Лев Толстой

Anna Karenina, 2. Band


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hatte treffen können. „Man muß sie kennen und lieben, wie ich sie geliebt habe, um diesen eigenen, lieblichen und seelischen Ausdruck bei ihr zu entdecken,“ dachte Wronskiy, obwohl nur er in diesem Gemälde den lieblichen, seelischen Ausdruck erkannte. Derselbe war aber so getreu, daß es ihm und anderen schien, als ob sie ihn schon längst gekannt hätten. „Wie lange habe ich mich nun schon geplagt, und nichts fertig gebracht,“ sprach er bezüglich seines eigenen Porträts, „und er hat sie nur angeschaut und gemalt! Das ist die Technik.“

      „Es wird noch kommen,“ tröstete ihn Golenischtscheff, nach dessen Auffassung Wronskiy Talent besaß und, was die Hauptsache war, auch die Bildung, die einen erhabneren Blick auf die Kunst verlieh. Die Überzeugung Golenischtscheffs von Wronskiys Talent wurde noch dadurch gestützt, daß Golenischtscheff Wronskiys Teilnahme und Lob für seine Arbeiten und seine Ideen brauchte, und so fühlte er, daß Lob und Unterstützung hier auf Gegenseitigkeit beruhten.

      In einem fremden Hause, und insbesondere in dem Palazzo bei Wronskiy war Michailoff ein abweisend anderer Mensch, als in seinem Atelier. Er war abstoßend höflich, gerade als fürchte er die Annäherung an Menschen, die er nicht achte. Er nannte Wronskiy Ew. Erlaucht und blieb niemals, ungeachtet der Einladungen Annas und Wronskiys, zum Essen da, kam auch nicht zu anderen Zeiten, als zu den Sitzungen. Anna war gegen ihn freundlicher, als gegen andere, und ihm dankbar für das Porträt. Wronskiy war mehr als nur höflich gegen ihn, und interessierte sich augenscheinlich für das Urteil des Künstlers über sein eigenes Gemälde. Golenischtscheff ließ keine Gelegenheit vorüber, Michailoff die wahren Begriffe über Kunst beizubringen, allein Michailoff blieb sich immer gleich in seiner Zurückhaltung gegen alle. Anna fühlte an seinem Blick, daß er sie gern betrachtete, doch er mied Gespräche mit ihr. Zu den Gesprächen Wronskiys über dessen Malerei schwieg er beharrlich, und er schwieg ebenso beharrlich, als man ihm das Bild Wronskiys zeigte; er fühlte sich auch offenbar belästigt von den Reden Golenischtscheffs und erwiderte diesem nichts.

      Im allgemeinen gefiel ihnen daher Michailoff mit seinem zurückhaltenden und unangenehmen, gleichsam feindseligen Verhalten sehr wenig, nachdem man ihn näher kennen gelernt hatte, und man war deshalb froh, daß als die Sitzungen beendet waren, in ihren Händen ein schönes Porträt zurückblieb, während er selbst sein Kommen einstellte.

      Golenischtscheff war es zuerst, der den Gedanken aussprach, den alle hatten, nämlich, daß Michailoff auf Wronskiy einfach neidisch sei.

      „Gesetzt, er beneidete ihn nicht, weil er Talent besitzt, ist es ihm doch verdrießlich, daß ein Hofmann und reicher Mann, noch dazu ein Graf, was schon alle beneiden, ohne besondere Mühe das Nämliche, wenn nicht noch Besseres, leistet, als er, der sein ganzes Leben dem geweiht hat. Die Hauptsache bleibt doch die Bildung, die jener nicht hat.“

      Wronskiy verteidigte Michailoff, doch auf dem Grunde seines Herzens glaubte er hieran, weil nach seiner Auffassung ein Mensch aus jener anderen, niedrigeren Welt Neid hegen mußte.

      Das Porträt Annas, ebenfalls in derselben Weise nach der Natur gemalt von ihm wie von Michailoff, hätte Wronskiy den Unterschied zeigen müssen, welcher zwischen ihm und jenem bestand, aber er gewahrte denselben nicht. Er hörte nach der Arbeit Michailoffs nur auf, sein Porträt von Anna weiter zu malen, indem er meinte, dies sei nunmehr überflüssig geworden. Sein Gemälde aus dem mittelalterlichen Leben hingegen setzte er fort, und er selbst, wie auch Golenischtscheff und namentlich Anna fanden, daß es sehr schön sei, weil es den berühmten Bildern viel ähnlicher werde, als das Bild Michailoffs.

      Dieser nun war, ungeachtet dessen, daß ihn die Porträtierung Annas sehr angezogen hatte, seinerseits noch froher als jene, als die Sitzungen zu Ende waren und er nicht mehr das Geschwätz Golenischtscheffs über Kunst anzuhören brauchte, und die Malerei Wronskiys vergessen durfte. Er wußte, daß es unmöglich war, Wronskiy zu verbieten, mit der Malerei Mutwillen zu treiben; er wußte, daß dieser ebenso wie alle anderen Dilettanten das volle Recht besaß, zu malen was ihm anstand – aber ihm war dies unangenehm. Es war eben unmöglich, einem Menschen zu untersagen, sich eine große Puppe aus Wachs zu machen und sie zu küssen. Aber wenn nun gar dieser Mensch mit der Puppe kam, und sich vor einem Verliebten hinsetzte und beginnen wollte, seine Puppe zu liebkosen, wie ein Verliebter die, welche er liebt, so mußte das dem Verliebten widerlich sein. Und dieses widerliche Gefühl empfand Michailoff beim Anblick der Malerei Wronskiys; es wurde ihm dabei komisch und ärgerlich, kläglich und grimmig zugleich zu Mut.

      Die Passion Wronskiys für die Malerei und das Mittelalter hielt nicht lange an. Wronskiy besaß doch soviel Geschmack für Malerei, daß er sein Bild nicht zu beenden vermochte und es blieb liegen. Voll Bestürzung war er inne geworden, daß die Mängel des Bildes, im Anfang weniger bemerkbar, überraschend wirkten, wenn er es fortsetzte. Es ging ihm, wie Golenischtscheff, der fühlte, daß es ihm auf das Reden nicht ankomme und sich beständig damit selbst täuschte, daß nur seine Idee noch nicht ausgereift sei, daß er sie erst austragen und Material sammeln wolle. Aber Golenischtscheff hatte dies verbittert gemacht und es marterte ihn; Wronskiy hingegen vermochte sich weder selbst zu täuschen noch zu peinigen oder gar über sich selbst verbittert zu werden; mit der ihm eigenen Charakterfestigkeit hörte er eben auf, ohne eine Erklärung oder Rechtfertigung, zu malen.

      Ohne diese Beschäftigung indessen erschien ihnen – sowohl ihm wie Anna, die sich über seine Ernüchterung verwunderte – das Leben nun so langweilig in der italienischen Stadt, wurde der Palazzo plötzlich so sichtlich alt und schmutzig, schauten die Flecken auf den Gardinen so unangenehm hervor, die Ritzen auf den Fußböden, die abgefallene Stuccatur an den Karnisen, wurde ihnen auch der ewige Golenischtscheff, der italienische Professor und ein deutscher Reisender nach und nach so langweilig, daß man dieses Leben ändern mußte. Man beschloß, nach Rußland auf das Land zu gehen. In Petersburg gedachte Wronskiy mit seinem Bruder eine Vermögensteilung vorzunehmen, während Anna ihren Sohn wiedersehen wollte. Den Sommer beabsichtigten sie auf dem großen Erbbesitz Wronskiys zu verleben.

      14

      Lewin war seit drei Monaten verheiratet. Er war glücklich, aber nicht ganz so wie er erwartet hatte. Auf jedem Schritte begegnete er der Enttäuschung in früheren Träumen, doch auch neuen, unerwarteten Reizen. Er war glücklich, sah aber, nachdem er ins Familienleben getreten war, auf jedem Schritte, daß dieses durchaus nicht so war, wie er es sich vorgestellt hatte. Auf jedem Schritte erfuhr er an sich, was ein Mensch fühlen mag, der sich an der glatten glücklichen Fahrt eines Nachens auf dem See ergötzt, nachdem er sich etwa selbst hineingesetzt hat. Er sah, daß er, indem er schon ruhig sitzen mußte und nicht schaukeln durfte, sich auch noch dessen bewußt sein mußte – ohne nur eine Minute zu vergessen, wohin er fahren wollte – daß unter seinen Füßen Wasser war und er rudern mußte, und daß dies den nicht daran gewohnten Händen mühsam wurde. Die Sache sah wohl sehr leicht aus, aber sie zu vollbringen – wenn es auch mit viel Freude verbunden war – blieb doch sehr schwierig.

      Als Junggeselle hatte er oft, auf das Eheleben mit seinen kleinlichen Sorgen, seinem Streit, seiner Eifersucht blickend, geringschätzig in seinem Innern gelächelt. In seinem künftigen Eheleben konnte nach seiner Überzeugung nicht nur nichts Ähnliches existieren, es sollten sogar alle äußerlichen Formen desselben, wie ihm dünkte, dem Leben der anderen in allem vollständig unähnlich sein. Plötzlich aber hatte sich anstatt dessen auch sein Leben mit seinem Weibe nicht nur nicht besonders gestaltet, sondern sich im Gegenteil, gerade aus all jenen kleinlichsten Kleinigkeiten zusammengesetzt, die er vordem so sehr verachtet hatte, die aber jetzt, gegen seinen Willen, eine ungewöhnliche und unabweisbare Bedeutung erhalten hatten. Lewin erkannte auch, daß die Regelung aller dieser Kleinigkeiten durchaus nicht so leicht war, als ihm früher geschienen hatte. Ungeachtet dessen, daß Lewin glaubte, die richtigsten Begriffe vom Eheleben zu besitzen, stellte er sich, wie alle Männer, das Familienleben unwillkürlich nur als eine Befriedigung seiner Liebe vor, der kein Hindernis mehr in den Weg treten durfte, und von welcher ihn keine kleinlichen Sorgen abziehen sollten. Er sollte nach seiner Auffassung seine Arbeit verrichten und von derselben ausruhen im Glück der Liebe. Sie sollte daher auch nur geliebt werden; allein er hatte dabei, wie alle Männer, vergessen, daß auch sie arbeiten müsse. Er wunderte sich, wie sie, die poetische, reizende Kity, nicht in den ersten Wochen, nein, schon in den ersten Tagen des Ehelebens bereits, denken, sich erinnern, sich sorgen konnte um Tischtücher, Möbel, Matratzen für die anreisenden Besuche,