Knecht habe ihr erzählt, daß er am 11. März den Zug verpaßt habe; er sei nachts zur Stadt zurückgegangen, und dort habe er die Leute