Wilhelm Busch

Die fromme Helene


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      Wilhelm Busch

      DIE FROMME HELENE 

      Die fromme Helene

      Wie der Wind in Trauerweiden

      Tönt des frommen Sängers Lied,

      Wenn er auf die Lasterfreuden

      In den großen Städten sieht. Ach, die sittenlose Presse!

      Tut sie nicht in früher Stund

      All die sündlichen Exzesse

      Schon den Bürgersleuten kund?! —

      Offenbach ist im Thalia;

      Hier sind Bälle, da Konzerts.

      Annchen, Hannchen und Maria

      Hüpft vor Freuden schon das Herz. —

      Kaum trank man die letzte Tasse,

      Putzt man schon den irdschen Leib.

      Auf dem Walle, auf der Gasse

      Wimmelt man zum Zeitvertreib. —

      Wie sie schauen, wie sie grüßen!

      Hier die zierlichen Mosjös,

      Dort die Damen mit den süßen

      Himmlisch hohen Prachtpopös. —

      Und der Jud mit krummer Ferse,

      Krummer Nas und krummer Hos

      Schlängelt sich zur hohen Börse,

      Tiefverderbt und seelenlos. —

      Schweigen will ich von Lokalen,

      Wo der Böse nächtlich praßt,

      Wo im Kreis der Liberalen

      Man den Heilgen Vater haßt. —

      Schweigen will ich von Konzerten,

      Wo der Kenner hoch entzückt

      Mit dem seelenvoll-verklärten

      Opernglase um sich blickt;

      Wo mit weichem Wogebusen

      Man schön warm beisammen sitzt,

      Wo der hehre Chor der Musen,

      Wo Apollo selber schwitzt. —

      Schweigen will ich vom Theater;

      Wie von da, des Abends spät,

      Schöne Mutter, alter Vater

      Arm in Arm nach Hause geht.

      Zwar man zeuget viele Kinder,

      Doch man denket nichts dabei.

      Und die Kinder werden Sünder,

      Wenn‘s den Eltern einerlei.

      »Komm Helenchen!« — sprach der brave

      Vormund — »Komm, mein liebes Kind!

      Komm aufs Land, wo sanfte Schafe

      Und die frommen Lämmer sind.

      Da ist Onkel, da ist Tante,

      Da ist Tugend und Verstand,

      Da sind deine Anverwandte!«

      So kam Lenchen auf das Land.

      »Helene!« — sprach der Onkel Nolte —

      »Was ich schon immer sagen wollte!

      Ich warne dich als Mensch und Christ:

      Oh, hüte dich vor allem Bösen!

      Es macht Pläsier, wenn man es ist,

      Es macht Verdruß, wenn man‘s gewesen!«

      »Ja leider!« — sprach die milde Tante —

      »So ging es vielen, die ich kannte!

      Drum soll ein Kind die weisen Lehren

      Der alten Leute hochverehren!

      Die haben alles hinter sich

      Und sind gottlob! recht tugendlich!« —

      »Nun gute Nacht! Es ist schon späte!

      Und, gutes Lenchen, bete bete!«

      Helene geht. — Und mit Vergnügen

      Sieht sie des Onkels Nachthemd liegen.

      Die Nadel her, so schnell es geht!

      Und Hals und Ärmel zugenäht!! —

      Darauf begibt sie sich zur Ruh

      Und deckt sich warm und fröhlich zu. —

      Bald kommt der Onkel auch herein

      Und scheint bereits recht müd zu sein.

      Erst nimmt er seine Schlummerprise,

      Denn er ist sehr gewöhnt an diese.

      Und nun vertauscht er mit Bedacht

      Das Hemd des Tags mit dem der Nacht.

      Doch geht‘s nicht so, wie er wohl möcht,

      Denn die Geschichte will nicht recht.

      »Potztausend, das ist wunderlich!« —

      Der Onkel Nolte ärgert sich.

      Er ärgert sich, doch hilft es nicht.

      Ja siehste wohl! Da liegt das Licht!

      Stets größer wird der Ärger nur.

      Es fällt die Dose und die Uhr.

      Rack! — stößt er an den Tisch der Nacht,

      Was einen großen Lärm gemacht.

      Hier kommt die Tante mit dem Licht. —

      Der Onkel hat schon Luft gekriegt.

      »Oh, sündenvolle Kreatur!!

      Dich mein ich dort! — Ja, schnarche nur!« Helene denkt: Dies will ich nun

      Auch ganz gewiß nicht wieder tun!

      Helenchen wächst und wird gescheit

      Und trägt bereits ein langes Kleid. —

      »Na, Lene! Hast du‘s schon vernommen?

      Der Vetter Franz ist angekommen.«

      So sprach die Tante früh um achte,

      Indem sie grade Kaffee machte.

      »Und, hörst du, sei fein hübsch manierlich

      Und zeige dich nicht ungebührlich,

      Und sitz bei Tische nicht so krumm

      Und gaffe nicht so viel herum! —

      Und ganz besonders muß ich bitten:

      Das Grüne — was so ausgeschnitten —

      Du ziehst mir nicht das Grüne an,

      Weil ich‘s nun mal nicht leiden kann!«

      »Ei!« — denkt Helene — »Schläft er noch?«

      Und schaut auch schon durchs Schlüsselloch.

      Der Franz, ermüdet von der Reise,

      Liegt tief versteckt im Bettgehäuse.

      »Ah, ja, ja, jam!« — so gähnt er eben —