Karl May

Im Reiche des silbernen Löwen IV


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Liebe, die er sich erlaube. Und da er seinen Stall gern jedem Rennen öffnet, so ist es gar nicht ausgeschlossen, daß er sich morgen mit anmeldet, sobald er hört, daß hier bei uns gelaufen wird.«

      »Soll ich annehmen?«

      »Das ist deine Sache, Effendi. Ich sage weder ja noch nein. Ein Pferd, welches noch nie geschlagen wurde, ist ein gefährlicher Gegner. Um so ehrenvoller ist es dann aber auch, es besiegt zu haben. Es handelt sich da vor allen Dingen um den Preis, zu welchem er dich in die Höhe treiben würde.«

      »Weißt du vielleicht, ob der Scheik ul Islam in irgend einem persönlichen Verhältnisse zu Ahriman Mirza steht?«

      »Nein.«

      »Oder zu Ghulam el Multasim?«

      »Ja, die sind eng befreundet. Der Scheik ul Islam hat Ghulam sogar zu einem seiner Kasi[26] ernennen lassen und sieht ihn oft als Gast in seinem Hause.«

      »Das ist mir wichtig, außerordentlich wichtig! Doch jetzt zu etwas anderem: Ich ließ es bisher ruhen; nun ich aber an Stelle des Ustad stehe, ist es meine Pflicht, mich dieser Sache anzunehmen. Ich war nämlich beim Scheik der Kalhuran und freue mich, daß seine Genesung vorwärts schreitet. Er steht nicht unter Eurer Dschemma; aber du sagtest, daß sein Weib bestraft werden müsse, weil sie Blut vergossen hat.«

      »So ist es. Sobald er das Lager verläßt, haben wir über sie zu richten.«

      »Hättest du an ihrer Stelle anders gehandelt? Hättest du deinen Gatten vollends erschlagen lassen?«

      »Was ich getan hätte, kommt nicht in Betracht. Wir haben das Gesetz, und nach diesem ist zu verfahren.«

      »Also selbst bei Euch herrscht auch noch der Buchstabe, nicht der Geist des Gesetzes!«

      »Du irrst. Wir werden die allergeringste Strafe wählen.«

      »Aber doch Strafe! Ist es denn nicht möglich, daß sie freigesprochen wird?«

      »Nein.«

      »Wer hat das Recht der Begnadigung?«

      »Der Ustad. Du weißt, daß in Persien jeder Weli oder Beglerbeg die Macht über Leben und Tod, also auch das Begnadigungsrecht besitzt, und der Ustad ist der Weli unseres Bezirkes.«

      »Wer hat es jetzt, da er verreist ist?«

      »Sein Stellvertreter, also du.«

      »So bitte ich dich, zu dem Kalhuri zu gehen. Sage ihm, daß ich an Stelle seiner Frau gewiß auch Blut vergessen hätte. Ich halte sie also für ebenso unschuldig, wie mich und dich und gebe nicht zu, daß sie bestraft wird. Wer einen Menschen einer Tat wegen verdammt, zu der er unter Umständen selbst fähig gewesen wäre, der ist derselben Strafe wert. Gehe sogleich!«

      »Effendi, das ist eine frohe Botschaft. Ich eile, sie zu überbringen. Du hast hiermit die Herzen aller Dschamikun und Kalhuran gewonnen!«

      Nun ging ich nach meiner Wohnung um die Schlüssel zu derjenigen des Ustad zu holen. Es galt, mich für den morgigen Besuch so weit vorzubereiten, als es notwendig war, über alles Vorkommende genau unterrichtet zu sein. Ich fand eine Mappe, welche alle Schriftstücke enthielt, die sich auf die Abtretung des Gebiets, auf die Verwaltung desselben und auf die Rechte und Pflichten der Dschamikun bezogen. Der Ustad hatte überhaupt dafür gesorgt, daß ich mich sehr leicht zu orientieren vermochte. Es gab überall beschriebene Zettel, welche den betreffenden Inhalt anzeigten, und so fand ich auch ohne langes Suchen das wertvollste aller Dokumente, bei welchem die Notiz lag: Noch nie gebraucht und noch keinem Menschen gezeigt, doch unbedenklich zu benutzen!

      Ich öffnete es mit Spannung und las es durch. Es enthielt Abmachungen, welche ohne alle Zeugen zwischen dem Schah und dem Ustad persönlich gepflogen worden waren, und sicherten dem Letzteren einen Schutz, wie ihn kein Weli oder Beglerbeg sich kräftiger wünschen konnte. Eine große Seltenheit war der eigenhändige Namenszug des Beherrschers und die dreimalige Wiederholung des ebenso eigenhändigen Siegels. Hierbei lag noch eine Karte von schwer vergoldetem Pergament. Die vier Ecken enthielten in Handmalerei das persische Wappen, den vor der Sonne liegenden Löwen. Und in der Mitte war, mit der Feder liebevoll kalligraphisch geschrieben, natürlich in persischer Sprache, doch gebe ich es deutsch: »Wer dieses vorzeigt, hat nur mir zu gehorchen!« Auch hierunter der eigenhändige Namenszug und das Siegel, dessen Inschrift aus den Worten bestand: »Als Nasr-ed-Din das Siegel in die Hand nahm, erschallte der Ruf der Gerechtigkeit vom Monde bis zum Fische.« Der Schah, bekanntlich ein eifriger Kalligraph, hatte diese Karte selbst gezeichnet und geschrieben, und sie war darum vorkommendenfalls selbst den Höchsten seines Reiches gegenüber eine Legitimation, welche zu sofortigem Gehorsam zwang.

      Hiermit besaß ich schon viel mehr, als ich für morgen brauchte, und schon wollte ich wieder gehen, da wurde die Tür geöffnet, und Pekala trat herein. Ihr Gesicht glänzte in der gewöhnlichen, ganz wie begeisterten Freundlichkeit, und es war ein höchst vertraulicher Ton, in dem sie sagte:

      »Ich sah den Schlüssel stecken, Effendi, und dachte mir gleich, daß du hier im Zimmer seist. Ich habe zwar keine Zeit, doch für dich immer, und so wollte ich dich fragen, ob ich dir das von meinem Aschyk sagen darf.«

      »Laß es hören!«

      »Und du wirst aber nichts verraten?«

      »Ist es denn ein Geheimnis?« umging ich diese ihre Frage.

      »Ja, natürlich!« antwortete sie wichtig. »Ich habe eine ganze Menge von Geheimnissen, von denen Niemand Etwas wissen darf. Dir aber sage ich vielleicht einige davon. Das notwendigste von ihnen allen sollst du jetzt gleich hören. Nämlich mein Aschyk kommt immer nach vier Wochen; das habe ich dir schon mitgeteilt. Kürzlich aber war er einmal außer dieser Zeit hier; das weißt du noch nicht. Kannst du vielleicht erraten, weshalb er kam?«

      »Nein. Sag es, und mach es so kurz wie möglich!«

      »Warum das? Ich spreche ja immer kurz, Effendi! Mein Aschyk hat nämlich beschlossen, mit unserem Ustad zu reden und ihm Vieles mitzuteilen, was ihn vom Tode erretten kann.«

      »Wen erretten? Den Aschyk oder den Ustad?«

      »Den Aschyk; vielleicht aber auch beide; ich weiß es nicht genau. Ich soll dem Ustad sagen, daß er nächsten Sonntag kommen werde, grad um Mitternacht. Ich aber komme schon eine Stunde vorher mit ihm zusammen.«

      »Und hast du das dem Ustad mitgeteilt?«

      »Nein.«

      »Warum nicht?«

      »Weil – — – weil – — – weil ich mich vor ihm fürchtete.«

      »Vor mir aber nicht?«

      »Doch auch! Aber die Zeit verging; der Sonntag ist schon nahe, und wenn ich mich so weiter fürchte und nichts sage, so verliere ich meinen Aschyk. Er hat mir nämlich gesagt, daß er niemals wiederkommen werde, wenn ich nicht ganz gewiß dafür sorge, daß er mit dem Ustad sprechen dürfe. Darum habe ich mir endlich ein Herz gefaßt und diese Bitte zu dir gebracht, weil der Ustad nächsten Sonntag noch nicht wieder hier sein kann. Was sagst du nun dazu?«

      Sie wischte sich die feucht gewordene Stirn und atmete erleichtert auf. Es war ihr doch schwer geworden, sich an mich zu wenden.

      »Ist es denn dem Aschyk gleich, ob er mich oder den Ustad trifft?« fragte ich.

      »Ich denke es. Du stehst ja an des Ustad Stelle, und da die Sache nicht aufgeschoben werden darf, so muß er einverstanden sein.«

      »Weiß noch Jemand davon, daß er Sonntag kommt?«

      »Nein.«

      »Auch Tifl nicht?«

      »Tifl? Diesem Schwätzer darf man solche Dinge nicht mitteilen. Er weiß kein Wort!«

      Das war eine Lüge, wurde aber mit der ehrlichsten und aufrichtigsten Miene der Welt gesagt. Die kleinen Aeuglein blickten mich dabei so offen, so treuherzig an, daß ich fast glaubte, mich besinnen zu müssen, ob ich mich nicht täusche.

      »Hat der Aschyk gesagt, an welchem Orte er mit dem Ustad zu sprechen wünscht?« fuhr ich fort.

      »Nein. Das hast nun du zu bestimmen.