Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen III


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fragte der Scheik.

      »Jeder zehntausend!«

      »Allah! Das ist zu viel!«

      »Nein, sondern zu wenig!«

      »Das würde doch schlimmer als der Tod sein. Kein Mensch hält zehntausend Hiebe aus!«

      »Das soll er auch nicht! Und von den beiden, die sich an unseren Pferden vergriffen haben, bekommt jeder zwanzigtausend!«

      »Höre ich recht?«

      »Ja. Aber wenn es dir zu wenig ist, so will ich sagen – — dreißigtausend!«

      Er richtete sich halb auf, machte mit dem Arme die Bewegung des Schlagens und sank dann wieder nieder.

      »Allah beschütze ihn!« sagte der Scheik. »Er ist krank; er hat die Suchuna. Die Glut des heißen Fiebers fließt ihm durch die Adern!«

      Ich griff nach Halefs Hand, um nach dem Puls zu fühlen. Ja, er fieberte! Der Scheik fuhr fort:

      »Hoffentlich spricht er anders, wenn das Fieber vorüber ist. Die Diebe sollen die ihnen gebührenden Schläge bekommen; aber sie durch die Bastonnade langsam zu Tode zu martern, könnt ihr doch nicht wollen.«

      Ich durfte weder ja noch nein sagen, weil ich mich zu hüten hatte, Halef aufzuregen, benutzte aber diese Gelegenheit, eine mir nötig scheinende Vorbereitung zu treffen:

      »Das Urteil wird gefällig werden, wenn wir bei euch angekommen sind. Ihr habt doch wohl einen Tachtirwan[44] im Lager?«

      »Mehrere. Warum fragst du?«

      »Der beiden Verletzten wegen. Es würde unmenschlich sein, sie reiten zu lassen.«

      Da fiel der Scheik viel schneller, als ich erwartet hatte, ein:

      »Sie sollen im Tachtirwan nach dem Lager gebracht werden?«

      »Ja.«

      »Meinst du, daß ich einen Boten sende?«

      »Ja.«

      »Sogleich?«

      »Je eher desto besser. Wenn es möglich ist, so laß zwei Sänften kommen!«

      Ich hatte es mit einer dieser Sänften auf Halef abgesehen, welcher unmöglich in den Sattel konnte, wenn sein Zustand der jetzige blieb. Das wußte der Scheik nicht, und darum wunderte ich mich nicht über das Lob, welches er mir spendete:

      »Die Güte deines Herzens gedenkt sogar, den Feinden größere Erleichterung zu bieten, als eigentlich nötig ist. Ein Tachtirwan genügte wohl für beide, doch da es dein Wille ist, so will ich nach zweien schicken, und zwar sogleich.«

      Er gab einem seiner Leute den betreffenden Befehl, worauf dieser Mann zu seinem Pferde ging und von dannen ritt.

      »Ich sprach von deiner Güte, nicht von der meinigen,« knüpfte der Scheik das unterbrochene Gespräch wieder an. »Und doch hätte ich auch von dieser letzten reden können. Weißt du, zu welchem Stamm diese Leute gehören, welche euch bestohlen haben?«

      »Nein.«

      »Sie sind Dschamikun. Allah verdamme sie in die tiefste Hölle hinab!«

      »Sind die Dschamikun Feinde deines Stammes?«

      »Nicht nur Feinde, sondern Todfeinde! Es ist Blut, unaufhörlich Blut geflossen zwischen uns und ihnen, seit man die Namen dieser beiden Stämme kennt. Erst kürzlich wieder ist an uns ein Verbrechen begangen worden, welches zu Allahs höchstem Himmel schreit. Ich will dir nicht jetzt davon erzählen. Du wirst davon hören, wenn wir heimkommen. Wenn ich solche Leute im Tachtirwan transportieren lasse, um ihnen Schmerzen zu ersparen, so ist das eine Güte, welche sich recht wohl mit der deinen messen kann! Vielleicht darf ich in dieser Angelegenheit auf deinen Rat, wohl gar auf deine Hilfe rechnen.«

      »Wenn wir dir in irgend einer Weise von Nutzen sein können, so werden wir natürlich sehr gern thun, was wir vermögen. Warum aber willst du mit deiner Mitteilung warten, bis wir uns morgen in eurem Lager befinden?«

      »Weil du jetzt wahrscheinlich schlafen willst.«

      »Ich pflege nicht gern etwas aufzuschieben. Was man sogleich erfahren kann, soll man nicht bis später warten lassen.«

      »Das ist die Energie, die jedem Krieger wohl geziemt. Ich bin in dieser Beziehung ganz so wie du gesinnt. Darum sollst du schon jetzt hören, was ich dir erst morgen sagen wollte. Wirst du mir glauben, wenn ich dir noch einmal und ganz bestimmt versichere, daß die Dschamikun sich auf den Raub und Diebstahl verlegen?«

      »Ich muß es ja glauben, weil sie es persönlich an uns bewiesen haben.«

      »Nicht nur an euch, sondern auch an uns. Sie haben uns erst kürzlich wieder im tiefsten Frieden überfallen und einen großen Teil unserer Herden weggeführt. Ich war mit den meisten meiner Krieger abwesend, um mit einem befreundeten Stamme ein Fest zu feiern, zu dem uns dieser geladen hatte. Das war von den Dschamikun beobachtet worden, und darum gelang ihnen der Raub. Sie haben dabei fünf unserer Wächter getötet. Nun kennst du unsere Pflicht?«

      »Sie lautet nach euren Gesetzen: Blut um Blut!«

      »Ja, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Leben um Leben, Blut um Blut! Auch wollen wir unsere Herden wieder haben. Du wirst es also begreiflich finden, daß wir einen Zug der Vergeltung gegen sie beschlossen haben?«

      »Ich halte das nach euern Gesetzen für ganz selbstverständlich. Wann soll er unternommen werden?«

      »Wir wollten schon morgen früh aufbrechen.«

      »Ah! Das ist nun wohl nicht möglich?«

      »Nein. Die Gastfreundschaft steht selbst über der Pflicht der Rache. Wir haben euch eingeladen, zu uns zu kommen, und wir müssen euch also zeigen, daß wir stolz darauf sind, euch bei uns haben zu können. Die Dinarun haben die Gastlichkeit niemals verletzt, sondern sie stets höher gehalten, als dies von den anderen in dieser Gegend wohnenden Stämmen geschieht. Ich hoffe, daß ihr uns die Ehre erweist, euch in jeder Beziehung als unsere Gäste betrachten zu dürfen. Welche Antwort giebst du mir?«

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      Fußnoten

      1

      Landeplatz.

      2

      Siehe: Karl May »Auf fremden Pfaden« pag. 261.

      3

      Kaffeehaus.

      4

      Schwein.

      5

      Tabak.

      6

      Kohlenbecken.

      7

      Der Kaffee ist sehr schlecht.