Лев Толстой

Anna Karenina, 2. Band


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und Schmutz, die Unordnung überall, und dazu noch die eigentümliche gleichzeitig bemerkbare Eisenbahnhast, riefen in dem Lewinschen Ehepaar nach dem jungen Eheleben ein beklemmendes Gefühl hervor; besonders beklemmend dadurch, daß sich der scheinbare Eindruck, den das Gasthaus machte, in keiner Weise mit dem vereinbarte, was beide darin erwartete.

      Wie immer, so zeigte es sich auch jetzt, daß, nachdem sie die Frage, zu welchem Preise sie ein Zimmer zu haben wünschten beantwortet hatten, nicht ein einziges in gutem Zustande befindliches da war. Ein gutes Zimmer war von einem Eisenbahnrevisor besetzt, ein zweites von einem Moskauer Advokaten, ein drittes von der Fürstin Astaphjewa, die vom Dorfe gekommen war. Es blieb nur ein schmutziger Raum, neben dem man am Abend noch ein zweites freizumachen versprach.

      Voll Verdruß über sein Weib, da es so kam, wie er erwartet hatte, und namentlich, daß er im Augenblick der Ankunft, wo ihm das Herz von Bewegung ergriffen war bei dem Gedanken, wie es mit dem Bruder stehen möge, Sorge für sie zu tragen hatte, anstatt sofort zu dem Bruder eilen zu können, führte Lewin seine Frau in das ihnen zugewiesene Zimmer.

      „Geh, geh,“ sagte sie, ihn mit schüchternem, schuldbewußten Blick anschauend.

      Schweigend schritt er aus der Thür und traf hier mit Marja Nikolajewna zusammen, die von seiner Ankunft erfahren hatte, aber nicht wagte, bei ihm einzutreten. Sie sah noch geradeso aus, wie er sie in Moskau gesehen hatte, das nämliche wollene Kleid, Arme und Hals nackt, und das nämliche, gutmütig stumpfe, nur etwas voller gewordene, pockennarbige Gesicht.

      „Wie geht es? Was macht er? Wie?“

      „Sehr schlecht. Er steht gar nicht mehr auf. Er hat Euch schon erwartet. Er – Ihr seid mit Eurer Gattin gekommen?“

      Lewin verstand in der ersten Minute nicht, was sie in Verlegenheit setzte, doch klärte sie ihn sogleich auf.

      „Ich will gehen – nach der Küche,“ sagte sie; „der Herr wird sich freuen. Er hat schon gehört, und kennt die Dame, und entsinnt sich ihrer noch vom Auslande her.“

      Lewin verstand jetzt erst, daß sie seine Frau meine, wußte aber nicht, was er ihr antworten sollte.

      „Kommt, kommt!“ sagte er.

      Kaum hatte er sich jedoch zum Gehen angeschickt, als sich die Thür seines Zimmers öffnete und Kity herausblickte. Lewin errötete vor Scham und Ärger über sein Weib, das sich selbst und ihn in diese schwierige Situation gebracht hatte; Marja Nikolajewna errötete aber noch mehr. Sie drückte sich seitwärts, bis zum Weinen rot geworden und drehte die Zipfel ihres Tuches, die sie mit beiden Händen ergriffen hatte, in ihren roten Fingern, ohne zu wissen, was sie sagen oder anfangen sollte.

      Im ersten Moment sah Lewin den Ausdruck einer lebhaften Neugier in dem Blick, mit welchem Kity auf dieses für sie unbegreifliche, schreckliche Weib schaute, aber dies währte nur einen Augenblick.

      „Nun, wie ist es denn, wie ist es denn?“ wandte sie sich an ihren Gatten und an jene. „Was macht er?“ wandte sie sich an ihren Mann und dann an sie.

      „Man kann indessen auf dem Korridor nicht sprechen!“ sagte Lewin sich voll Verdruß nach einem Herrn umblickend, welcher dröhnenden Schrittes, als wäre er ganz allein hier, soeben den Korridor hinabging.

      „Nun, so kommt doch herein,“ sagte Kity, zu der sich emporrichtenden Marja Nikolajewna gewendet, fügte aber, als sie das erschreckte Gesicht ihres Mannes erblickte, sogleich hinzu, „oder geht, geht, und schickt nach mir,“ und wandte sich wieder in ihr Zimmer zurück.

      Lewin ging zu seinem Bruder. Er hatte durchaus nicht erwartet, was er bei dem Bruder sah und empfand. Er hatte erwartet, noch den nämlichen Zustand der Selbsttäuschung zu finden, welcher – er hatte dies gehört – bei Brustleidenden so häufig sein soll, und der ihn während des Besuchs seines Bruders im Herbst so betroffen gemacht hatte. Er hatte erwartet, die physischen Anzeichen des nahenden Todes noch ausgeprägter zu finden, eine größere Schwäche und größere Magerkeit, aber es zeigte sich fast noch immer der nämliche Zustand. Er hatte erwartet, selbst wieder jenes Gefühl des Schmerzes über den Verlust des geliebten Bruders und des Entsetzens vor dessen Tode zu empfinden, welches er damals gehabt hatte, nur in noch höherem Grade. Er hatte sich selbst darauf vorbereitet, aber er fand etwas ganz Anderes.

      In einem kleinen, unsauberen Zimmer, deren gemaltes Getäfel an den Wänden bespieen und hinter dessen dünner Zwischenwand Gespräch vernehmbar war, in einer von erstickendem Geruch verunreinigten Luft lag auf einem von der Wand abgerückten Bett ein vom Deckbett verhüllter menschlicher Körper. Ein Arm dieses Körpers lag oben auf der Bettdecke, und die große, wie eine Harke aussehende Hand dieses Armes hing auf unbegreifliche Weise an einer dünnen, langen, von Anfang bis zur Mitte gleichmäßig verlaufenden Spule fest. Der Kopf lag seitwärts gedreht auf dem Kissen. Lewin sah die schweißbedeckten, spärlichen Haare an den Schläfen und über der Stirn.

      „Es kann nicht sein, daß dieser entsetzliche Körper mein Bruder Nikolay ist,“ dachte Lewin. Doch er trat näher, erblickte das Gesicht und sein Zweifel war schon unmöglich geworden. Trotz der furchtbaren Veränderung dieser Züge, mußte Lewin doch erst noch diese lebhaften, sich auf den Eintretenden richtenden Augen, und diese leichte Bewegung des Mundes unter dem zusammenklebenden Schnurrbart erblicken, wollte er die furchtbare Wahrheit begreifen, daß dieser Totenkörper da sein lebender Bruder war.

      Die glänzenden Augen blickten ernst und vorwurfsvoll auf den eintretenden Bruder, und sogleich mit diesem Blicke entstand eine lebhafte Wechselbeziehung unter den Lebenden. Lewin fühlte sofort den Vorwurf in dem auf ihn gerichteten Blick, und Reue über sein eigenes Glück.

      Als Konstantin Nikolays Hand ergriff, lächelte dieser. Sein Lächeln war schwach, kaum merklich, und trotz dieses Lächelns schwand der strenge Ausdruck seiner Augen nicht.

      „Du hast wohl nicht erwartet, mich so zu finden,“ brachte er mit Anstrengung hervor.

      „Ja – nein“ – sprach Lewin, in seinen eigenen Worten irre werdend. „Warum konntest du nicht früher von dir wissen lassen, zur Zeit meiner Verheiratung? Ich habe überall Nachforschungen nach dir angestellt.“

      Es mußte gesprochen werden, damit man nicht schwieg, und er wußte doch nicht, was er sagen sollte, um so weniger, als sein Bruder nicht antwortete, sondern nur unverwandt schaute, und offenbar in den Sinn eines jeden Wortes eindringen wollte. Lewin teilte dem Bruder mit, daß auch seine Frau mit ihm gekommen sei. Nikolay drückte sein Vergnügen darüber aus, sagte aber, er fürchte, sie durch seinen Zustand zu erschrecken. Ein Schweigen trat ein. Plötzlich regte sich Nikolay und begann zu sprechen. Lewin erwartete etwas besonders Bedeutendes und Gewichtiges dem Ausdruck seines Gesichts nach, doch sprach Nikolay nur über seine Gesundheit. Er klagte den Doktor an, beklagte, daß er keinen berühmten Moskauer Arzt habe und Lewin erkannte, daß er noch immer Hoffnung hegte.

      Die erste Minute des Schweigens benutzend, erhob sich Lewin, im Wunsche, wenigstens für eine Minute von dem peinigenden Gefühl erlöst zu sein, und sagte, daß er gehen wolle, um seine Frau herzuführen.

      „Gut, ich will indessen anordnen, daß hier gesäubert wird. Es ist schmutzig hier und riecht übel, glaube ich. Mascha! Räume hier auf,“ sagte der Kranke mit Anstrengung, „und wenn du aufgeräumt hast, kannst du hinausgehen,“ fügte er hinzu, den Blick fragend auf den Bruder richtend.

      Lewin antwortete nichts. Als er auf den Korridor hinaustrat, blieb er stehen. Er hatte gesagt, daß er seine Frau herführen wolle, jetzt aber, als er sich Rechenschaft von jenem Gefühl gab, welches er empfunden hatte, beschloß er, im Gegenteil zu versuchen, sie zu überreden, daß sie nicht zu dem Kranken gehe. „Wozu sie peinigen, wie ich mich peinige?“ dachte er.

      „Nun? Was ist? Wie steht es?“ frug ihn Kity mit erschrecktem Gesicht.

      „Ach, es ist doch entsetzlich, entsetzlich. Warum bist du nur mitgekommen?“ sagte Lewin.

      Kity schwieg einige Sekunden, schüchtern und kläglich auf ihren Mann blickend; dann trat sie auf ihn zu und hing sich mit beiden Armen an seinen Ellbogen.

      „Mein Konstantin! führe mich zu ihm, es wird uns zu Zweien leichter werden. Führe du mich nur, führe mich, bitte, und komm,“ sagte sie, „begreife doch, daß es mir bei weitem