Gustav Freytag

Die Ahnen


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Gabe meiner Ahnen meinst du,« versetzte der Mann betroffen, »wie darf ich sie verachten!«

      »Bedenke, Geliebter, vieles Unheil hat dir der Zauber gebracht, wer weiß, wie sehr er dir noch den Sinn verwandelt, wenn du ihn bewahrst.«

      »So wie du warnte einst ein anderer,« versetzte Ingram, »und ich fürchte, ich habe zuviel auf das Erbstück getraut. Ich will es abtun, du aber magst es verwahren.«

      »Nicht ich und kein anderer,« rief Walburg, »nur einer soll darüber entscheiden, und das ist Herr Winfried selbst.«

      »Willst du mich vor die Augen des Bischofs führen?« fragte Ingram unruhig.

      »Merke wohl, Ingram,« warnte Walburg, »wie das Zauberstück dich von dem Bischof fernhalten will.«

      Er löste den Riemen und bot ihr die Tasche; sie warf ein Tuch über das Bündel, segnete sich und griff danach. »Und jetzt fort von hier zu ihm. Beuge dich, Ingram,« bat sie den Zögernden, »denn um Gnade sollst du werben bei einem, der stärker ist als du.« Voll Mitleid und Zärtlichkeit sah sie ihn an, vergaß einen Augenblick das Teufelswerk in ihrer Hand und küßte ihn, dann zog sie ihn hastig mit sich fort.

      In seiner Kammer saß der Bischof allein, als Walburg eintrat, den Geliebten nach sich ziehend. »Kommst du endlich, Ingram,« sprach Winfried aufsehend, »lange habe ich dich erwartet und teuren Preis haben wir beide gezahlt, bis du den Weg zu mir fandest.«

      »Ein Zauber, den die heidnische Schicksalsfrau gebunden, liegt in dem Erbe seiner Ahnen und erbittert ihm seinen redlichen Sinn«, klagte Walburg. »Löse du ihn von der Macht der Unholden.«

      »Die Gnade des Himmelsherrn soll dich befreien, Ingram, und der Kampf, den du selbst durchkämpfst, solange du auf der Erde weilst. Wo ist der Zauber, der euch ängstigt?«

      »Hier liegt das Grauwerk unter weißem Tuch,« sagte Walburg und legte das Bündel scheu auf den Holzstoß am Herde. Winfried wandte sich und sprach sein Gebet, dann faßte er nach dem geweihten Wasser, das im Becken bei der Stubentür stand, besprengte das Tuch und seinen Tisch und zog das Erbstück des Teufels hervor. Es war eine kleine Tasche aus abgestoßenem wolligem Fell, von vielen verknoteten Fäden umschlungen. Winfried öffnete weit den Fensterladen und die Tür, dann machte er über sein Messer das heilige Zeichen, schnitt kräftig durch Faden und Leder und suchte den Inhalt. Staub und vertrocknete Kräuter fielen ihm in die Hand, dazwischen ein neues Bündel von roter Farbe; er rollte es auseinander und trat zurück. Vor ihm lag von Seidenstoff, dicht wie Filz gewirkt, mit Goldfäden gestickt, ein Bild gleich dem Haupt des Wurms, den man Drachen nennt. Von hellem Gold glänzten die Augen, um den aufgesperrten Rachen standen die goldenen Zähne, aus ihm ragte wie ein Pfeil die rote Zunge.

      »Schwerlich vermag menschliche Kunst solch teuflisches Bild zu schaffen«, rief Winfried erstaunt und hielt das Holzkreuz über den Drachenkopf. »Wirf Holz auf die Herdkohlen, Jungfrau, in der Flamme des Christenherdes bergen wir das Heidenbild; verschwinden soll es aus dem Angesicht der Menschen, denn wie lebendig glänzt das Auge und leckt die Zunge.«

      Das Herdholz knisterte, die Flamme hob sich hoch über den Kohlen, Winfried trug vorsichtig die Tasche, die zerfallenen Kräuter, zuletzt das Drachenhaupt zu dem Feuer und stieß sie mit dem Eisen kräftig hinein. Ein dicker Rauch, gelblich und weiß, wirbelte auf, er stieg hoch bis zum Herdloch der Decke und wand sich um die Dachbalken. Ingram lag an der Tür auf den Knien. »Bitter ist mir, von meinen Ahnen zu scheiden«, seufzte er. Aber über seinem Haupt hielt Walburg die Hände gefaltet und sah verklärt auf Winfried, der vor dem Herde stand, das Kreuz hochhebend, bis die letzten Wirbel des Dampfes durch das Dach entschwebt waren. Darauf trat er zu Ingram: »Bereite deine Seele, damit du ein treuer Mann des Christengottes werdest und deinen Sitz gewinnest in der Hochburg des Himmels. Als eine Gabe, welche der Himmelsherr dir durch mich bietet, empfange dies geweihte Gewand, das du tragen sollst, wenn du zum Taufstein trittst und dich gelobst dem ewigen Gotte.«

      Auf der Brandstätte des Hofes, in welchem einst die Raben gekrächzt hatten, erhob sich eine Kirche und vom Turmgerüst klang die Glocke der Christen. Wenige Wegstunden davon, nahe dem großen Markt der Thüringe, stand der neue Hof Ingrams und die Halle, welche er gebaut hatte. Bald wuchs um den Hof ein ansehnliches Dorf, welches noch in späten Geschlechtern das Erbgut des Ingram genannt wurde. Im ganzen Lande rühmten die Leute sein Glück und seine Hausfrau, welche ihm den Hof mit einer Schar blondlockiger Kinder füllte, die gastliche Halle und daneben auch die Zucht seiner Kriegsrosse, der Rabenkinder. Er war als Kriegsheld gefeiert bis weit im Osten der Saale, in den Grenzkriegen ein Schrecken der Feinde, eine starke Hilfe der fränkischen Grafen. Mehr als einmal wurde er zu dem Hofe der großen Frankenherren gesandt, dort fand er immer Gunst und er merkte wohl, daß er dort seinen stillen Fürspruch hatte. Als endlich König Pippin, der Sohn des erlauchten Herrn Karl, selbst nach Thüringen kam, um ein Heer gegen Sachsen und Wenden zu führen, da ritt Ingram in seinem Gefolge und der König ehrte sein tapferes Schwert durch Lob und Begabung. So oft Winfried von seinem erzbischöflichen Sitze zu Mainz nach Thüringen fuhr, zog Ingram bis an die Landesgrenze, den großen Kirchenfürsten zu begrüßen, alle seine Knaben taufte der Erzbischof selbst und empfing jedes Jahr von der Hausfrau Weben der feinsten Leinwand, die auf den Webstühlen des Hofes gefertigt wurde. Stets war der Bischof mild gegen Ingram und freundlicher als gegen andere, und er war bemüht, vor den Leuten zu erweisen, wie hoch er den Helden achte. Nur betrat er nie die Schwelle des Treuen, um gastlich darin auszuruhen, obwohl Frau Walburg zuweilen mit Tränen darum flehte; aber ihre Knaben liebkoste er und nie vergaß er bei seiner Ankunft im Lande ihr selbst eine Spende zu bringen.

      Dreißig Jahre waren vergangen seit der ersten Fahrt, die Winfried in das Land der Thüringe gewagt hatte. Neben Ingram standen drei Söhne und drei Töchter in blühender Jugend; der älteste Sohn, das Ebenbild des Vaters, war bereits ein erprobter Krieger, der in gesondertem Hofe herrschte, auch der zweite bändigte die wildesten Rosse und harrte ungeduldig seiner ersten Kriegsreise; der jüngste, Gottfried, war nach dem Willen der Eltern der Kirche bestimmt und fröhlich sang seine Kinderstimme die lateinischen Hymnen, welche ihn fromme Väter als Gäste der Eltern gelehrt hatten. Und Wolfram, der Meister des Hofes, welcher die Hintersassen seines Herrn wohlmeinend regierte, sprach zu Gertrud, seiner Frau: »Sehr mächtig ist der Zauber, welcher in den neuen Christennamen wirkt,« dabei schlug er mit Anstrengung sein Kreuz, »unser Gott fordert den jüngsten Herrensohn für seinen Dienst und es nützt nichts, ihm zu widerstreben. Vergebens habe ich dem Knaben Wolfshaare in die Jacke genäht und drei Rabenfedern in seinen Pfühl gesteckt, vergebens lehrte ich ihn auch mit dem Bogen schießen und die Keule werfen, der unkriegerische Name Gottfried zwingt ihn übermächtig. Ich hoffe, er wird wenigstens ein Bischof, der doch den anderen, welche geschorenes Haar tragen, gebietet und den Ehrensitz an der Tafel erhält.«

      Mehrere Jahre war der große Erzbischof nicht nach Thüringen gekommen und seine Treuen vernahmen aus Mainz die Kunde, daß er zuweilen die Beschwerden des Alters fühle und daß ihre Augen ihn wohl nimmermehr schauen würden, da bat Walburg den Gemahl, daß er bei seiner nächsten Fahrt zum Königshofe sie und die Söhne nach Mainz geleiten möge, damit sie alle noch einmal den Segen des Heiligen empfingen und der junge Gottfried durch ihn für die Kirche geweiht würde.

      Gerade damals waren die Heiden an der Nordgrenze in die Christenheit eingebrochen, hatten dreißig Kirchen zerstört, die Männer erschlagen, Weiber und Kinder fortgetrieben. Da war der greise Erzbischof selbst zu der Grenze geeilt, er hatte mitgenommen, was der Schatz seines Bistums gewähren konnte, um die Gefangenen loszukaufen und die zerstörten Gotteshäuser aufzubauen. Ein halbes Jahr war er von Mainz abwesend gewesen, den Schaden zu bessern und die Grenzleute in Glauben und Eintracht zu stärken.

      Jetzt war er zurückgekehrt. Während sein Gefolge im Hofe sich der Heimkehr freute, betrat Bischof Lullus, ein vertrauter Schüler, das Gemach des Erzbischofs; leise schob er den Vorhang der Tür zurück und trat mit frommem Gruße ein. Winfried saß im Lehnstuhl, in seinem Schoße lagen aufgerollte Briefe, er aber blickte starr durch den Fensterbogen in das Morgenlicht und winkte nur mit der Hand die Antwort auf den Gruß. Lange stand Lullus in ehrfürchtigem Schweigen, er merkte betroffen, daß der Greis halblaut mit sich selbst sprach, und vernahm endlich die Worte: »Zeit ist, daß ich mich zur Fahrt rüste nach dem Saal meines Herrn, sehr sehne ich mich nach der blutigen Wunde auf meiner Brust, die mir das Wolkentor öffnet.«

      Entsetzt