Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen IV


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Genannte erteilte Tifl einige Weisungen in Beziehung auf den vierten Perser; dann begaben wir uns hinauf in die Wohnung des Ustad. Er führte uns nicht in die Balkonstube, sondern, nachdem er ein Licht angezündet hatte, in eine kleine, fensterlose Kammer, welche, wie es schien, für weggesetzte, unbrauchbar gewordene Gegenstände bestimmt war. Da hingen alle meine Sachen. Außer ihnen war nichts zu sehen als ein alter Kasten, dem man es ansah, daß er von Ur-Urgroßvaters Zeit herstammte. Indem der Ustad auf dieses Gerätstück zeigte, sagte er uns folgende, mir damals unverständliche Worte, die ich aber bald darauf sehr wohl begriffen habe:

      »Wenn der Mensch wüßte, wie sehr ihm solche alte, anererbte Sachen schaden, die er in falscher Pietät mit sich durchs Leben schleppt! Für solche »erbliche Belastung« ist die »Rumpelkammer« noch viel zu gut! In solchen alten Gegenständen steckt ein ganzes Heer von geistig überkommenen Motten, Bohr- und Rüsselwürmern, welche, wenn man den Kasten öffnet, herausgekrochen und herausgeflogen kommen, um alles, was da Lebenswert besitzt, in zerfressenes Gerümpel und zernagte Lumpen zu verwandeln. Für solche Mottengeister giebt es nichts Heiliges, nichts unantastbar Hohes. Sie zerstören den königlichen Purpurmantel mit derselben Sicherheit, mit welcher sie den Hermelin der Wissenschaft zum kahlen Felle machen. Sie suchen das geistliche Gewand des Emir el Muminin[8] ebenso heim, wie sie sich in der Filzmütze der tanzenden oder heulenden Derwische eingenistet haben. Sie sitzen im Kaftan des Näbi[9], im Turban des Sahibi Scheriat[10] und in den Pantoffeln aller derer, die im Schatten solcher Vorschrift wandeln. Ganz außerordentliche Anziehungskraft aber hat auf sie das Papier, besonders das aus Lumpen fabrizierte. Man behauptet zwar, daß der Geruch der Druckerschwärze sie vertreibe, doch fand ich oft auch Druckpapier, aus welchem, wenn ich es zum Lesen auseinanderschlug, gleich eine ganze Wolke mich umnachten wollte!«

      »Du sprichst in Rätseln,« sagte der Pedehr.

      »Wohl dir, daß es für dich Rätsel, aber keine Erfahrungen sind! Du hast es glücklicherweise wohl nur mit materiellen, nicht aber mit solchen geistigen Schädlingen zu thun gehabt, welche es trotz ihrer Mottenarmseligkeit wagen, sich selbst allein für nützlich zu halten, jeden edlen, freien Geist aber zum Ungeziefer zu rechnen! Und an diese Verdrehung der wirklichen Verhältnisse glaubt der ganze, ganze Pelz, in dem die Motten sitzen!«

      Sich hierauf mir zuwendend, sprach er weiter:

      »Aus diesem Kasten war das Gedeck, von welchem du oben im Walde gespeist hast. Das wurde von dir vielleicht für eine besondere Ehrung gehalten; aber es war etwas anderes. Es ist mein Leichengedeck. Ich ließ es dir zu deinem eigenen Todesmahle vorlegen. So dachte ich! Vielleicht ist es durch dich mein Auferstehungsmahl geworden, zu welchem ich dich, ohne es zu ahnen, eingeladen habe. Und schau hierher! Da hängen deine Gewehre und alle deine Sachen. Warum ? Ich habe dich für gleich mit mir, für meinen geistigen Doppelgänger gehalten. Ich glaubte, du seist ganz denselben Weg gewandelt, den auch ich gegangen bin, und lebest jetzt in deiner »Hosiannazeit«. Ich sah für dich die Zeit kommen, in der du hinaufgeschleppt wirst nach Golgatha, wo die Kriegsknechte sich in dein Gewand und in deine Waffen teilen. Darum trug ich sie herauf und in diese meine Rumpelkammer, um dich zu bitten, ihnen hier freiwillig zu entsagen. Vor solchen Feinden ist‘s um jede Waffe schade! Tritt völlig ungerüstet vor sie hin! Des Geistes Harnisch ist zwar unsichtbar, doch keine Motte und kein Rüsselwurm wird sich an ihn wagen! Dies Ungeziefer sucht sich nur an solchem Kram zu ätzen, der wohl auch ohne Mottenfraß von keiner Dauer wäre. – — – So dachte ich! Doch als ich zu dir kam, hinauf in meine »Gruft«, damit du dich in mir erkennen möchtest, da hörte ich aus deinem Munde Worte, die mir aus jener Welt herüberklangen, in welche ich mich gern mit dir hinüberretten wollte. Bist du vielleicht schon drüben? Hast du den Weg, den unbeschreiblich schweren, auch ohne mich gesehen und erkannt? Hast du nichts von der Menschenfurcht und feigen Scheu gewußt, die einst mich zwang, vor ihm zurückzubeben? Du sprachst so fest, so sicher, so bewußt, als hättest du schon längst erreicht, was ich erreichen wollte und dann doch fallen ließ. Sag mir auch jetzt ein festes, sicheres Wort! Du wirst wohl meine Frage kaum verstehen, doch krallt sich ihre Faust so tief in dich hinein, daß du vor Schmerzen dich zu winden hättest, wenn du in Wirklichkeit mein Doppelgänger wärest.«

      Er stand hochaufgerichtet vor mir, das Licht in der Hand, und sah mir mit tief ernstem, forschendem Blicke in die Augen. So, ungefähr so muß das Gericht dem Menschen in die Augen schauen, wenn es einst von ihm sein früheres Leben fordert.

      »Sprich deine Frage aus!« sagte ich.

      »Du wirst erschrecken!« rief er aus.

      »Versuche es!«

      Wir standen Mann gegen Mann einander gegenüber. Oder war es Seele gegen Seele, Geist gegen Geist?

      »Du bist Old Shatterhand?« fragte er. »Ich habe diesen Namen von meinem Freunde Dschafar gehört.«

      »Ich war es,« antwortete ich ruhig aber bestimmt.

      Er machte, als er hörte, daß ich sein Präsens in das Imperfectum verwandelte, eine Bewegung der Ueberraschung. Dann fuhr er fort:

      »Du bist Kara Ben Nemsi Effendi?«

      »Ich war es,« erwiderte ich abermals.

      »Bist es nicht mehr? Beides nicht mehr?«

      Bei diesen Worten leuchteten mir seine Augen vor erwartungsvoller Erregung förmlich entgegen.

      »Beides nicht mehr!« nickte ich.

      »Seit wann? Sage es mir!«

      »Seit diese beiden Namen das geleistet haben, was sie leisten sollten und leisten mußten! In diesen zwei Namen habe ich denen, die es lösen wollen, ein Rätsel aufgegeben, aus dessen Thür das von seinen psychologischen Fesseln befreite Menschheits-Ich wie ein im Freudenglanze strahlender Jüngling hervorzutreten hat. Dieses so viel verachtete und so grimmig angefeindete »Ich« in meinen Büchern hat allen denen, welche Ohren haben, von einer neuen, ungeahnten Welt zu erzählen, in welcher Leib, Geist und Seele nicht ineinander gekästelt und ineinander geschachtelt sind, sondern Hand in Hand nebeneinander stehen und miteinander wirken. Dieses so oft verspottete und so leidenschaftlich verhöhnte »Ich« in meinen Werken war nicht die ruhmeslüsterne Erfindung eines wahnwitzigen Ego-Erzählers, welcher »unglaubliche Indianer- und Beduinengeschichten« schrieb, um sich von den Unmündigen und Unverständigen beweihräuchern zu lassen, sondern unglaublich, über alle Maßen unglaublich ist nur die Blindheit derer gewesen, die einen solchen Wahnsinn für möglich hielten, weil sie sich in den ihnen sehr erwünschten Irrtum hineinlogen, daß diese meine Bücher nur zur vagen Unterhaltung der unerwachsenen Jugend, nicht aber ganz im Gegenteile für die geistigen Augen klar und ruhig denkender Leser geschrieben seien. Diesem so kraftvollen und selbstbewußten »Ich« ist es nicht eingefallen, in den Gassen des geistigen Unvermögens bettelnd an die Thüren zu klopfen, denn von dieser geistigen Armut leben ja grad diejenigen »Ichs«, welche die Lösung meines Rätsels zu fürchten haben. Dieses mein »Ich« vermied ganz im Gegenteile alle Straßen und Häuserreihen menschenwimmelnder Städte und ging hinaus in alle Welt – — —«

      Da unterbrach mich der Ustad, indem er meinen Arm ergriff und im Tone größter Ueberraschung ausrief:

      »Hinaus in alle Welt, um aller Welt zu sagen, daß alle Welt ihr »Ich« verloren habe? Effendi, Effendi, was höre ich aus diesem deinem Munde! Wer hätte das gedacht! Auch ich war ein »Ich«-Erzähler. Auch ich sandte meine Gedanken hinaus in alle Welt, um – — – doch nein; davon später! Ich kannte dich nicht. Ich ahnte nur von dir. Es war, als ob ich einem innern Befehle folgen müsse. Und nun sind wir einander gleich, so gleich, so außerordentlich gleich! Wirklich? Wenn in allem, so doch in einem nicht! Ich bin ja noch nicht fertig, dich zu fragen! Mache dich bereit, jetzt die Hauptfrage zu hören! Sie ist fast unglaublich! Soll ich sprechen?«

      »Ja!«

      »Hier hängt das Eigentum von Kara Ben Nemsi. Willst du mir das alles schenken? So schenken, daß ich es behalten kann? Es ist dann nicht mehr dein. Du bekommst es nie im Leben wieder in die Hände. Es bleibt für alle Zeit in dieser Rumpelkammer, und keinem Menschen wird es je gezeigt!«

      Was