Gustav Freytag

Die Ahnen


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war gewöhnt, die Männer, um welche sie sorgte, in Gefahr zu wissen, heut aber rang sie hilflos die Hände in der Angst um alle, die ihr lieb waren. Neben ihr der Hof, unheimlich wie eine Behausung der Toten, vor ihr ein schwarzer Rand des Gehölzes, in welchem die Mörder lauerten, und sie selbst allein unter dem Nachthimmel, auf den Augenblick der Flucht harrend. Sie griff in die Mähne des Pferdes, um sich daran festzuhalten, und sah hinüber nach dem Meierhofe, von dem sie freiwillig sich ausgeschlossen hatte. Dort bewegten sich Lichter, die Menschen waren wach und eilten ab und zu, als ob sie zum Aufbruch rüsteten. Das Tor wurde geöffnet, und Reiter fuhren in schnellem Lauf abwärts, sie wußte, daß es die Reisigen waren, welche der Bischof mit Botschaft in das Land sandte. Und immer wieder flogen ihre Gedanken dem Krieger zu, den sie selbst dem rachsüchtigen Feinde entgegengesandt hatte. So stand sie, die Hände am Halse des Rosses gefaltet, und ihr Blick irrte zwischen dem Walde und Hofe und hinauf zu den Sternen, deren Licht schwach und bleich wurde im ersten Grau des nahenden Tages.

      Da erhob sich in der Stille des Morgens ein heller Klang, der noch niemals im Lande vernommen war. Langsam und feierlich tönten die Schläge wie vom ehernen Heerschild eines Gottes, mahnend, drohend, klagend weithin durch die Luft. Der Ruf klang in die Täler, in denen Menschen wohnten, und über das Schattendach des wilden Waldes. Die flüchtigen Frauen, welche das Vieh abwärts trieben, und die Krieger, welche sich zum Kampfe rüsteten, standen still und sahen erschrocken nach dem Himmel und auf die Wipfel der Bäume, als müßte der Klang einen Gegenruf erwecken. Aber kein rollender Donner und kein heulender Sturmruf antwortete, der Himmel wölbte sich wolkenlos und rötete sich fröhlich, im Osten die aufsteigende Sonne zu begrüßen. Die Singvögel im Gebüsch hielten inne mit ihrem Morgengeschrei und flatterten auf den Zweigen, die Raben, welche um die hohen Tannen schwebten, rauschten empor, krächzten lauten Warnungsruf für ihre Genossen und flogen dem finsteren Walde zu. »Seht, wie die Raben des alten Gottes entweichen«, schrien die Dorfleute. – Oben im Bergwald ritten wilde Heergesellen vom Rennwege in die Waldgründe herab, um Brand und Tod in die Täler der Thüringe zu tragen; auch diese hielten erstaunt an. Ihr Häuptling fuhr nach der Höhe zurück, ihn umdrängten seine Krieger, sie suchten eine lichte Stelle zur Ausschau über das Land, aber sie vermochten nichts zu erblicken; nur der geheimnisvolle Klang zitterte aus der Ferne unablässig um ihr Ohr wie zur Verkündigung, daß ein unsichtbarer Feind ihnen Verderben drohe. Sie wußten nicht zu deuten, woher der tönende Schrei kam, drang er aus der Erde, schwebte er aus den Wolken, war er die Stimme des Christengottes, welcher seine Getreuen vor den lauernden Feinden warnte? Leise raunten sie zueinander, und dem Mutigsten wurde das Herz schwer.

      Unten aber im Lande, soweit die rufende Stimme in der Morgenluft schwebte, ergriffen die Männer ihre Waffen, hüllten sich in das Kriegsgewand und eilten auf allen Pfaden der Stelle zu, von welcher die Mahnung in ihr Ohr schlug. Nicht die Christen allein, auch die Heiden kamen aus den Höfen, denen der Friedlose und die Speerreiter des Grafen Botschaft zugerufen hatten.

      Auf dem Turmgerüst, das die Christen an der Halle des Bischofs erbaut hatten, schwang sich die Glocke und sang der Jungfrau am Heidenhofe mit heller Stimme: Komm herzu! Walburg lauschte mit gefalteten Händen dem neuen Klang ihres Glaubens, sie dachte betend, ob auch der Späher, der jetzt im Waldesdunkel ritt, die Mahnung ehrfürchtig vernehmen werde. Als sie aufblickte, erkannte sie in der Morgendämmerung die Haufen der heranziehenden Landgenossen, sie sah über dem Nebel, der auf dem Dorfanger lag, Banner der Häuptlinge, Getümmel der Reiter und die Züge bewaffneter Landleute, welche zu dem Meierhofe heraufstiegen und den großen Bohlenverschlag, den geweihten Raum für den Gottesdienst, umstanden. Und sie vernahm von drüben aus dem Heiligtum unter den Klängen der Glocke den Morgengesang der Priester, der Frauen und Kinder des Hofes. Da gedachte sie, daß jetzt ihre Brüder singend am Altar standen und daß auch sie durch ihr Gelübde dem Himmelsgott gebunden war und in die Gemeinde der Christen gehen müsse. Sie sah noch einmal in den leeren Hof zurück, nahm das Roß am Zügel und schritt, wohin sie geladen wurde. Das Roß band sie an einen der Holzhaken, welche auf der Außenseite des Bohlenzaunes angebracht waren, sie selbst trat in den geweihten Raum und kniete nieder ganz hinten bei den Frauen. Vor dem Altar stand Winfried im bischöflichen Gewande und versah das hohe Amt, siegreich und machtvoll tönte seine Stimme unter dem Klang der Glocke, welche noch immer die Treuen lud und die Feinde warnte.

      Unterdes wand sich Ingram vorsichtig durch die Waldesnacht aufwärts. Nur auf dem heiligen Wege, der zu den Opfersteinen der Höhle führte, vermochte ein fremder Reitertrupp, wenn der Morgen kam, den Abstieg in die Täler zu wagen. Oft horchte der Einsame und sah ungeduldig auf den schmalen Streifen des Nachthimmels, der über ihm sichtbar war. Als der erste Tagesschimmer über die Wipfel flog und graue Dämmerung auf den rauhen Pfad senkte, hörte auch er den fernen Hall der Glocke und hielt staunend an. Er hatte den Gruß des Christengottes schon früher einmal unter den Franken vernommen, heut empfand er eine wilde Freude, daß der fremde Menschengebieter die Volksgenossen zur rechten Zeit aufweckte. Um sich herum merkte er nur die Nachtlaute des Waldes, dennoch wußte er, daß die Sorben nahe waren, denn untilgbar malte ihm sein heißer Haß die Gestalt des Sorbenhäuptlings vor, den falschen Blick und das höhnende Lachen. Da, ganz nahe dem Rennwege, wo der steile Abstieg von der Höhe wegsamer in dem Grunde läuft, hörte er klirrende Waffen und stolpernde Hufe und erkannte den Vortrab der Sorben; unter den ersten den Ratiz auf schwarzem Hengste. Als Ingram seinen Todfeind auf dem Raben heranreiten sah, stieg ihm das Blut in das Haupt, und in wildem Grimm rief er, alle Vorsicht vergessend, sein Roß mit dem Namen an und riß sein eigenes Pferd zur Flucht herum. Der Kriegsschrei der Sorben gellte durch den Wald, als sie sich entdeckt fanden und ihren Feind vor sich erkannten, und eine tolle Jagd zwischen den Bäumen begann. Ingram aber, der des Weges besser kundig war, kam weit voraus; nur das edle Roß des Ratiz, durch den Ruf seines alten Herrn und die Nähe des Stallgenossen gemahnt, trug den Häuptling in großen Sprüngen hinter Ingram her, voraus allen Sorbenkriegern. So ging die Hetze talab aus dem Urwald und längs der Wagengeleise des lichten Gehölzes bis an den Waldesrand in die Nähe der Höfe. Hier hob sich Ingram im Sattel und schrie den Schlachtruf über die Lichtung.

      Der Schrei unterbrach das Amt des Priesters, die ausgestellten Wachen wiederholten den Ruf, die Männer schwangen sich aus dem Holzring und suchten ihre Rosse, die Weiber und Kinder drängten sich um den Altar, vor welchem der Bischof stand, das Kreuz hoch emporhaltend. Als Ingram freien Raum vor sich sah und den Racheschrei des Sorben hinter sich hörte, trieb er sein Roß zu einer Wendung und warf, da Ratiz heranfuhr, seinen Speer gegen den Feind. Aber der Schild des Sorben fing die Waffe, und während Ingram sein Pferd herumriß, flog der Speer des Ratiz in die Hüfte des Tieres. Hoch schlug es aus, sank und schleuderte seinen Reiter an dem Bohlenzaun der Gemeinde zu Boden, daß er hilflos dalag.

      Aus dem Holzring gellte der Angstschrei eines Weibes. Gottfried kannte wohl die Stimme, derselbe Schrei hatte ihm schon einmal wie mit Messern in das Herz geschnitten. Der Jüngling warf noch einen strahlenden Blick auf Walburg, warf sich behend über die Brüstung und eilte zu dem Friedlosen. Ratiz, welcher mit seiner Streitkeule den Anlauf bewaffneter Landleute abgewehrt hatte, stürmte heran und schwang die tödliche Waffe gegen den liegenden Ingram. Da hob sich vor diesem Gottfried mit ausgebreiteten Armen. Die Keule sauste und traf das Haupt des Mönches, lautlos sank er neben Ingram auf den Boden. In diesem Augenblick der Not riß Meginhard am Glockenseil, und über dem Haupte des Sorben dröhnte aufs neue der Kriegsruf des Christengottes in starken hämmernden Schlägen. Der Wilde starrte um sich und trieb sein Pferd zurück.

      Von allen Seiten hob sich das Kampfgeschrei, aus dem Holz brachen die Sorbenkrieger hervor, um den Taufring sammelten sich die Thüringe und ritten ihnen entgegen, in wirrem Getümmel trieben Freund und Feind auf der abwärts geneigten Fläche umher. Als Ingram sich erhob, sah er vor sich das blutende Haupt Gottfrieds und gegenüber eine Rauchsäule, welche aus seinem Hofe aufstieg. Einen Augenblick beugte er sich über den Liegenden, dann packte er die Wurfkeule des Sorben, sprang auf ein lediges Pferd, welches zur Seite angeflöckt stand, und warf sich wieder in das Getümmel. Zwischen den Linnenpanzern der Sorbenkrieger und den grauen Eisenröcken der Thüringe fuhr er wie toll dahin, den Flügel des weißen Adlers suchend, welcher über der Kappe des Häuptlings ragte. Undeutlich merkte er, daß Miros beim Banner der Sorben seine Krieger zu sammeln suchte, daß Wolfram mit dem Haufen des Häuptlings Albold gegen den Miros anritt und daß die Sorben allmählich nach dem Walde zurückgedrängt wurden. Endlich erkannte er den Häuptling, der sich den Verfolgern durch die