zu können. Gegen neun Uhr – sie saß vor ihrem Schreibtisch und überlas zum so und sovielten Male die ihr gewidmeten Liebesgedichte – ward im Hause ein Geräusch von Schritten und Stimmen vernehmbar. Eva horchte auf: die Stimmen wurden immer lauter und zorniger. Es war ihr, als vernähme sie das Organ des Obersten. Sollte der unvermuthet zurückgekehrt sein?
Das Stubenmädchen trat herein.
»Baronesse sollen so gut sein, einen Augenblick zur Frau Oberstin zu kommen.«
Überrascht und einigermaßen erschrocken folgt Eva dieser Aufforderung. Doch ihre Ueberraschung ward noch größer, als sie Dorinas Zimmer betrat. Außer Herrn und Frau von Borowetz war noch eine dritte Person anwesend – die letzte, die sie hier zu finden erwartet hätte – Lieutenant Graf Siebeck.
Der Oberst ging der Eintretenden zur Thüre entgegen, nahm sie an der Hand und führte sie herein.
Der junge Offizier verneigte sich.
Dorina trat auf ihre Freundin zu:
»Meine liebe Eva,« sagte sie, »hier siehst Du einen in Dich rasend verliebten jungen Mann: Graf Siebeck hält um Deine Hand an.«
Dem jungen Mädchen drohten die Sinne zu schwinden. Ein solches Glück – und so plötzlich … Das war wie ein Traum, wie ein Märchen …
»So ist es, Baronin Holten – schöne Baroneß Eva, so ist es,« sagte der Lieutenant mit etwas gedehnter Stimme – »ich erlaube mir … Ihnen anzutragen, Gräfin Siebeck zu werden.«
Der Oberst, der Eva noch immer an der Hand hielt, preßte diese mit einem so eisernen Griff, daß das junge Mädchen hätte aufschreien mögen, und indem er ihr fest ins Auge schaute:
»Sagen Sie mir nur Eines, Eva,« sprach er feierlichen Tones – »aber die Wahrheit – beim Andenken – bei der Grabesruhe Ihrer Eltern – die Wahrheit: hat Ihnen dieser junge Mann schon seit längerer Zeit den Hof gemacht?«
Dorina fiel rasch ein:
»Als ob das nothwendig wäre! Man kann ja auch —«
Der Oberst unterbrach sie mit einer Schweigen gebietenden Kopfbewegung.
»Antworten Sie, Eva. Seit wann wissen Sie, daß Graf Siebeck Sie liebt – beim Andenken von Vater und Mutter, seit wann?«
Eva senkte erröthend den Kopf:
»Seit … seit ungefähr sechs Wochen,« murmelte sie.
Mit einem erleichterten Seufzer ließ der Oberst ihre Hand los.
Robert und Donna wechselten rasch einen erstaunten Blick.
»Nun denn,« sagte Herr von Borowetz, »so handelt es sich nunmehr um das Jawort. Geben Sie es?«
Donna antwortete statt der Befragten:
»Als ob man so ein entscheidendes Wort augenblicklich geben könnte … Da bittet man sich doch wenigstens vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit aus.«
Das Gesicht des Obersten verfinsterte sich wieder, und mit etwas gezwungenem Lachen fügte Dorina schnell hinzu: »Nach den vierundzwanzig Stunden wird dann freilich Ja gesagt … Das Mädchen ist ja mindestens ebenso verliebt wie der Jüngling, nicht wahr, Eva? .. Schon seit jenen Fensterparaden ist Dein Herz dem schmucken Reiter zugeflogen, wie? … Auf, Graf Siebeck, seien Sie nicht schüchtern – holen Sie sich Ihren Bescheid, indem Sie das Bräutchen umarmen.«
Robert that, wie ihm befohlen. Er trat auf die bebend dastehende Eva zu, legte seinen Arm um ihre Schulter und küßte sie auf die Stirn.
Eva taumelte zurück und warf sich an Donnas Brust, in krampfhaftes Weinen ausbrechend.
»Das sind die Nerven,« sagte die junge Frau. »Es wird nichts sein … sie muß nur ein wenig Ruhe haben. – Thun Sie mir den Gefallen, Graf Siebeck, gehen Sie jetzt fort und kommen Sie erst morgen wieder.«
»Ja,« stimmte der Oberst bei, »das wird das Beste sein – lassen wir die Weiber allein.«
Siebeck ließ sich das nicht zweimal sagen, und nach einem letzten einverständlichen Blick auf Dorina ging er mit seinem Obersten aus dem Zimmer hinaus.
Als Eva am nächsten Morgen erwachte, konnte sie ihre Lage nicht gleich fassen: Braut … Würde dieses an ihrem Horizont wie eine Fata Morgana aufgestiegene Bild nicht auch wie eine solche wieder verschwinden? …
Sie saß an ihrem Putztisch, ihr langes blondes Haar kämmend und dabei an die gestrigen bedeutungsvollen Auftritte denkend, als Dorina hereinkam.
Eva erschrak über den bittern, verbissenen Ausdruck, der in ihrer Freundin Gesicht lag, und den sie bisher nie an ihr gesehen. Gewiß kam sie mit einer bösen Nachricht: vielleicht, daß Robert abgereist sei … daß er sein Wort zurücknehme – —
Indessen, diese Befürchtung erwies sich als unbegründet, denn Dorinas erste Worte waren:
»Fröhlichen guten Morgen, künftige Gräfin Siebeck!«
Sie warf sich in einen in der Nähe des Putztisches stehenden Lehnsessel, und ihr Gesicht in freundliche Falten legend hub sie an:
»Ich gratulire Dir nochmals. Du machst ein riesiges Glück. Siebeck ist einziger Sohn, und die Herrschaft Großstetten, die er von seinem Vater erben wird, ist eine halbe Million werth … Auf so eine Partie hast Du eigentlich niemals rechnen können – so etwas Glänzendes wäre Dir kaum beschieden gewesen – auch wenn Dich Deine Tante Rosa in die Welt geführt hätte … Du antwortest nicht?«
»Von dieser Seite hatte ich meine Schicksalswendung noch gar nicht betrachtet. Was mich erschüttert, was mich beglückt, ist das Bewußtsein seiner – meiner Liebe…«
»Nun, gar so sentimental mußt Du das Ding nicht auffassen, meine liebe Eva. Ich sagte Dir schon öfters: das Leben ist anders, als es in den Büchern steht. Du darfst Dir nicht vorstellen, daß der junge Herr gar so närrisch in Dich verliebt ist und Dir in schwärmerischer Weise vorzirpen wird. Graf Siebeck ist sogar ein recht trockener Mensch.«
»Er? Mit diesem dichterischen Sinn?«
»Was Du nur immer mit dem Dichten hast! Nein – die Sache ist sehr einfach: Du bist hübsch, von guter Familie, gefällst ihm; kurz es paßt Alles ganz vortrefflich. Ganz vortrefflich,« wiederholte sie zwischen den Zähnen.
»Was hast Du nur? Du scheinst mir böse?«
»Böse – ich? o nein – es geht ja alles nach meinem Wunsch. Ja, nach meinem Wunsch, Eva, merke Dir das: ich habe diese Heirath eigentlich zu Stande gebracht. Doch, was ich Dir eigentlich sagen wollte: Du mußt heute Deine Halbtrauer ablegen und zum Speisen eine hübsche Toilette vorbereiten, denn heute wird eine neue Verlobung gefeiert … mein Mann besteht darauf … er hat das halbe Offizierkorps eingeladen und ein Dutzend Champagnerflaschen bestellt.« Sie stand auf. »Jetzt gehe ich. Ich habe viel zu thun – muß Anstalten treffen, daß das Mittagessen des großartigen Anlasses würdig werde.«
»Bleibe doch noch! Ich habe Dich so viel zu fragen.«
»Kann nicht – keine Zeit.«
»Und nicht einmal einen Morgenkuß hast Du mir gegeben?«
»Bald wirst Du genug geküßt werden. Also sorge für Deine Toilette – Adieu!« Und fort war sie.
Eva verbrachte den Vormittag damit, ein weißes Seidenkleid, das sie schon zwei Jahre besaß, jedoch nur zwei oder drei Mal getragen hatte, durch gewisse Aenderungen der gegenwärtigen Mode anzupassen. Und während dieser Arbeit, die eine recht anregende und angenehme war, war sie fortwährend bemüht, die Sonderbarkeit und Erfreulichkeit ihrer neuen Lage zu begreifen, zu erfassen, nach allen Seiten hin zu beleuchten. Auch die zuletzt von Dorina gemachten Mittheilungen über die weltlichen Vortheile der bevorstehenden Heirath nahm sie mit in Betracht und mußte sich zugestehen, daß auch von dieser Seite das Leben ihr sehr heiter und verheißend winkte: – Gräfin Siebeck … Es war ein schöner Name; und einst Herrin einer Besitzung, die fünfmalhunderttausend Gulden werth war – mit anderen Worten also: nie mehr Geldkummer und Entbehrungen leiden, wie solche ihre Jugendjahre so oft verbittert hatten, sondern, im Gegentheil, von Glanz und Komfort umgeben sein … eine große Bücherei