Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen IV


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zu künstlichen Mitteln. Ich sagte das ganze große und kleine Einmaleins rück- und vorwärts her, rezitierte in Gedanken Schillers Glocke und noch andere Gedichte, doch alles war vergebens. Dann stand ich wieder auf, zog mich an und schaute nach der Sonne. Es war seit dem Essen kaum eine Stunde vergangen. Was nun thun? In den Werken des Ustad lesen? Seine Zeitungen verbrennen? Ja. Aber da fiel mir ein, daß es doch meine Pflicht sei, einmal nach dem kranken Scheik der Kalhuran zu sehen. Das konnte sofort geschehen. Ich ging also hinab.

      In der Halle saßen Hanneh und Schakara noch beisammen. Das Serir[20] aber war fortgetragen worden.

      »Es ist mir heut unmöglich, einzuschlafen,« sagte ich. »Darum kann ich mein Versprechen leider nicht halten. Hoffentlich bin ich heut abend müde.«

      Da sahen sie einander an. Schakara blieb ernst. Hanneh aber lachte am ganzen Gesicht und sagte:

      »Du kannst nicht einschlafen, Sihdi? Was hast du denn da während der ganzen, langen Zeit getrieben?«

      »In welcher Zeit?« fragte ich belehrend. »Es ist ja höchstens eine Stunde!«

      »Eine Stunde? So weißt du also wirklich nicht, daß du einen ganzen Tag geschlafen hast?«

      Tableau, wie man im Abendlande sagt! Aber zum Scheik der Kalhuran ging ich nun erst recht, aber natürlich erst, nachdem ich wieder für zwei Mann hatte essen müssen. Der neue Herr des hohen Hauses trat sein Amt, wie es schien, mit vieler Würde an! Der Scheik befand sich in der besten Pflege. Er hoffte, schon in der kürzesten Zeit wieder aufzukönnen. Den Bluträcher erwähnte er nur ein einziges Mal, aber in einer Weise, die mehr als Worte sagte.

      Hierauf wollte ich nach den Pferden sehen. Ich hatte nicht weit zu gehen. Barkh und Assil Ben Rih standen im Hofe. Kara sattelte sie, um sie auszureiten. Mit seinem Ghalib hatte er schon am Vormittage eine Uebungstour gemacht.

      »Sihdi, wenn du nur wieder in den Sattel könntest,« sagte er. »Schau nur, wie dich dein Assil bittet!«

      Der Rappe machte es allerdings sehr deutlich. Er tänzelte auf allen Vieren und schob sich dabei, ich mochte stehen wie ich wollte, so an mir vor, daß ich den Bügel in die Hand bekam. Das war drollig und rührend zugleich. Um dem Pferde eine, wenn auch nur kurze, Freude zu machen, hob ich den Fuß, setzte ihn auf und schwang mich in den Sitz. Ich wollte nur einen langsamen Gang durch den Hof, weiter nichts. Kaum aber saß ich oben, so war ich schon zum Tore hinaus, und ehe ich mich vorgebeugt und den herabhängenden Zügel aufgenommen hatte, war schon beinahe das Duar erreicht. Dabei fühlte ich weder Schmerzen noch sonst etwas, was mich hätte veranlassen können, abzusteigen. Es war mir sogar möglich, es zu einer Art von Schenkeldruck zu bringen. Ich saß ganz leidlich fest und wankte nicht. Kara hatte mich rasch eingeholt. Er freute sich wie ein König über den Streich, den mir das Pferd gespielt hatte.

      »Der macht kurzen Prozeß mit dir, Sihdi!« lachte er. »Wie weit wirst du es wohl wagen können?«

      »Wollen sehen,« antwortete ich. »Aber nur Schritt. Ich fühle mich ganz wohl; ja, es ist sogar, als ob im Sattel noch alte Kraft von mir aufgespart sei, die mir nun zugute komme. Sonderbar!«

      Wir ritten langsam durch das Dorf. Die Leute kamen aus den Zelten, Hütten und Häusern, grüßten froh und waren baß verwundert, ihren Patienten so plötzlich schon zu Pferde zu sehen. Dann ging es am Seeufer hin, nach Osten zu. Ein Viertelstündchen hielt ich es aus. Dann wurde ich müde und sagte Kara, daß ich absteigen und ruhen müsse.

      »Dann gleich hier,« antwortete er, nach dem Ufer deutend. »Das ist die Stelle, welche der Pedehr dir zeigen sollte.«

      »Woher weißt du das?«

      »Er hat es mir gesagt, als ich gestern hier an ihm vorüberritt.«

      Das war mir interessant. Also der Ort, wo die Sillan ihre Pferde zu tränken pflegten! Wir ließen die unseren an das Wasser gehen, und ich legte mich lang in das Gras. Da begann Kara Ben Halef:

      »Sihdi, bist du sehr müde? Oder darf ich von einer Sache zu dir reden, die mir sehr wichtig erscheint? So wichtig, daß ich es nur dir, keinem andern mitteilen kann?«

      »Sprich!«

      »Tifl lügt!«

      Er sagte nur diese beiden Worte; dann war er still.

      »So!«

      Ich sagte nur dieses eine Wort; dann war auch ich still. Nach einer Weile fuhr er fort:

      »Ja, er lügt! Und du weißt, daß ich die Lüge hasse und den Lügner verachte! Und doch muß ich mit diesem Menschen sprechen, denn ich bin Gast!«

      »Vielleicht irrst du dich,« warf ich ein. »Es ist ein großer Unterschied zwischen der absichtlichen Lüge, welche aus schlechten Gründen täuschen will, und einer Unwahrheit, die man mit gutem Gewissen verbreitet, weil man sie für Wahrheit hält.«

      »Das weiß ich gar wohl, Sihdi; aber ich habe geprüft. Tifl weiß ganz genau, daß er lügt. Auch ist es nicht bloß leichtsinnige Schwatzhaftigkeit von ihm, die sich auf gleichgültige Dinge bezieht, sondern es handelt sich um Angelegenheiten, welche von größter Wichtigkeit für uns sind. Ich meine nämlich Ahriman Mirza.«

      »Hat er diesen belogen?«

      »Nein, sondern dich – — – uns!«

      »Wieso?«

      »Du frugst ihn vorgestern vor dem Mordüberfalle, woher der Henker wohl wisse, wo deine Lagerstätte in der Halle sei. Er antwortete dir, er sei den Persern vorangeritten und habe gar nicht mit ihnen gesprochen. Aber Ahriman Mirza habe sich an die begleitenden Dschamikun gemacht und alles, was er wissen wollte, aus ihnen herausgelockt. Tifl behauptete sogar, daß er über diese unvorsichtige Schwätzerei sehr zornig gewesen sei. Besinnst du dich, Effendi?«

      »Ja. Ich erinnere mich noch jedes Wortes. Bezieht sich deine Behauptung etwa auf diese seine Angabe?«

      »Ja. Er hat gelogen, dir mit vollem Bewußtsein in das Gesicht gelogen! Ahriman Mirza hat während des ganzen Rittes nach der Grenze mit keinem andern Dschamiki auch nur ein einziges Wort gesprochen. Bedenke seinen Stolz! Aber er ist mit Tifl und dem Henker vorangeritten, Tifl zwischen ihnen, und diese drei haben sich sehr lebhaft, fast wie gute Freunde, unterhalten. Beim Scheiden haben der Mirza und Ghulam ihm sogar die Hand gereicht, um Abschied von ihm zu nehmen. Was sie erfuhren, konnte also nur aus seinem, aus keinem andern Munde stammen.«

      »Woher weißt du das, Kara?«

      »Von Einem, der es am besten wissen muß, nämlich von Tifl selbst. Das war gestern abend, als ich den Pferden zum letzten Male Wasser gegeben hatte. Ich wollte noch nicht schlafen und ging hinter, wo das Weideland aufhört und die Ruinen beginnen. Dort ragt ein großer Mauerstein aufrecht empor, und nur einige Schritte davon steht ein dichter Kyßylbusch[21], an welchem ich mich niedersetzte. Du wirst wohl noch nicht dort gewesen sein und die Stelle also nicht kennen.«

      »Ich kenne sie. Ich saß am Vormittage bei dem Steine und pflückte Veilchen bei dem Kyßylstrauch.«

      »So weißt du also, daß beide so nahe beieinander liegen, daß man am Kyßyl hören muß, was an dem Steine gesprochen wird. Ich war noch nicht lange dort, so kamen Pekala und Tifl. Sie setzten sich nieder, ohne zu ahnen, daß ich mich so nahe bei ihnen befand. Ich gab mir gar keine Mühe, mich zu verbergen, hatte aber auch keinen Grund, sie besonders auf mich aufmerksam zu machen. Sie brauchten nur einigermaßen aufmerksam zu sein, so mußten sie mich sehen; aber es gibt Menschen, denen die Unvorsichtigkeit so zur zweiten Natur geworden ist, daß sie gar nicht mehr wissen, was man unter Vorsicht zu verstehen hat. Diese sonderbare Mutter sprach mit ihrem noch sonderbareren Kinde zunächst über allerlei, was mir vollständig gleichgültig war. Darum stand ich schon im Begriffe, mich leise zu entfernen; da wurde dein Name genannt, und darum blieb ich sitzen. Was sie sagten, war keineswegs besonders klug zu nennen; sie wissen nicht so recht, was sie aus dir machen sollen; aber Pekala versicherte, daß sie dich in ihr Herz geschlossen habe, und Tifl meinte, man habe mit dir sehr freundlich und sehr höflich zu sein, weil man nicht wissen könne, was aus deiner Freundschaft mit dem Ustad entstehen werde. Bei ihm komme es vor allen Dingen darauf an, was du für ein Reiter seist, und da getraue